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Produktivkraft Sexualität
von Uschi Siemens

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IV. Irmtraud Morgner: "Amanda"

Irmtraud Morgner, geboren 1933 in Chemnitz als Tochter eines Lokomotivführers, studiert in Leipzig Germanistik und Literaturwissenschaft und arbeitet als Redaktionsassistentin bei der Zeitschrift "Neue Deutsche Literatur". Ab 1958 lebt sie als freie Schriftstellerin in Berlin. Schon in ihren ersten Veröffentlichungen, "Hochzeit in Konstantinopel" (1968) und "Gauklerlegende" (1970) greift Irmtraud Morgner das problematische Verhältnis zwischen Frauen und Männern im Alltag der DDR auf. Den Zusammenhang zwischen Frauendiskriminierung im Alltag und historischer Entwicklung der Frauenunterdrückung thematisiert sie in ihrer Salman-Trilogie. Der erste Band, "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", erscheint 1974. Die Fortsetzung folgt 1983 mit dem zweiten Band "Amanda. Ein Hexenroman"[1]. Den dritten Band ihrer Trilogie konnte Irmtraud Morgner, die Anfang 1990 starb, nicht mehr fertig stellen. Rudolf Bussman gab die vorliegenden Manuskriptteile 1998 unter dem Titel "Das heroische Testament" als Roman in Fragmenten heraus.

1. Teuflische Teilung und ihre Folgen

Im ersten Band der Salman-Trilogie erscheint der nach achthundertjährigem Zauberschlaf erwachten Trobadora Beatriz de Dia die DDR als "ein Ort des Wunderbaren"[2], denn in diesem Land sind die gesellschaftlichen Bedingungen für die Gleichberechtigung der Frauen am weitesten entwickelt. Ihr Enthusiasmus gründet sich darauf, dass die Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten, dass juristische und soziale Maßnahmen den Einstieg der Frauen in die Berufstätigkeit und damit in ihre materielle Unabhängigkeit fördern. Und Benno Pakulat erscheint als Prototyp des "neuen Mannes", der die Gleichberechtigung der Frauen bejaht und bereit zu sein scheint, sich Hausarbeit und Kindererziehung mit seiner Frau zu teilen. Frauenwohngemeinschaften als Alternative zur Kleinfamilie und selbst Geschlechtertausch scheinen vorstellbar. Im zweiten Band der Trilogie revidiert die Autorin dieses optimistische Bild der DDR und macht die Persönlichkeitsspaltung, die Christoph Hein in seiner Novelle beschreibt, zum Hauptthema des Romans. Trobadora Beatriz ist als matristische Sirene wieder auferstanden, um gegen die Gefahr der Vernichtung der Menschheit durch die angehäuften Waffenpotentiale, gegen irreparable Umweltschäden und die Stationierung atomarer Waffen auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze anzusingen. Ihrer Stimme und ihrer Zunge beraubt, beschließt Sirene Beatriz, einen Roman für zukünftige Generationen über die wahre Geschichte der Laura Salman zu schreiben. Denn Laura Salman, im ersten Roman Sinnbild der durchschnittlichen berufstätigen DDR-Frau, ist nicht von Anfang an "fleißig, genügsam, willig, unauffällig, verzichtgeneigt, aufopferungsgemut" (29) gewesen.

Laura war von Anfang an "ein weiblicher Querkopf" (42); ausgestattet mit "Wildheit und flinker Zunge" (55) fällt sie ständig "aus der Norm" (56). Sie enttäuscht und beunruhigt ihre Eltern durch "eine gewisse Schlagfertigkeit und auffällige Sprachgewandtheit" (57). Da ihre Mutter ihr "nichts außer Gehorsam vorleben konnte" (102) und auch andere Frauen "so unwürdig als Menschen zweiter Garnitur existieren mußten" (344), orientiert sich Laura an männlichen Vorbildern. Sie will Lokführer werden wie ihr Vater; im Theater identifiziert sie sich mit Don Giovanni, dem rastlosen Widerspruchsgeist, der von "unendlicher Neugier (...), vom Tatentrieb der Sinne, von Ketzerei" (108) besessen ist; Goethes Faust mit seiner "Hexenküche" (139), seinen alchemistischen Versuchen wird ihr zum erstrebenswerten Ideal. In der Oberschule lernt sie die Familie des FDJ-Sekretärs Heinrich Fakal kennen und eine Version sozialistischer Doppelmoral. Denn Heinrichs Vater Kurt Fakal handelt "in der öffentlichen Sphäre des gesellschaftlichen Lebens" wie ein "vorbildlicher Sozialist", im Privatleben dagegen verhält er sich "wie ein feudaler Despot", für den "die Frau das Hinterland des Soldaten" ist (139/140). Laura beschließt, sich ebenfalls ein solches "Hinterland" in Form einer "Insel" (140) zu schaffen.

Während ihrer Studienzeit in Leipzig verliebt Laura sich in den "Ketzer" (142) Konrad Tenner, dessen Lebensmotto lautet: "Ohne Lust kein Leben" (142). Tenner möchte Laura heiraten und Kinder mit ihr haben, um sie an sich zu binden. Laura dagegen "will keine Kinder ohne Insel als Hinterland" (143). Ihre Weigerung, in der Rolle der Mutter und Ehefrau - zusätzlich zum Beruf - Glück und Lebenssinn zu suchen, wird durch Teilung bestraft. Oberteufel Kolbuk erscheint und spaltet Laura in zwei Teile, damit sie "Mann und Kinder glücklich machen und zufrieden und geachtet leben" (146) kann. Amanda, die hexische Hälfte, wird in den Hörselberg ins DDR-Grenzgebiet verbannt. Laura verliert durch die Teilung ihr "eulenspiegelhaftes Wesen" (148) und wird körperlich und geistig träge.

Laura ist zum Sinnbild einer gespaltenen Frau, eines Halbwesens geworden. Irmtraud Morgner rekurriert mit der phantastischen Teilung Laura Salmans in eine "normale" und eine "hexische" Hälfte auf den Widerspruch der arbeitsteiligen Produktion in der DDR. Frauen werden in den gesellschaftlichen Produktionsprozess einbezogen, sind aber zusätzlich allein verantwortlich für die alltägliche Reproduktionsarbeit. Das aus Berufstätigkeit und ökonomischer Unabhängigkeit erwachsene neue Selbstwertgefühl der Frauen und die daraus erwachsenden Ansprüche, die sie an die Gestaltung von Partnerschaft und Sexualität stellen, werden von der (männlichen) Parteiführung nicht als gesellschaftliches Problem gesehen, sondern zum individuellen Problem der einzelnen Frauen gemacht, in das sich die Partei nicht einmischen kann (und will). Im Roman wird diese "Politik der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" (279) in der vergnüglichen Geschichte der Evakuierung des "übersinnlichen Schwarms" (278) vom Brocken in Schloss Blocksberg respektive Hörselberg gespiegelt. Die bürgerlich-patriarchalen Sitten und Gewohnheiten der Frauenunterdrückung werden von der DDR übernommen, aus verteidigungspolitischen Gründen jedoch nur "nach innen" verlagert; eine offensive Auseinandersetzung findet nicht statt.

2. Individualistische Strategien

Die historisch gewachsene Arbeitsteilung, die den Frauen die Verantwortung für die Reproduktionsarbeit auflädt, die Männer von dieser Verantwortung entlastet und ihnen die ungehinderte Fixierung auf ihre Berufstätigkeit ermöglicht, führt zu einer Gleichberechtigung, die "gleiche Rechte und doppelte Pflichten"[3] für die Frauen bedeutet. Ein Ausbrechen aus den Rollenklischees oder eine Verweigerung der Doppelbelastung wird sanktioniert, bei Laura Salmann durch die teuflische Teilung. Die Teilung gilt aber in unterschiedlichen Formen für alle Frauenfiguren und - mit einigen Einschränkungen - auch für die Männerfiguren des Romans, sie ist zu einem gesellschaftlichen Problem geworden, das von Partei- und Staatsführung nicht als solches behandelt wird. Welche individuellen Lösungsversuche Männer und Frauen entwickeln, um mit diesem Problem umzugehen, entwickelt Irmtraud Morgner in den verschiedenen Biographien ihres Figurenensembles.

2.1 Laura

Laura ergibt sich nach ihrer Teilung in die von ihr erwartete gesellschaftliche Doppelrolle. Nachdem sie Konrad Tenner durch ihre negative Veränderung verloren hat, heiratet sie Benno Pakulat und hat mit ihm zusammen einen Sohn, Wesselin. Als Benno bei einem Autounfall ums Leben kommt, muss Laura allein für sich und den Sohn sorgen. Laura liebt ihren "idealen Beruf" (636) als Triebwagenfahrerin der Berliner S-Bahn, dem sie mit großer Disziplin und Verantwortungsgefühl nachgeht: "Einen frisch gewaschenen Zug, dessen gelbroter Anstrich leuchtete, besteigen und dann menschenvoll durch eine menschenvolle Stadt zu donnern, eigenverantwortlich, souverän - das konnte durchaus in euphorische Zustände versetzen, die denen der Liebe vergleichbar waren" (636). Aber als alleinerziehende Mutter kann sie nur in Nachtschichten arbeiten, um ihren Sohn morgens zum Kindergarten bringen und nachmittags wieder abholen zu können. Laura fühlt sich den unterschiedlichen Belastungen von Beruf, Kind und Haushaltsführung nicht mehr gewachsen. Sie leidet unter chronischer Müdigkeit, die sich bis zur Lebensunlust und -müdigkeit steigert. In Erinnerung an ihre Zeit als ganzer Mensch versucht sie, durch alchemistische Experimente ein "Schlafersatzelexier" (167) zu brauen, ihr "Orplid, die Insel, wohin ich mich ausgepumpt werfen kann, wie Männer sich in die Arme einer Frau werfen; mein Hinterland, wohin ich mich flüchten kann mit Wesselin, um meine Arbeitskraft zu reproduzieren. Allein zwar, aber ungezwiebelt und unauffindbar" (275). Ihre alchemistischen Experimente führen mehrfach zu Begegnungen mit Amanda, ihrer hexischen Hälfte. Amanda will sich mit Laura vereinigen und in einer Hexenrevolution das patriarchale Regime Kolbuks (und der DDR) stürzen, das Trinksilber erobern und die Befreiung der Frauen, sprich: die Ganzheit aller weiblichen Halbwesen wieder herstellen. Laura dagegen ist sich nicht sicher, ob sie eine Wiedervereinigung mit Amanda wirklich will. Sich mit Amanda zu vereinigen, hieße, sich die "eigene Natur anzueignen"[4], ein Prozess, der sehr unangenehm und schmerzhaft sein kann, denn die eigene Sexualität, die Erotik gehören zu den Bereichen weiblichen Lebens, in denen die Verkrüppelungen und Verletzungen historisch am längsten wirken und am tiefsten reichen. Laura misstraut Amanda und ihren radikal-feministischen Umsturzplänen, denn Weltverbesserer, "die im Weltmaßstab Glück schaffen wollen", sind an einer "Vereinheitlichung des Denkens" (296), an vollständigen, geschlossenen Denksystemen interessiert, vergleichbar dem Marxismus. Derartige Systeme sind in Lauras Augen nicht in der Lage, "einen einzigen Menschen glücklich zu machen" (296). Sie bleibt bei ihrer individuellen Strategie, sich von einem Mann helfen zu lassen. Heinrich Fakal, der alte FDJ-Jugendfreund, soll als männliche Identifikationsfigur für ihren Sohn dienen und das Trinksilber, das "entrücken und unteilbar machen" (117) kann, aus dem Blocksberg stehlen. Aber auch dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, Heinrich wird verraten und in Schloss Blocksberg "gerichtet" (651).

2.2 Vilma Gommert-Tenner

Laura lernt Vilma Tenner über eine Anzeige kennen, in der sie närrischen Beistand für ihre alchemistischen Experimente sucht. Vilma ist in Lauras Alter, klein, blond, dünn und blass, ein "dürftige(s) Frauchen" (187). Sie ist mit Konrad Tenner verheiratet und hat drei Kinder. Vilma ist Sekretärin in der Redaktion der "Neuen Philosophischen Blätter" und hat schon sehr früh begriffen, dass "Geschichte und Gewohnheit" (191) den Frauen "Spezialisierung" auf Ehe und Kindererziehung abverlangen. Daher bricht sie ihr Philosophiestudium ab und beschließt bereits mit vierundzwanzig Jahren, ihr "wirkliches Leben" auf die Zeit nach ihrem 40. Geburtstag zu vertagen. Ihr "erstes Leben" (191) als Sekretärin, Hausfrau und Mutter besteht aus Dienstleistungen und Verzicht, ihr "zweites" soll mit der Wiederaufnahme ihres Philosophiestudiums beginnen. Da Vilma weiß, dass "kein Mann auf die Dauer eine Frau ertragen könnte, deren Lebensmittelpunkt nicht er wäre" (210), will sie sich von Tenner scheiden lassen. Um dieses auf die Zukunft verschobene Leben auszuhalten, sind allerlei närrische Aktionen nötig, unter anderem die Erfindung der "Leibrede" (224): Alle die Anpassung störenden Leidenschaften, Ideen und Gedanken werden ausgesprochen und verschluckt. Zu dieser närrischen Erfindung gehört auch das "Hälftenschlucken" (351), eine Methode für die Frauen, "deren störende Hälften zu widerstandsfähig sind, um mit der Zeit irgendwie von selbst abfallen und verschwinden zu können - aber Kolbuk nicht durch feurigen Eigensinn zu teuflischer Teilung reizen" (351). Vilma und viele andere Frauen haben gelernt, die eigene "störende Hälfte" zu verschlucken, um einen reibungslosen Ablauf des Ehealltags zu gewährleisten. Die Kehrseite von Vilmas Strategie des "Hälfteschluckens" ist die Reproduktion männlichen Herrschaftsdenkens, denn Vilmas Widerspruchslosigkeit und Schweigen bestätigt Konrad Tenner scheinbar die Angemessenheit seines Verhaltens, das in einer gestörten oder gar nicht stattfindenden ehelichen Kommunikation seinen Ausdruck findet.

2.3 Barbara

Barbara repräsentiert die Frauen, die von der staatlich verordneten Gleichberechtigung und der damit verbundenen Doppel- und Dreifachbelastung "die Nase voll" (320) haben. Barbara will nicht werden wie ihre Mutter, die "tüchtig in allen Rollen" und ein "Arbeitstier" (320) ist. Sie geht mit ihrem Vater 1960 in den Westen, heiratet dort und bekommt Kinder. Als ihr Mann sie nach vierzehnjähriger Ehe wegen einer vermögenden Frau verlässt und ihr die Kinder wegnimmt, geht Barbara zurück in die DDR. Da sie keinen Beruf gelernt hat, arbeitet sie als Hilfsarbeiterin in einem Glühlampenwerk im Schichtdienst. Die unregelmäßigen Schlaf- und Arbeitszeiten ruinieren ihre Gesundheit und die ihrer Kolleginnen. Barbara gibt eine Heiratsanzeige auf und trifft damit eine "Marktlücke" (323): Hundertneunzehn Männer, die sich als Opfer der Emanzipation fühlen, melden sich bei ihr. Diese Männer sind entweder von ihren Frauen verlassen worden, weil die Männer mit den Veränderungen ihrer Frauen nicht mithalten konnten, oder die Männer sind ihren Frauen "weggelaufen" (324), weil diese ihre Reproduktions- und Versorgungsaufgabe nicht mehr wahrnehmen wollten. Barbara macht diese Männer "glücklich", weil sie weiß, was von ihr erwartet wird: Anpassung war ihr "Fachgebiet", das sie in vierzehn Jahren Ehe "gelernt hatte von der Pike auf" (325). Barbara macht ihre "Spezialisierung" zum Beruf, sie bietet reproduktive Dienstleistungen gegen das Ersparte ihrer "Klienten" (326).

Auch die Frauen, die die Ehe als Versorgungseinrichtung und Alternative zur Berufstätigkeit sehen, haben "störende Hälften", die sie sich "mit Geflügelscheren und Tranchiermessern" in einem schmerzhaften Prozess "selber abtrennen" (352) müssen. Versteckt werden die Unzufriedenheit mit der Monotonie der Hausarbeit und die brachliegenden schöpferischen Energien dieser Frauen unter "Tarnkappen", die Barbara nach einem Geheimrezept "aus zweihundertfünfzigprozentigen Leitartikeln und Zucker" (352) backt.

2.4 Hilde Felber

Hilde Felbers Strategie dagegen besteht in dem Versuch, an der Macht der Männer teilzuhaben. Als der Ministerrat der DDR 1963 beschließt, Frauen für "leitende Funktionen" (179) zu schulen, gehört Hilde zu den 58 Frauen des Vorbereitungslehrgangs. Hilde, die aus einer proletarischen Familie stammt, ist ein "Nomenklaturkader" (230), eine gestandene Parteifunktionärin, die seit 13 Jahren als Abteilungsleiterin im Staatsapparat arbeitet. Alle historische Erfahrung - hier gespiegelt am Beispiel der Sirene Katharina, im ersten Leben Zarin Katharina die Große - belegt, dass Frauen, um in der Politik Erfolg zu haben, männliche Eigenschaften kultivieren müssen. Aber Hildes Teilhabe an der Macht ist beschränkt, denn "in einer Frau, die nebenbei noch die Verantwortung für vier Kinder" trägt, kann der "Hunger (...) nach Macht schwerlich aufkommen" (193). Hilde ist verheiratet, hat neben den vier Kindern noch die Großmutter zu versorgen, bei der sie aufgewachsen ist und die sie aus Dankbarkeit nicht ins Altersheim schicken will. Hilde kann, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, den Druck und die Belastung der politischen Verantwortung nicht oder nur begrenzt in ihrer Familie abladen. Die Doppel- und Dreifachbelastung als Leitungskader, Ehefrau und Mutter hat Hildes Gesundheit bereits angegriffen: Wegen "Herzinfarktverdacht" (180) wird sie "in regelmäßigen Abständen zur Kur geschickt". Hilde ist die "Vorzeigefrau" im Machtapparat der Partei; dass "die meisten Frauen sie nicht mögen" (188), muss daran liegen, dass sie bei den Versuchen der Frauen, ihre Alltagsprobleme zu lösen, ständig "fehlt" (217).

Alle Frauenfiguren leiden unter der Beschränkung, die "die Fähigkeit zu hegen" ihnen auferlegt. Diese Fähigkeit ist zwar von der Natur beiden Geschlechtern gegeben, aber "von der herrschenden Spezialistenkultur seit einigen Jahrtausenden allein bei Frauen" (377) entwickelt. Dass diese Fähigkeit sich nicht nur auf "private Zwecke" (377) beschränkt, zeigen die Berufe, in denen die Frauen tätig sind. Hausfrau, Sekretärin, Funktionärin und Triebwagenfahrerin gehören eindeutig in den Bereich der Dienstleistungs-Berufe. Die Wissenschaft dagegen, der Bereich, durch den die Welt erkennbar, begreifbar und erklärbar werden soll, ist - zumindest in Morgners Roman - eine eindeutige Domäne der Männer, die von der "herrschenden Spezialistenkultur", die den Frauen die Reproduktionsarbeit zugeteilt hat, zunächst scheinbar nur profitieren. Aber die historisch tradierte Arbeitsteilung hat auch für die Männer eine negative Seite: Die Spezialisierung auf eingeschränkte Wissenschaftsbereiche, die Unterordnung des Individuums unter seine Funktion als Wissenschaftler und die Subsumierung der Wissenschaft unter die herrschende Politik führen auch bei den Männern zu vergleichbaren Teilungsphänomenen.

2.5 Konrad Tenner

Konrad Tenner, ein "kleiner Mann mit athletischem Körper" (142) um die fünfzig Jahre, ist der Sohn einer jüdischen Mutter, die 1933 aus Deutschland emigrieren musste. Tenner kehrte als Mitglied einer Widerstandsgruppe nach Deutschland zurück, wurde 1943 wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und überlebte die Zeit bis 1945 in einem Konzentrationslager. Durch die traumatischen Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend vermisst Tenner "Sicherheiten" (144), die er in einer Familie zu finden hofft. "Bei allen Frauen, denen er nun einwohnte", sucht Tenner "mütterliche Zuwendung und ein Zuhause, ohne väterliche Zuwendung geben zu können" (144). Als er während seiner Studienzeit in Leipzig Laura kennen lernt, will er sie durch Heirat und Kinder an sich binden und findet Lauras Ablehnung dieser "natürlichen Bindungen" ein Zeichen mangelnder Liebe. Als Laura durch die Veränderungen nach der teuflischen Teilung nicht mehr attraktiv für ihn ist, "registrierte er den Verlust, ohne sich mit Grübeln über die Ursachen aufzuhalten. Ihm genügte zu wissen, dass Frauenreize vergänglich sind" (148). Tenner heiratet Vilma, von der er "entspannte Züge, ausgeglichenes Wesen, Zurückhaltung, Anpassung" (226) erwartet. Bei Vilma findet er das "Zuhause" (226), nach dem er sich sehnt und das ihm den Rücken frei hält für seinen eigentlichen Lebensmittelpunkt: die Geschichtswissenschaft.

Konrad Tenner hält die Geschichtswissenschaft für "die Königin der Gesellschaftswissenschaften" (224) und frönt ihr mit "manischer Leidenschaft" (210). Er vertritt eine Geschichtsauffassung, die "die Frauen historisch expropriiert" (226) und davon ausgeht, dass "die männliche Art (...) von Natur zu Aggressivität und Brutalität" (Hervorhebung von mir - U.S.) neigt und "geschichtsprägend" (263) geworden sei. Daraus lässt sich ableiten, dass Geschichte nur eine Folge von Gewalttaten ist, die "keine andere Tradition" (271) anzubieten hat, als die kriegerische Lösung von Konflikten. Angesichts der drohenden Stationierung von Mittelstreckenraketen im Zentrum Europas Anfang der achtziger Jahre und des Versagens "seiner" Wissenschaft, die offenbar keine Theorien zur friedlichen Lösung von Konflikten anzubieten hat, stürzt Tenner in eine Krise. Er misst seine wissenschaftliche Unproduktivität an der "Schöpferkraft" der Frauen, die dank ihrer Gebärfähigkeit "Einmaliges aller Welt sichtbar hervorzubringen" (270) in der Lage sind.[5] Der ehrgeizige Karrierist "entthront" kurzerhand seine Wissenschaft und wendet sich der Vorgeschichte zu.

Durch seine wissenschaftliche Theorie, dass die historische Arbeitsteilung und die daraus entstandenen Rollenfestlegungen für Männer und Frauen naturgegeben seien, legitimiert Tenner das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern, das bis in die Gegenwart und in seine Ehe hineinwirkt. Da er die Inhalte seiner Wissenschaft nicht in Frage stellt, reproduziert er dieses Herrschaftsverhältnis, ohne sich kritisch damit auseinander zu setzen. Er reproduziert damit gleichzeitig auch die Denknormen und das Männerbild, die sein Leben bestimmen. Tenner ist ein "Ketzer" (142), ein Denker, dessen geistige Qualitäten sich nicht in "Normgleise" (225) zwingen lassen. Um sich eine scheinbare Freiheit des Denkens in der Wissenschaft zu erhalten, passt Tenner sich "äußerlich" (644) dem von ihm selbst mit legitimierten Männerbild an. Da "von Männern (...) Erfolg verlangt" (331) wird, entwickelt Tenner als Wissenschaftler exzentrische und originelle "Schrulle[n]" (225) wie die Anschaffung von fünf Fernsehbildschirmen zur Vervollständigung seines historischen Archivs, was ihm Anerkennung der Kollegen und eine politische Funktion einbringt. Da das männliche Rollenklischee verlangt, "alles mit sich allein" abzumachen und verbietet, "sich einem anderen ernstlich anzuvertrauen" (331), ist Tenner dazu gezwungen, seine Ängste, Selbstzweifel und Unsicherheiten "zu schlucken" (335) bis zur "Angstneurose", die dann mit Alkohol betäubt werden muss. Mit seiner Angst kann Tenner "nicht allein sein" (338), er braucht und benutzt seine Frau als "mütterliche Höhle", die ihm "stete Zuflucht" (546) bietet.

Mit seiner Teilhabe an der Macht versucht Tenner, seine "Privatlösung" (274) durchzusetzen: ein Arbeitszimmer im Hörselberg, wo er sich mit den Frauen umgeben kann, bei denen er "die größten ketzerischen Potenzen" (650) vermutet. Mit dieser Lösung möchte er seinen status quo erhalten und gleichzeitig die schöpferischen Potenzen der Frauen für sich und seine Karriere nutzen. Tenners Strategie muss scheitern, weil das Aufnehmen weiblicher kreativer Fähigkeiten nicht ohne kritische Reflexion der eigenen Rolle möglich ist.

2.6 Heinrich Fakal

Heinrich Fakal hat sich schon als Kind "selbst zerhackt" (608). Von seinem Vater, der als KPD-Abgeordneter schon 1933 verhaftet wurde und zwölf Jahre Haft in Zuchthäusern und Konzentrationslagern überlebte, hat Fakal das Lebensmotto "Brutal gegen sich, hart gegen andere" (136) übernommen; er hat frühzeitig gelernt, sich autoritären Strukturen unterzuordnen. Fakal wird der "eiserne Heinrich" (136), seine andere Hälfte, Henri genannt, wird in einem Pappkoffer aufbewahrt. Fakal wollte schon als Kind Mathematik studieren, doch seine Delegation zu einem Studium in Moskau ist verbunden mit dem Zwang, Philosophie zu studieren. Seine Verzweiflung darüber und alle anderen Gefühle, die nicht zu seiner Rolle passen, hält er zusammen mit seiner anderen Hälfe im Koffer unter ständigem Verschluss. Fakal vertagt - ähnlich wie Vilma Tenner - den "Beginn seines eigentlichen Lebens" (609) auf später, hofft auf ein zweites Studium. Aber Fakals Leben wird "ganz und gar gebraucht und verplant" (609) und erst "jenseits der Vierzig und der Scheidung" (610) kann er Henri aus seinem Koffer entlassen. Mit einem Eckschrank und einer mathematischen Bibliothek hat Heinrich Fakal sich und seiner anderen Hälfte eine Nische eingerichtet.

Heinrich Fakal ist ebenfalls Wissenschaftler, er arbeitet als Philosoph am Institut für Wissenschaftstheorie. Er leitet dort die Arbeitsgruppe Wirtschaftsplanung und "Akademie, Partei und Staat" (567) erwarten von ihm und seiner Forschungsgruppe Gesetze zur Intensivierung der Wissenschaft. Die Übernahme seines "Forschungsleiteramtes" ist verbunden mit "der Verantwortung für das Überleben der Menschheit" (569); seither kann Fakal keine produktiven Gedanken mehr entwickeln. Fakal "war in Verantwortung erstarrt" (569), er ist zu einer Statue seiner selbst geworden. Der Erfolgszwang und die Angst vor Misserfolgen lässt sich auch bei ihm nur noch mit Alkohol betäuben. Auch Fakal will mit der Eroberung des Trinksilbers eine Frau gewinnen, um durch die Teilhabe an ihren schöpferischen und kreativen Potenzen die eigene Erstarrung und Unproduktivität aufzulösen, ohne die eigene Rolle in Frage zu stellen.

3. Sexualität als Produktivkraft

Irmtraud Morgner bezeichnet "Amanda" als Hexenroman. Hexen und Ketzer waren und sind Menschen, die "das Mögliche von übermorgen dachten und auch danach handelten"[6], die sich mit den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht abfinden wollen. "Was die Frau zur Hexe macht und hinter ihrer Schönheit steht, ist ihre Sexualität, die (...) [von den Männern] als mächtig und bedrohlich empfunden wird."[7] Die Abspaltung ihrer hexischen Hälfte Amanda trennt Laura von ihrer "Produktivkraft Sexualität" (223), die im umfassenden Sinne Morgners als ganzheitliches, sinnlich-erotisches Verhältnis zur umgebenden Welt und zu sich selbst zu verstehen ist.[8] Dass die abgespaltene hexische Hälfte als Sexualität im Sinne eines ursprünglichen Lebenstriebs zu verstehen ist, zeigt sich im Roman an den - nicht zufälligen - Zusammentreffen der beiden Hälften. Immer dann, wenn Lauras Leben gefährdet oder bedroht ist, erscheint Amanda, um ihrer irdischen Hälfte neue Lebenskraft zu geben. Als Laura sich und ihren Sohn umbringen will, erscheint sie zum ersten Mal; ein zweites Mal taucht Amanda auf, als Laura bei einem ihrer alchemistischen Experimente in Flammen aufgeht und verbrennt; ein drittes Mal treffen sie aufeinander, als Laura und Amanda auf der Flucht vor Oberteufel, Oberengel und anderen zauberischen Kräften sind, die sie in bestimmte, vorgegebene Rollen zwingen wollen.

Lauras Beruf als Triebwagenführerin ist nicht nur eine Metapher "vom fahrenden Beruf, der als Medium für die Entwicklung von Fähigkeiten gesehen wird, die Dinge des Alltags zu hinterfragen"[9], sondern auch ein Bild für die Kontrolle der eigenen Triebe. Eine Folge der Trennung von der eigenen Sexualität äußert sich in Lauras instrumentellem Verhältnis zu ihrem Körper und in ihren sexuellen Erlebnissen, die sich ohne Lust abspielen. Die Männer, mit denen Laura schläft, bleiben anonym; sie lernt sie auf ihren nächtlichen Triebwagenfahrten kennen und hofft immer auf "eine positive Ausnahme" (306). Aber "der Sexspaß blieb fast immer aus" (307), und das eigentliche Ziel dieser sexuellen Begegnungen ist der verzweifelte Versuch, einen Vater für ihren Sohn zu finden. Denn Laura steht als alleinerziehende Mutter unter dem Druck der - selbstverständlich männlichen - "wissenschaftlichen" Erkenntnis, dass Jungen ohne männliche Identitätsperson in der Gefahr schweben, homosexuell zu werden.

Die einzige beschriebene sexuelle Begegnung mit Konrad Tenner findet unter ausgesprochen lustfeindlichen und menschenunwürdigen Bedingungen statt: auf der Baustelle am Deutschen Dom, in der Nacht und bei Nieselregen; im sexuellen Akt verwirklichen sich nicht die Wünsche und Phantasien der Partner, sondern es werden vorgegebene Bilder nachgeahmt, hier "eine gewisse Abbildung vom indischen Devi Dschagadamba-Tempel" (341).

Auch die Anti-Baby-Pille, zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften für Frauen unzweifelhaft eine Errungenschaft, gehört in das Bild der abgetrennten, verschluckten oder streng kontrollierten Sexualität. Abgesehen davon, dass "Präparation (...) plötzlich nur noch Frauensache" (223) ist, dämpft die Pille die weibliche Libido, so dass die Frauen zwar ihre Angst vor ungewollten Schwangerschaften los sind, aber "die Produktivkraft Sexualität gleich mit" (223).

Im Gegensatz zu Lauras unerotischem und reduziertem Alltag ist Amanda, zusammen mit den Hexen-Hälften anderer Frauen zwangsweise im Hörselberg eingesperrt, ganz auf ihre weibliche Natur und ihre Geschlechtsfunktion zurückgeworfen. In Oberteufel Kolbuks Hörselberg-Bordell, das "mit allen Kennzeichen industriemäßigen Produzierens von Sinnlichkeit und Genuß"[10] versehen ist, erfüllt Amanda dort den (männlichen) Anhängern Kolbuks ihre erotischen Phantasien. Sie lebt dort, ebenfalls unter Herrschaftsbedingungen, die Sexualität und Erotik aus, die Laura im Alltag nicht zugänglich sind.

Während die Frauen von einer produktiven Sexualität entweder gewaltsam getrennt sind oder sie freiwillig unterdrücken und kontrollieren müssen, ist den Männern des Romans der Zugang zu ihrer Sexualität nicht verwehrt. Die Integration in die Herrschaftsstrukturen, die Teilhabe an der Macht und die zwanghafte Orientierung an einem reduzierten Männerbild deformieren jedoch ihre Sexualität.

Konrad Tenners Haltung zu seiner eigenen Sexualität ist widersprüchlich. Einerseits sucht er in jeder sexuellen Begegnung mütterliche Geborgenheit, möchte "am liebsten zurück in den Mutterleib", den einzigen Ort, wo es ihm "an nichts mangeln würde" (643), andererseits sind seine erotischen Wunschvorstellungen von Gewaltphantasien überlagert. Er findet es lustvoll, "eine schweigsame Frau gegen ihren Willen zum Sprechen zu verleiten" und "eine Frau, die zum ersten Mal auf den Strich" geht, "bedienen, wäre so aufregend wie ein Mädchen entjunfern" (333). Tenners Abhängigkeit von mütterlichen Frauen oder Sexualobjekten verursachen ihm Ohnmachtsgefühle, die er mit pornographisch durchsetzten Gewaltphantasien sexuell konnotierter Unterwerfungsakte kompensiert. Tenner nutzt seine pornographische Phantasien als "Ventil" für die "seelische Gesundheit". Dass sie Frauen austauschbar macht und dazu degradiert, nur "Vertreterin der weiblichen Art" (473), nicht mehr Individuum zu sein, ist ihm nicht begreifbar.

Der geschiedene Heinrich Fakal dagegen kann mit der "fürsorgliche[n] Liebe", die "reichlich im Angebot" (614) ist, nichts anfangen. Er "sehnt sich nach einer zehrenden Liebe", die sein kreatives Denken anregt. Sein Versuch, aus der patriarchalen Ordnung auszubrechen, Amanda zu "gewinnen" (614) und damit zu einer produktiven Sexualität zu gelangen, wird von seinem Geschlechts- und Parteigenossen Tenner verraten und vereitelt.

Irmtraud Morgner konstatiert in ihrem Roman, dass sowohl Frauen wie Männer keinen Zugang zur ihrer Produktivkraft Sexualität haben. Die Vereinigung der getrennten Hälften wäre objektiv notwendig als Voraussetzung für ein produktives, umfassend glückliches Leben, denn "nur wiedervereinigt kann aus uns werden, was die Natur exponiert hat" (295). Die Überwindung der Teilung findet aber nicht statt; einerseits, weil die Männer sich des Problems nicht bewusst sind oder seiner Erkenntnis ausweichen und Laura selbst die Notwendigkeit des Kampfes darum nicht einsieht. Andererseits, weil das Patriarchat buchstäblich Himmel und Hölle[11] dagegen in Bewegung setzt, dass die Diskussion über Arbeitsteilung aus der Institution Ehe in die öffentliche Diskussion verlagert wird.

4. Phantastische Gegenwelt

War das zentrale Thema Irmtraud Morgners [12] im ersten Band ihrer Salman-Trilogie "der Eintritt der Frauen in die Historie", so spürt sie in "Amanda" auf drei miteinander verschränkten Handlungsebenen der Geschichte der Arbeitsteilung, der damit verbundenen Unterdrückung der Frauen durch die Männer und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart nach. Der realen Alltagswelt ihrer Männer- und Frauenfiguren stellt die Autorin die phantastische Gegenwelt des Blocksbergs mit Hexen, Raben, dem Oberteufel Kolbuk und dem unsichtbaren Oberengel Zacharias gegenüber. In dieser phantastischen Gegenwelt wird die marxistische Theorie der Arbeitsteilung auf eigenwillige Art mythologisch überhöht und nachvollzogen; den individualistischen Handlungsstrategien wird ein Konzept zur Überwindung der weiblichen und männlichen Teilung entgegengesetzt. Mit diesen beiden Handlungsebenen verbunden ist die mythische Ebene, auf der Irmtraud Morgner an den antiken Mythenfiguren Prometheus und Pandora und deren Interpretation besonders durch Goethe die Zuordnung männlicher und weiblicher Prinzipien, ihre Bewertung und Umwertung von den Anfängen der Menschheit an darstellt.

Durch die Verschränkungen dieser drei Handlungsebenen wird das persönliche Leben der Romanfiguren auf vielfache Weise mit der historischen Entwicklung von Männerherrschaft und Frauenunterdrückung einerseits und mit der aktuellen Weltpolitik der achtziger Jahre andererseits verbunden, die von vielen Autorinnen und Autoren der DDR als bedrohlich empfunden wurde.

In einer alternativen Schöpfungsgeschichte in der "Brockenmythologie" des 31. Kapitels schildert Irmtraud Morgner, wie der Geschlechtergegensatz "zum Grundprinzip der Schöpfung"[13] wird. Damit wendet sie sich gegen die Interpretation der marxistischen Theorie durch die SED, die das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern als einen "Nebenwiderspruch" (146) darstellte, der sich mit der Umwälzung der Produktionsverhältnisse sozusagen automatisch auflösen würde. Morgner setzt dagegen ihre Darstellung der naturwüchsigen Arbeitsteilung, die zu einer einseitigen männlichen Form der Weltaneignung führt: Vor die Wahl gestellt zwischen rotem Zauberstein, der "die Welt zu Füßen legen" und weißem Zauberstein, der "entrücken und unteilbar machen" (117) kann, entscheiden die Männer sich für die "Welt". Diese Form der Weltaneignung erschöpft sich in der Eroberung weltlicher Herrschaft, der militärischen Absicherung dieser Herrschaft und in einer mit Gewalt verbundenen Sexualität. Sowohl phantastische wie reale Welt sind beherrscht vom Patriarchat. Im Gegensatz zur Realität der DDR und den dort üblichen individualistischen Handlungsstrategien gibt es in der phantastischen Gegenwelt kollektives weibliches Handeln, das "als gemeinsamer Widerstand gegen männliche Herrschaftsansprüche"[14] und in differenzierten Entwürfen der einzelnen Hexenfraktionen zum Ausdruck kommt. Während Isebel und ihre "HUU- oder Rotrock-Fraktion" (406) lediglich die männliche durch eine weibliche Herrschaftsform ersetzen will und Hulle und ihre "Grünröcke" eine "Relativierung männlich einseitig bestimmter Denk- und Handlungsweisen"[15] anstreben, ist es einzig Amanda, die mit ihrer Eulen-Fraktion und männlichen Bündnispartnern gemeinsam Wege zur Überwindung des patriarchalischen Systems suchen will. Diese gemeinsame Handlungsstrategie findet ihre Grenze zum einen darin, dass der vorgeführte Sturz des Patriarchats nur ein Theaterspiel in der phantastischen Gegenwelt ist. In der realen Alltagwelt dagegen fehlen Bewusstheit und Kommunikation über das Problem, nicht nur zwischen männlichen und weiblichen Individuen, sondern vor allem in der öffentlichen Diskussion der DDR-Gesellschaft.

Mit der Einbeziehung des Phantastischen in die Roman-Wirklichkeit gelingt es Irmtraud Morgner, gewohnte Sichtweisen in Frage zu stellen und "das Mögliche von übermorgen" in die (literarische) Gegenwart zu holen. Die phantastischen Seiten ihrer Protagonisten "deuten Aktionsfähigkeit, Bewegungswillen und andere jetzt noch brachliegende, aber für eine klassenlose Zukunft kostbare Eigenschaften an".[16] Diese Eigenschaften können aber erst produktiv werden, wenn die Spaltung der Menschen und das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern überwunden ist. Morgners Begriff der Produktivkraft Sexualität ist ein literarisches Versprechen, dessen Einlösung sie auf engste mit der Zukunft der sozialistischen Gesellschaft in Verbindung bringt: "Schloß Blocksberg mit Dependance Hörselberg besorgt nämlich, dass patriarchalische Gewohnheiten nicht aussterben. Ein Sozialismus aber, der die Männervorherrschaft nicht abschafft, kann keinen Kommunismus aufbauen" (549). Mit dem Gedanken, dass ein sozialistischer Staat, der sich der weiblichen und damit menschlichen Emanzipation nicht als gesellschaftlichem Problem zuwendet, folgerichtig untergehen muss, antizipiert sie den Untergang der DDR.

Fußnoten

  1. Irmtraud Morgner: Amanda. Hexenroman. Berlin und Leipzig 1983. Alle Zitate und Seitenzahlen im folgenden Text in Klammern beziehen sich auf diese Ausgabe.
  2. Irmtraud Morgner: Leben und Abentuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura. Roman in dreizehn Büchern und sieben Intermezzos, Berlin und Weimar 1980, S. 693.
  3. Alice Schwarzer: Interview mit Irmtraud Morgner, in: EMMA 1990/Heft 2, S. 36.
  4. Eva Kaufmann: Interview mit Irmtraud Morgner, in: Weimarer Beiträge 30/1984, Heft 9, S. 1499 und 1525.
  5. Dabei fällt Tenner auf seine eigene Ideologie herein, denn Frauen können zwar Kinder gebären, aber nicht alleine hervorbringen.
  6. Eva Kaufmann: Interview mit Irmtraud Morgner, in: Weimarer Beiträge 30/1984, Heft 9, S. 1497.
  7. Uta Treder: Von der Hexe zur Hysterikerin. Zur Verfestigungsgeschichte des 'Ewig-Weiblichen', Bonn 1984, S. 52.
  8. Vgl. in der Einleitung dieser Arbeit die Druckseiten 9/10.
  9. Ingeborg Nordmann: Die halbierte Geschichtsfähigkeit der Frau. Zu Irmtraud Morgners Roman "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura." in: Jos Hoogeveen und Gerd Labroisse (Hrsg.): Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Band 11/12-1981, S. 431.
  10. Gabriele Pleßke: Das ferne Maß der Harmonie. Kulturkritisches von Irmtraud Morgner, Christa Wolf und Inge von Wangennheim, in: Generationen Temperamente Schreibweisen. DDR-Literatur in neuer Sicht, Halle und Leipzig 1986, S. 229.
  11. Vgl. die Kapitel 93 - 95 und 109 - 111 des Romans; dort wird Laura sowohl von Oberteufel Kolbuk als auch von Oberengel Zacharias ein Heiratsantrag gemacht. Die freundliche Werbung wird ergänzt durch Drohungen und Erpressungen, als Laura sich weigert, darauf einzugehen.
  12. Joachim Walther: Meinetwegen Schmetterlinge. Gespräch mit Schriftstellern, Berlin 1973, S. 49.
  13. Sabine Doering: Die Schwestern des Dr. Faust. Eine geschichte der weiblichen Faustgestalten, Götingen 2001, S. 314.
  14. Monika Meier: Konzert der Redevielfalt. Die Walpurgisnacht-Darstellungen in der "Amanda" Irmtraud Morgners, in: Herbert Kaiser u. a. (Hrsg.): Literatur für Leser, Heft 4, Frankfurt am Main 1990, S. 223.
  15. Monika Meier: a.a.O., S. 227.
  16. Eva Kaufmann: Der weibliche Ketzer heißt Hexe. Gespräch mit Irmtraud Morgner, in: Marlies Gerhardt (Hrsg.): Irmtraud Morgner. Texte, Daten, Bilder, Frankfurt am Main 1990, S. 49.