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Schon der Begriff der "Anschauung" enthält die Beziehung auf die Unmittelbarkeit, wenn er mehr sein soll, als eine abgeschriebene Floskel. Dabei schließt die Unmittelbarkeit die gesellschaftliche Vermittlung in keiner Weise aus. Mit dem Fetischismus hat das alles nichts zu tun. Kinder haben ebenso eine unmittelbare Anschauung eines Krans wie Erwachsene, auch wenn Erwachsene im Allgemeinen wissen (nicht aber "anschauen"), dass Kräne nicht unmittelbar gegeben sind, ohne dass sie produziert worden sind. Dennoch ist der anschaulich gegebene Kran für beide unmittelbar - wenn auch vermittelt - gegeben.
"So 'von den Dingen auf das Bewusstsein und vom Bewusstsein auf die Dinge' (das ist ein Zitat von Sohn Rethel) verwiesen, sind der Begriff der Praxis, der der subjektiven Vermitteltheit des Objekts und auch ideologiekritische Überlegungen in diesem Paradigma kaum unterzubringen." Über die Vermitteltheit des Unmittelbaren ist genug gesagt worden. Dass der die Praxis in dem der Widerspieglung nicht "unterzubringen" ist, trifft durchaus zu. Ein Bewusstsein hat - streng genommen - keine Praxis, sondern nur Menschen sind praktisch tätig. Der Begriff der Praxis kann eben deswegen als Kriterium der Wahrheit (engelsistisch gesprochen) dienen, weil die Praxis eine nicht auf die Erkenntnisbeziehung reduzierbare materielle Beziehung auf die Dinge enthält. Die Praxis ist für "Arbeiterbewegungsmarxisten" ein Begriff, der etwas Materielles bezeichnet, dem zwar als eines seiner Bestimmungsstücke das Ideelle angehört, das aber die unwesentliche und auch nicht praktische Seite der menschlichen Praxis darstellt.
Die ideologiekritischen Überlegungen sind in der Widerspiegelungstheorie durchaus "unterzubringen". Sie verweisen auf die materielle Beschaffenheit des Spiegels, hier der Menschen, um deren Bewusstsein es sich handelt. Denn wie die Menschen sind, so ihr Bewusstsein. Was aber nicht geht, ist die Ableitung der Ideologie allein aus dem, was sich im Spiegel zeigt, mit anderen Worten allein aus den Bewusstseinsinhalten. Man muss sich mit den wirklichen Menschen und ihrem gesellschaftlichen Lebensprozess befassen, wenn man Ideologiekritik betreiben will.
Das Paradigma ist wiederum eine äußerlich hineingetragene Charakterisierung, die aus der positivistischen Wissenschaftstheorie hier eingeführt wird. Wer Lust hat, sich mit der Kritik dieser Vorstellung zu befassen, kann sich bei Geymonat informieren, wie man als "Arbeiterbewegungsmarxist" die geschichtliche Entwicklung von Erkenntnissen und Wissenschaften sieht, nämlich als "Vertiefung" von Theorien. Paradigmen und Paradigmenwechsel sind in der marxistischen Widerspiegelungstheorie nicht unterzubringen. Denn sie charakterisieren eine spätbürgerliche Vorstellung wissenschaftlicher Entwicklung, die den Gedanken des wissenschaftlichen Fortschritts aus Angst vor der Wahrheit aufhebt, während "Arbeiterbewegungsmarxisten" sich im Gegenteil vom Fortschritt der Wissenschaften und der wissenschaftlichen Erkenntnis eine Aufhebung der Befangenheit erwarten, weil sie sich vorstellen, dass - um im Bild zu bleiben - der Spiegel zunehmend blanker wird, indem er falsche Bilder berichtigt - d. h. beseitigt und durch besser Bilder ersetzt.
Was also bleibt und inhaltlich tatsächlich substantiell ist, ist das Zitat von Alfred Sohn Rethel, dass die Dinge auf das Bewusstsein und das Bewusstsein auf die Dinge verweisen, also der Hinweis auf die zirkuläre Struktur der Argumentation. Das ist - zur Abwechslung - ein wirkliches und auch tödliches Argument, wenn man die "Widerspiegelung" im Ausdruck "Widerspiegelungstheorie" als Begriff versteht. Denn dann ergibt sich das Problem, dass die Bilder im Bewusstsein auf Dinge jenseits des Bewusstseins verweisen, von denen man wiederum nur aufgrund des Bewusstseins weiß. Diese Zirkularität ist ein Problem der materialistischen Erkenntnistheorie, weil sie dem Bewusstsein etwas nicht Bewusstes - etwas Materielles - voraussetzt und ihm einen für das Bewusstsein bestimmenden Charakter zuschreibt. Die kritische Selbstreflexion des eigenen Denkens als durch materielle - gesellschaftliche wie natürliche Prozesse - bestimmt, setzt eine Erkenntnis der dem Bewusstsein vorausgesetzten und es bestimmenden Prozesse voraus, die sich aus der Vorausgesetztheit selbst nicht ableiten lässt.
Deswegen nimmt der Widerspiegelungs"fetischist" die Widerspiegelung nicht als Begriff, sondern als ein Bild, eine Metapher. Denn als Metapher genommen erlaubt es die Widerspiegelungstheorie, bestimmte Widersprüche des Denkens als Resultate der Bedingtheit durch die Widersprüche der dem Denken vorausgesetzten gesellschaftlichen Praxis zu erkennen. Die Selbstreflexion des Denkens sucht geradezu nach solchen Widersprüchen, weil es gerade diese Widersprüche sein sollen, die die Entwicklung vorantreiben - und wenn man "Arbeiterbewegungsmarxist" ist, in Richtung des gesellschaftlichen Fortschritts vorantreiben, in Richtung Kommunismus.
Man löst also die Zirkularität, die Sohn Rethel zu Recht kritisiert, nicht begrifflich auf, sondern betrachtet sie bildlich als eine Bewegungsform der Selbstkritik des eigenen Denkens, das zu der Erkenntnis der gesellschaftlichen Praxis führt, als deren Ausdruck das eigene Denken aufgefasst wird. Die Widerspiegelung verweist daher nicht nur auf den unmittelbar im Spiegel erscheinenden Gegenstand, der gleichwohl natürlich und gesellschaftlich vermittelt ist, sondern zugleich auf die Materialität des Spiegels, die im Spiegel selbst nicht unmittelbar sichtbar ist, aber durch die Zirkularität der Selbstbegründung des eigenen Denkens - für Engelsisten in der politischen Arbeiterbewegung - mittelbar zum Gegenstand der Selbstkritik werden kann. Aber das alles muss nicht überzeugen und wird nicht jeden überzeugen. Vielleicht ist es aber nützlich, das zu wissen, wenn nicht gar zu denken, wenn man den Engelsismus kritisieren will.