Texte:Arbeitsteilung bei Hegel

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Arbeitsteilung bei Hegel
Das Kapitel „Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst“
von Stephan Siemens
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1.Einleitung

Das Denken der Totalität in der Entwicklung ist außer Mode gekommen. Das finde ich bedauerlich. Nicht nur Fragen der Ökologie stoßen uns auf eine scheinbar äußerliche Weise immer wieder auf das Problem der Totalität. Die Veränderung in der Arbeit in den großen Konzernen zwingen die unmittelbaren Produzenten sich mit der Totalität in ihrer Arbeit praktisch auseinanderzusetzen. Das ist jedenfalls meine These, auf die ich zum Schluss noch einmal zurückkommen möchte. Wenn ich es für nötig halte, die Totalität in ihrer Entwicklung zu denken, dann muss ich bei Hegel in die Schule gehen, denn er hat weitgehend die dialektischen Denkformen erarbeitet, mit denen das möglich ist. Dabei hat er allerdings die private Produktion – wenn schon nicht vorausgesetzt, so doch – für die einzig angemessene gehalten. Unter Tun wird daher im Folgenden nur privates Tun und Arbeiten verstanden, das durch den Markt vermittelt als gesellschaftliches Tun Anerkennung finden muss.

2. Einige Bemerkungen zum Begriff des Tuns

a.Das Tun als Mitte und Besonderheit

Den Begriff des Tuns kann ich als eine Einheit aller möglichen bestimmten Tätigkeiten betrachten. Der Begriff des Tuns ist so betrachtet die Einheit zweier Seiten, die beim Tun zusammenkommen müssen:

  1. dessen, dass ich überhaupt etwas tue,
  2. und dessen, was ich Bestimmtes tue

Das Verhältnis der beiden Aspekte des Begriffs des Tuns zueinander ist auf den ersten Blick zufällig. Denn was ich tue, ist gleichgültig, solange mein Tun nur unter das Tun überhaupt fällt. Wenn ich das Verhältnis der beiden Aspekte im bloßen Denken betrachte, dann kann ich – wie es scheint – tun, was ich will, solange mein Tun nur Bestandteil der Tätigkeiten ist, die zum Tun überhaupt gehören, die getan werden können und müssen.

Aber ganz so ist es in Wirklichkeit nicht. Denn bestimmte Sachen müssen auch in der gehörigen Proportion getan werden. Der Begriff des Tuns überhaupt verändert sich so betrachtet. Er bezeichnet nun die wirkliche Einheit und Gesamtheit der Tätigkeiten. Die bestimmte Tätigkeit, der ich nachgehe, muss zu diesen Tätigkeiten gehören. Das Verhältnis der Aspekte des Tuns überhaupt und der Bestimmtheit der Tätigkeiten ist nach wie vor ein zufälliges. Aber das Tun überhaupt erscheint nun nicht mehr als ein bloßer Begriff, sondern als eine die bestimmten Tätigkeiten zusammenfassende Wirklichkeit. Die logische Unterordnung (oder wie die Philosophen gerne sagen, die Subsumtion) der einzelnen bestimmten Tätigkeiten unter das Tun überhaupt ist nicht mehr nur eine begriffliche Operation in unserem Denken, sondern eine in der Wirklichkeit notwendig vorgehende Unterordnung. Denn in der Gesamtheit des Tuns überhaupt müssen auch bestimmte Tätigkeiten in angemessenem Umfang erledigt werden.

Dieselbe Zufälligkeit des Verhältnisses zwischen dem Tun überhaupt und den bestimmten einzelnen Tätigkeiten begegnet uns also auf zweierlei Weise. Wenn ich die logische Unterordnung der bestimmten Tätigkeiten unter das Tun überhaupt als eine begriffliche Operation in unserem Denken betrachte, dann erscheint es mir, als ob ich als Individuum die freie Wahl zwischen den verschiedensten Tätigkeiten hätte. Dementsprechend sieht es so aus, als ob ich frei wäre zu tun, was ich will. Ich habe so betrachtet nicht nur die freie Wahl zu bestimmten Tätigkeiten, sondern ich habe dann auch keine Schwierigkeiten, mir meine Tätigkeit unterzuordnen. Ich bin in meinem Tun als frei vorgestellt.

Wenn ich das Verhältnis des Tuns überhaupt zu den bestimmten Tätigkeiten dagegen umgekehrt als den Ausdruck einer wirklichen Zusammenfassung der Tätigkeiten auffasse, dann wird meine Tätigkeit dieser Wirklichkeit subsumiert. Sie erscheint als eine der bestimmten Tätigkeiten, die in Wirklichkeit getan werden müssen. Es ist dieselbe Zufälligkeit und Äußerlichkeit des Tuns den bestimmten Tätigkeiten gegenüber, die sich nun gegen mich als Individuum richtet. Denn indem die Gesamtheit des Tuns aller Individuen sich die bestimmten Tätigkeiten der einzelnen Individuen, und also auch meine bestimmte Tätigkeit subsumiert, ordnet sie zugleich die Individuen ihren Tätigkeiten unter, also auch mich meiner Tätigkeit, beispielsweise dem Philosophieren. Ich erscheine nicht mehr als ein freies Individuum, als ein Individuen, das tun kann, was es will, sondern umgekehrt als eine Anhängsel meines eigenen Tuns, meinem eigenen Tun untergeordnet. Die Macht, die diese Unterordnung bewirkt, ist aber keine andere als das Tun der Individuen in ihrer Gesamtheit, die Macht des ihnen äußerlichen Zusammenwirkens der Individuen selbst.

Das Tun selbst ist die Einheit des Tun überhaupt und der bestimmten Tätigkeit, der ich nachgehe. Es ist der Begriff, in dem ich diese beiden Aspekte als notwendig enthalten denke. Das Tun selbst ist – wie ich auch sagen könnte – der Begriff, der die beiden Aspekte des Tuns verknüpft, synthetisiert, miteinander vermittelt, wie Hegel das nennt. Insofern ist der Begriff des Tuns selbst die Mitte einerseits des Tuns überhaupt, des Tuns im Allgemeinen, und andererseits meines bestimmten Tun, des Tuns im Einzelnen. Als Einheit des Tuns im Allgemeinen und des Tuns im Einzelnen ist das Tun selbst Besonderheit, Mitte, die den Aspekt der Allgemeinheit und den der Einzelheit des Tuns mit einander vermittelt.

b.Das Tun als Negativität

Ich kann den Begriff des Tuns auch unter einem anderen Aspekt betrachten. Wenn ich etwas tue, dann kommt das in einer bestimmten Veränderung zum Ausdruck. Ich kann nichts tun, ohne dass sich etwas verändert. Wenn sich nichts verändert hat, dann wurde auch nichts getan. Die Veränderung muss darin bestehen, dass etwas Bestimmtes aufgehoben wurde, verneint wurde, vernichtet wurde, und etwas Anderes, anders Bestimmtes an seine Stelle gesetzt wurde. Diese Veränderung ist dann ein Tun in dem Sinne, in dem hier von Tun gesprochen werden soll, wenn das Resultat dieser Veränderung – wie wir sagen können – mit Absicht angestrebt wird. In diesem Falle war der Zweck des tuenden Individuums der Grund, warum die vorhandene Bestimmtheit aufgehoben wurde. Denn nur dann und dadurch konnte an die Stelle der bestehenden die bezweckte Bestimmtheit gesetzt werden. Beim Tun ist also der Zweck nicht nur am Ende wirklich realisiert, wie das bei der Veränderung auch der Fall ist; sondern beim Tun ist der Zweck von Anfang an in der Vorstellung des Individuums da, das etwas tut und er ist der Grund, warum das Individuum überhaupt etwas tut. Das tuende Individuum bringt Bestimmtheiten hervor, indem es andere – vorhandene – Bestimmtheiten aufhebt und die bezweckten an ihre Stelle setzt. Insofern im Tun überhaupt alle Bestimmtheiten aufgehoben und verneint werden, erscheint das Tun überhaupt als das Verneinen des Vorhandenen schlechthin, als „Negativität überhaupt“, wie Hegel sich ausdrückt.

Aber in ihrem Tun verneinen die Individuen nicht nur die vorhandenen Bestimmtheiten. Sie bringen auch andere Bestimmtheiten hervor. Es geht ja nicht um das Zerstören schlechthin (das auch immer ein bestimmtes Resultat hat, auf dessen Bestimmtheit es aber nicht ankommen soll), sondern darum, andere Bestimmtheiten zu verwirklichen. Das Individuum muss daher – wenn es etwas Bestimmtes in seinem Tun hervorbringen will – nicht nur selbst etwas Bestimmtes tun, sondern auch irgendwann mit seinem Tun aufhören. Denn nur dann erscheint das, was es getan hat, an der Bestimmtheit des Resultats als der realisierte Zweck. Der verneinende Charakter des Tuns, mit dem ein Individuum die vorgefundene Bestimmtheit aufhebt, muss selbst zu einem Ende kommen, damit ein bestimmtes bezwecktes Resultat erreicht werden kann. Das vergangene Tun, die abgeschlossene Tätigkeit, die beendete Verneinung des Vorhandenen zeigt sich am Produkt als eine neue Bestimmtheit, die zum Ausdruck bringt, dass und was das Individuum getan hat. Denn dass das Individuum etwas getan hat, kommt an der Veränderung der Bestimmtheit überhaupt zum Ausdruck. Was es getan hat, zeigt sich an dem bestimmten Verhältnis der aufgehobenen Bestimmtheit zu der verwirklichten Bestimmtheit. Die Bestimmtheit dessen, was es gibt, ist so betrachtet ein ruhender Ausdruck der Tätigkeiten, die diesem ruhenden Ausdruck vorausgegangen sind. In der Bestimmtheit dessen, was es gibt, findet der negative oder verneinende Charakter des Tuns einen beschränkten und bestimmten Ausdruck. Die Bestimmtheit des Produkts ist eine Verneinung, die aber als verneinendes Tun verschwunden ist und am Resultat des Tuns als Bestimmtheit erscheint. Um eine bestimmte Wirklichkeit als seinen Zweck zu erreichen, muss ein Individuum in seinem Tun die vorausgesetzte Wirklichkeit verneinen und mit seinem verneinenden Tun aufhören, mit anderen Worten, dieses verneinende Tun selbst verneinen, um zu der bezweckten Bestimmtheit des Produkts zu gelangen.

So sieht die Sache aus, wenn ich auf ein Individuum sehe, das einen bestimmten Zweck realisiert. Wenn ich aber auf das Tun überhaupt der Gesamtheit der Individuen blicke, dann kann ich sagen: Im Tun überhaupt werden die vorhandenen Bestimmtheiten überhaupt aufgehoben und andere Bestimmtheiten überhaupt hervorgebracht. Alle diese Bestimmtheiten liegen im Begriff des Tuns überhaupt oder – anders betrachtet – in der Gesamtheit der Zwecke, die mit dem Tun überhaupt verbunden sind. Insofern diese Zwecke alle bewusste Zwecke sind, kann ich sagen: Das Bewusstsein der Gesamtheit der tuenden Individuen, das allgemeine Bewusstsein, das alle Zwecke enthält, ist der Inbegriff aller möglichen Zwecke, aller möglichen realisierbaren Bestimmtheiten und damit der Inbegriff aller möglichen Realität (wobei hier mit Realität zunächst einmal nicht Wirklichkeit, sondern Sachhaltigkeit, Bestimmtheit gemeint ist). Das Tun überhaupt bringt alle möglichen Bestimmtheiten hervor, und das Bewusstsein, das diesem Tun überhaupt entspricht, ist nichts anderes als der Inbegriff, die Gesamtheit dieser Bestimmtheiten. Das Tun überhaupt und damit das Bewusstsein überhaupt hat also eine allgemeine Seite, die es zum Inbegriff aller Realität macht.

c.Das Tun und die Selbsterhaltung

Aber dies ist nur die eine Seite, nach der das Tun Allgemeinheit hat. Es gibt noch eine zweite Seite, nach der das Tun Allgemeinheit hat, die ich nun betrachtet will. Das Tun hat wie die bestimmte Veränderung selbst ein Ende. Die Veränderung fängt bei ihrer Voraussetzung an und hört bei ihrem Resultat auf. Nach der Seite des Produkts – wenn man so will, nach der objektiven Seite – gilt das auch für das Tun. Insofern sind der Begriff des Tuns und der der Veränderung durchaus vergleichbar. Aber beim Tun schafft das Individuum – in allem, was es tut – zugleich die Voraussetzung dafür, dass es weiter – dieses oder etwas Anderes – tun kann. Das Tun hat nicht nur ein bestimmtes Resultat, sondern im Tun erhält sich zugleich das tuende Individuum selbst (wenn auch unter Umständen vermittelt durch das Tun anderer Individuen, vermittelt durch den Markt). Das Tun des Individuums beinhaltet eine solche Veränderung, in der das tuende Individuum sich selbst erhält. Es ist daher in gewisser Weise eine Veränderung, die unmittelbar in Bezug auf das tuende Individuum keine Veränderung zu sein scheint. Denn das tuende Individuum bleibt in seiner Selbsterhaltung dasselbe.

Andererseits geht das Tun der Individuen darauf, Bestimmtheiten aufzuheben – und insofern es den Aspekt des Tuns überhaupt hat, darauf, alle Bestimmtheiten aufzuheben oder zu verneinen. Das tuende Individuum ist aber ein bestimmtes Individuum. Das tuende bestimmte Individuum hat – insofern es sich in seinem Tun selbst erhält – in seinem Tun notwendig eine Beziehung auf sich selbst. Insofern das Tun des Individuums alle Bestimmtheit aufhebt, verändert es also nicht nur etwas anderes, nämlich eine in der vorhandenen Wirklichkeit aufzuhebende Bestimmtheit, an deren Stelle es eine andere Bestimmtheit setzt. Sondern das tuende Individuum verändert in seinem bestimmten Tun – insofern es sich darin auf sich selbst bezieht – notwendig seine eigene Bestimmtheit und also sein eigenes Tun, sich selbst. Denn das Individuum kann nicht wirklich etwas tun, ohne etwas Bestimmtes zu tun. Diese Bestimmtheit des Tuns wird – wie jede Bestimmtheit im Tun – nicht nur hervorgebracht, sondern zugleich aufgehoben und verändert, modifiziert. Jedes Tun verändert nicht nur etwas und erhält zugleich das tuende Individuum, sondern es verändert zugleich das Tun des Individuums und damit das tuende Individuum selbst. Jedes Tun ist reflexiv, sich selbst verändernd. (Es liegt Hegel fern, die Arbeit von dieser Reflexivität auszunehmen, wie das im 20. Jahrhundert Mode geworden ist. Im Gegenteil sieht Hegel, wie die Dialektik von „Herrschaft und Knechtschaft“ zeigt, gerade in der Arbeit einen beispielhaften Fall der Selbstveränderung im eigenen Tun.)

d.Das Tun und das Bewusstsein des Tuns

Schließlich ist das Tun selbst mit dem Bewusstsein des Tuns verbunden. Das Bewusstsein des Tuns hat drei Bewusstseinsweisen:

  1. Den als ruhig vorgestellten Zweck, wie er noch im Bewusstsein des tuenden Individuums vorliegt und im Gegensatz zu einer vorhandenen Wirklichkeit steht
  2. Die Beziehung des Zwecks auf die Wirklichkeit als der Prozess der Verwirklichung des Zwecks, als sein Übergang in die Wirklichkeit, oder als Sache vorgestellt, das Mittel,

3.den Zweck als verwirklichten Gegenstand, also als etwas, was auch für das tuende Individuum selbst ein wirklicher und für es anderer Gegenstand ist. Wenn bei dem Tun herauskommt, was das tuende Individuum bezweckt hat, dann ist der Inhalt in allen drei Momenten des Bewusstseins des Tuns derselbe. Es ist daher in gewisser Weise nur eine Veränderung der Betrachtungsweise, ob er als Zweck, als Mittel oder als realisierter Zweck angesehen wird. Denn wenn das Tun gelingt und der Zweck verwirklicht ist, dann erscheint derselbe Inhalt in zwei Formen, als vorgestellter Zweck und als realisierter Zweck. Das Tun ist der Formwechsel, die Verwirklichung des Inhalts. So betrachtet geht das Tun des Individuums nicht über sich hinaus. Die Unterschiede von vorgestelltem Zweck im Individuum und realisiertem Zweck in der Wirklichkeit betreffen nur die Form, in der der Inhalt, das Tun als Ganzes sich darstellt.

Betrachte ich aber nicht das Tun eines Individuums, sondern das Tun überhaupt, dann verkehrt sich die Betrachtung in ihr Gegenteil. Beim bestimmten Tun eines Individuums ist es derselbe Inhalt, der in verschiedenen Formen erscheint. Beim Tun der Gesamtheit der Individuen stellt sich offenbar der Inhalt als der Formwechsel selbst heraus: Das Tun insgesamt besteht in nichts anderem als darin, die Gesamtheit der vorgestellten Realität zu verwirklichen, d. h. diesen Formwechsel ins Werk zu setzen. Auf die Gesamtheit bezogen ist mit anderen Worten die Form selbst, die Übersetzung des Bezweckten in verwirklichte Zwecke, der Inhalt, den das Tun überhaupt hat. In dieser Betrachtungsweise ist es nicht so, dass ein und derselbe Inhalt in verschiedenen Formen erscheint, sondern umgekehrt so, dass der Inhalt selbst die Formverschiedenheit ist. Was im einzelnen Tun verwirklicht wird, ist nur ein Beispiel dessen, was der Inhalt überhaupt ist, nämlich der Wechsel der Form vom vorgestellten zum verwirklichten Zweck.

3. Der Begriff des sich verwirklichenden Individuums

Hegel möchte in Abschnitt mit dem Titel „Das geistige Tierreich und der Betrug oder die Sache selbst“ zunächst einen bestimmten Standpunkt des Bewusstseins charakterisieren, indem er darstellt, was dieses Bewusstsein für die Wahrheit hält. Dieses Bewusstsein enthält zugleich ein Bewusstsein seiner selbst. Hegel wird daher dann das Bewusstsein darstellen, das dieses Bewusstsein von sich selbst und seiner eigenen Wahrheit hat. Hegel wird es daran anschließend anhand der Erfahrung, die es macht, kritisieren. Schließlich wird er Konsequenzen hinsichtlich der Wahrheit und der Unwahrheit des Standpunkts ziehen, den das Bewusstsein anfänglich eingenommen hat. a. Der Standpunkt des Bewusstsein, wie er sich für uns darstellt

Der Standpunkt dieses Bewusstseins lässt sich so beschreiben: Wahrheit ist die Übereinstimmung von Denken und Wirklichkeit. Diese Übereinstimmung ist der Sache nach deswegen gegeben, weil das Individuum sich in seinem Tun verwirklicht. Die Wirklichkeit ist ebenso wie das Denken nur jeweils eine Seite dessen, was in Wahrheit das Tun des Individuums ist. Weder die Wirklichkeit noch das Bewusstsein ist etwas selbständig Existierendes, sondern beides sind nur je eine Seite, ein Ausdruck, eine Darstellungsform des Tuns des Individuums. Im Tun sind Bewusstsein und Wirklichkeit miteinander verknüpft. Darin ist auch die Selbständigkeit beider verneint.

Das Individuum, das diesen Standpunkt hat, will sich in seinem Tun verwirklichen. Das Individuum hat so betrachtet in sich einen Inhalt, den es zu verwirklichen trachtet und der in ihm eine gedachte Einheit ist. Dieser Inhalt stellt verwirklicht eine seiende Einheit dar. Der eine und derselbe Inhalt ist in der Form der gedachten Einheit da und geht in der Verwirklichung über in die Form der seienden Einheit. Dieser Übergang, der Formwechsel ist das Tun als Prozess. Der Inhalt ist dasselbe Tun, aber nicht als Prozess, sondern als das Ganze, das in allen seinen Momenten dasselbe bleiben muss, soll es gelingen, dass sich das Individuum in seinem Tun verwirklicht.

i.Die „ursprünglich bestimmte Natur des Individuums“

Das Individuum findet sich als ein Einzelnes vor. Es hat einen bestimmten Inhalt, den es zu verwirklichen hat. Diesen Inhalt nennt Hegel die „ursprünglich bestimmte Natur“ des Individuums. Er ist ursprünglich, insofern alles weitere aus ihm hervorgeht; und er ist ursprünglich bestimmt, weil das Individuum ein Bestimmtes ist. (Hegel leitet diese Bestimmtheit aus der vorhergegangenen Entwicklung des Gedankengangs in der „Phänomenologie des Geistes“ ab. Hier reicht es aber durchaus einzusehen, dass ein Individuum nur dann ein Individuum ist, wenn es ein bestimmtes Individuum ist.) Diese ursprüngliche Natur zeigt sich an dem Individuum auf eine doppelte Weise. Sie ist nicht nur in ihm als sein Inhalt vorhanden. Sie muss auch das Element sein, in dem sich das Individuum verwirklichen muss und das es braucht, um sich darin zu verwirklichen. Insofern ist das menschliche Tun vergleichbar mit dem tierischen Leben. Denn das Tiersein spezifiziert sich entsprechend der in der Natur gegebenen Elemente, die ihm als Lebensraum dienen. Wie zum Beispiel der Fisch im Wasser lebt und dem Element des Wassers sein Lebensprinzip aufdrückt und sich darin erhält und fortpflanzt, so ist auch das menschliche Individuum in der Lage, sich in seiner – wie sich noch zeigen wird – geistigen Natur zu erhalten. Die geistige Natur ist dem menschlichen Individuum das Element, worin es sich verwirklicht und erhält. Deswegen kann die ursprünglich bestimmte Natur des Individuums, obwohl sie bestimmt und beschränkt ist, das Tun des Individuums nicht beschränken. Denn das Tun des Individuums geht über seine Natur nicht hinaus, und ist deswegen auch zunächst nicht durch seine Natur beschränkt.

ii.Die Unbeschränktheit des Tuns des Individuums

Aber auch die Bestimmtheit des Inhalts dessen, was das Individuum zu verwirklichen hat, kann sein Tun nicht beschränken. Denn insofern ich bei diesem Inhalt von einem bestimmten spreche, betrachte ich das Individuum nur als ein seiendes Individuum, den Inhalt in dem Individuum noch als nur seiend. Ich sehe das Individuum noch nicht als ein tuendes Individuum an. Denn das Tun – das hatte sich beim Begriff des Tuns gezeigt – hebt alle vorhandenen Bestimmtheiten auf und setzt andere Bestimmtheiten an deren Stelle. Das gilt nicht nur für die vorausgesetzte und insofern vorgefundene äußere Wirklichkeit. Es gilt auch für die Bestimmtheit des Individuums selbst. Auch sie wird im Tun aufgehoben, weil das Tun sich auf sich selbst und seine eigene Bestimmtheit bezieht. Die Bestimmtheit ist der Ausdruck des verneinenden Charakters des Tuns am ruhenden Gegenstand und am als seiend betrachteten Individuum. Das Tun selbst ist die Verneinung aller vorausgesetzten Bestimmtheiten und setzt andere Bestimmtheiten an deren Stelle. Es ist in diesem Sinne der Inbegriff der Realität, also aller sachhaltigen Bestimmtheit. Es kann daher nicht durch die Bestimmtheit des Inhalts dessen, was das Individuum zu verwirklichen hat, beschränkt werden.

Das Tun des Individuums kann zwar durch die ursprüngliche Natur des Individuums nicht beschränkt werden, aber das Individuum kann – wie es scheint – seine ursprünglich bestimmte Natur in seinem Tun verwirklichen. Es ist die unmittelbare Einheit des unbeschränkten Tuns und der Verwirklichung des beschränkten Inhalts. Diesen Widerspruch muss es erfahren. Zunächst aber stellt sich die Frage, wie sich das Bewusstsein für sich selbst darstellt. b.Der Standpunkt des Bewusstseins für es selbst

Denn das vernünftige Selbstbewusstsein enthält auch ein Bewusstsein seiner selbst. Es ist das Bewusstsein seiner selbst als des sich in seinem Tun verwirklichenden Selbstbewusstseins. Das Tun ist verbunden mit dem Bewusstsein des Tuns, dem vorgestellten Zweck, dem Mittel und dem verwirklichten Zweck. Das Bewusstsein des tuenden Selbstbewusstseins ist also in diesen drei Momenten zu betrachten, wobei der Inhalt immer derselbe sein muss, soll die Selbstverwirklichung im Tun klappen. Denn dies ist die Wahrheit dieses Bewusstseins, dass Denken und Sein übereinstimmen, weil sich das Individuum verwirklicht. Der Inhalt muss also immer derselbe sein: Das Individuum muss seinen Inhalt zu verwirklichen versuchen, es muss ihm möglich sein, seine ursprüngliche Natur zu verwirklichen, die Mittel müssen dem Zweck angemessen sein, und das Ergebnis des Tuns muss auch den Inhalt des Individuums, seine ursprünglich bestimmte Natur zum Ausdruck bringen.

a.Das Problem der Selbstverwirklichung im Tun

Denn der Inhalt, den das Individuum verwirklichen will, ist nichts anderes als seine ursprünglich bestimmte Natur, seine besondere Fähigkeit, sein Charakter, sein Talent usw. usf. Dies zu verwirklichen ist das einzige, was das Individuum zu tun hat. Darauf hat es sich zu konzentrieren. (Man könnte sich in einer äußeren Überlegung fragen: Was ist denn, wenn das Individuum etwas anderes tut? Diese Frage ist zwar angebracht, aber eigentlich nicht erlaubt. Denn dann würde sich das Individuum verfehlen, es würde nicht seinen Inhalt verwirklicht haben. Es würde – wie Hegel sich ausdrückt – ein Nichts sein, das in ein Nichts hineinarbeitet. Das entspricht – so scheint es – nicht der Voraussetzung, dass das Tun im Sinne der Verwirklichung des eigenen Zecks gelingt. Was jedoch hier nur als eine äußere Überlegung oder Reflexion erscheint, wird sich mehr und mehr als ein wirkliches Problem an der Sache selbst herausstellen.) Der zu verwirklichende Inhalt muss nicht nur im Individuum präsent sein, sondern er muss sich auch in der Wirklichkeit darstellen lassen. Sie muss den Stoff für die Verwirklichung des Inhalts abgeben und sie muss sich so verändern lassen, dass der Zweck realisiert werden kann. Das Bewusstsein lässt sich also vom Schein einer vorgefundenen Wirklichkeit nicht täuschen. Es verneint die vorhandene Wirklichkeit, sieht in ihr nur den Stoff der Veränderung und verwirklicht seinen eigenen Inhalt an ihrer Statt.

Denn erst wenn das Bewusstsein seinen Inhalt verwirklicht hat, dann ist er auch für das Bewusstsein. Dann erst weiß es wirklich, was es ist. Zwar hat der Unterschied dessen, was das Bewusstsein tut und dessen, was in Wirklichkeit ist, keine Wahrheit mehr für dieses Bewusstsein; denn die Wahrheit ist für es die Einheit des Denkens und des Seins im sich selbst verwirklichenden Tun. Aber um etwas tun zu können, muss das Individuum ein Begriff davon haben, was es verwirklichen soll. (Wenn es sich dabei um bestimmte endliche Zwecke handelt, ist das kein Problem. Aber hier geht es darum, dass das Individuum sich selbst verwirklichen soll, und es ist die Frage, woher es das weiß, was der Inhalt seiner selbst ist, bevor es sich verwirklicht hat. Denn dies erfährt es erst aus seiner Tat in ihrer Gesamtheit.) Es ergibt sich hier ein fehlerhafter Kreislauf: Das Individuum müsste schon wissen, was es ist, um sich verwirklichen zu können, andererseits erfährt es das, was es ist, erst aus seiner Tat. Beide Seiten setzen sich gegenseitig voraus, so dass das Individuum keinen Anfang in seinem Tun finden zu können scheint.

b. Die „Lösung“ dieses Problems

Dieses Problem löst Hegel auf autoritäre Weise, wie es scheint. Hegel – das wird sich gleich zeigen – ist sich selbst im Klaren darüber, dass es so nicht geht. Aber es geht an dieser Stelle andererseits auch nicht anders. Also greift hier nur die Notwendigkeit, etwas zu tun. Hegel schreibt daher:

„Ebendarum hat es (das ans Handeln gehende Individuum, Stephan Siemens) unmittelbar anzufangen und unter welchen Umständen es sei, ohne weiteres Bedenken um Anfang, Mitte und Ende zur Tat zu schreiten; denn sein Wesen (das Wesen dieses Individuums, Stephan Siemens) und seine an sich seiende Natur ist alles in einem, Anfang, Mittel und Ende.“

Das Individuum geht also unmittelbar, das heißt ohne Bewusstheit, an sein Tun. Für es selbst stellt sich diese Unbewusstheit als Finden dar. Es findet in sich, was es zum Tun braucht, Anfang, Mittel und Ende scheinbar unvermittelt vor. Denn das Wesen des Individuums ist das, was es ist, eben sein Tun. Das Tun aber ist die Verbindung des Anfangs, in dem der Inhalt des Individuums noch unverwirklicht und in der Wirklichkeit bloß möglich ist, der Mitte, des Übergangs dieses Inhalts in die Wirklichkeit, und des Endes, also desselben Inhalts als verwirklichten Zwecks, der auch für das Individuum ein anderer und in gewissem Sinne äußerer Gegenstand ist. Das Individuum ist selbst in dem, was es ist, die Einheit dieser Momente des Seins und des Tuns.

Wie zeigt sich das in dem Bewusstsein, das zur Tat schreitet? Im Anfang seines Tuns findet es Umstände vor, die sein Interesse wecken. Dieses Interesse zeigt schon, dass und was hier zu tun ist. Denn im Interesse stellt sich die ursprüngliche Natur des Individuums für es selbst dar. Im Interesse werden die vorgefundenen Umstände bereits als bloßer Schein der Wirklichkeit aufgefasst, also als bloß eine Seite, eine Voraussetzung des Tuns erkannt. Im Interesse zeigt sich, dass eine bestimmte Veränderung der Wirklichkeit Sache dieses Individuums ist. So ist der Anfang schon von vorneherein bestimmt. Aber auch der Übergang und das Mittel sind als das Talent des Individuums bestimmt. Denn das Talent ist nichts anderes als die ursprüngliche Natur des Individuums. Das Talent verbindet sich mit dem Interesse, worin sich das Individuum eine Sache zu eigen macht. Es sind also die Umstände, das Interesse und das Talent des Individuums vorhanden, und deren Verknüpfung, ist das Mittel, wie es noch im Bewusstsein, d. h. bloß vorgestellt ist. So stellt sich die ganze Sache im handelnden Bewusstsein dar. Das ist aber eine einseitige Darstellung der ganzen Bewegung. Denn im Begriff des Mittels liegt es zugleich, den Übergang in die Wirklichkeit zu gewährleisten. Damit von einem Mittel gesprochen werden kann, darf es nicht nur gedacht sein, sondern es muss den Übergang vom Denken in die Wirklichkeit, vom bloß Inneren des Bewusstseins, dasselbe negierend, zum Äußeren der Existenz bewerkstelligen. Wenn das gelingt – und wir denken es jetzt als gelingend – dann ist die ganze Handlung, das Tun insgesamt, der eine Inhalt der Umstände des Zwecks, der Mittel und des Produkts wirklich da. Dann hat sich die ursprünglich bestimmte Natur des Individuums im „Werk“, wie Hegel das Produkt nennt, verwirklicht.

c. Das Werk als Ausdruck des Individuums

Die ursprüngliche Natur des Individuums ist verwirklicht und in einem „Werk“ vorhanden. Das Werk ist daher ein bestimmtes, wie die ursprüngliche Natur des Individuums, die es ausdrückt. Das Individuum hat mit dem Tun aufgehört. Das vergangene Tun erscheint an dem Werk als die Bestimmtheit desselben. Das Bewusstsein dagegen, mit dem das Individuum sein Werk betrachtet, bestimmt sich als das Tun überhaupt. Indem das Tun aufhört, trennen sich die beiden Seiten des Begriffs des Tuns wieder: Die Seite, nach der das Tun bestimmtes Tun ist, findet ihre Darstellung an der Bestimmtheit des Werks, die Seite des Tuns überhaupt dagegen findet seinen Ausdruck in dem Bewusstsein des getan habenden Individuums. (Das Verhältnis hat sich also durch das Tun verkehrt: Zunächst stand die ursprünglich bestimmte Natur des Individuums einer Wirklichkeit überhaupt gegenüber, jetzt steht das wirkliche bestimmte Werk dem Bewusstsein überhaupt als dem Ausdruck des Tuns überhaupt gegenüber.) Das Bewusstsein erscheint als das Allgemeine des Tuns überhaupt und kann daher das Werk mit anderen Werken vergleichen. Ein solcher Vergleich kann freilich nicht die qualitativ spezifische Bestimmtheit betreffen. Denn jedes Werk drückt eine andere, also auch anders bestimmte Individualität aus. Der Vergleich kann sich daher nur auf die Quantität beziehen: Es kann als ein Werk einer größeren Energie oder einer reicheren Natur erscheinen. So bleibt der Vergleich auf bloß äußerliche Bestimmungen beschränkt. Denn er hat nichts mit der ursprünglichen Natur des Individuums zu tun, die allein als Maßstab des Werks gelten kann. Ein qualitativ wesentlicher Unterschied wie der des guten oder schlechten Werks, kann hier keine Rolle spielen, weil jedes Werk das Werk eines Individuums ist, das darin zum Ausdruck kommt. Es ist daher nicht zu sehen, wie das Werk zu einem schlechten werden könnte; es würde es nur von außen durch Vergleich dazu verdorben. Aber ein solcher Vergleich ginge das Werk ebenso wenig an wie die anderen Werke selbst.) Wird das Werk aber – wie es eigentlich muss – mit der ursprünglichen Natur des Individuums verglichen, so sind beide dasselbe: es ist nichts für das Individuum an dem Werk, was nicht durch das Individuum selbst wäre. Das Individuum genießt in seinem Werk, worin es sich verwirklicht hat, sich selbst. Wenn also das Individuum nicht durch den Gedanken verdorben ist, dass es eigentlich etwas ganz anderes hätte machen sollen, dann ist es ganz mit sich und seinem Werk im Reinen. In seinem Tun hat es sich – wie Hegel sich ausdrückt – aus der Nacht der Möglichkeit , der Anlage an den Tag der Wirklichkeit gebracht. Es begegnet sich in seiner Wirklichkeit selbst und kann darin nur Freude an sich erfahren. Es ist in einer Einheit mit der Wirklichkeit außer ihm, in der es sich in seinem Werk wiedererkennt; es hat sich verwirklicht.

4.Die Wirklichkeit des sich verwirklichenden Selbstbewusstseins

a.Die Wirklichkeit als Werk

Dies ist der Begriff des Individuums von seiner Selbstverwirklichung und so stellt er sich in dem Bewusstseins des tuenden Individuums dar. Die Wirklichkeit ist nichts anderes als die Durchdringung des Seins und des Tuns des Individuums; es scheint wahr zu sein, dass Denken und Wirklichkeit notwendig übereinstimmen, weil sie nur Ausdruck eines und desselben sind, des Tuns des Individuums.

Aber die Erfahrung spricht eine andere Sprache. Das Werk ist die Verwirklichung der ursprünglich bestimmten Natur des Individuums. Anhand des Schicksals des Werks wird das Individuum die Erfahrung machen, was die Wahrheit seines Begriffs von sich ist. Wenn ich also das Schicksal des Werks betrachte, dann werde ich erkennen, was die Wahrheit des Begriffs der Selbstverwirklichung ist, den das vernünftige Selbstbewusstsein von sich hat. Wenn das Tun – als das Besondere, das das Allgemeine und das Einzelne der Tätigkeit verknüpft – aufhört, dann trennen sich die – im Tun verbundenen – Momente der Bestimmtheit des Tuns und der Einzelheit einerseits und der Allgemeinheit und des Tuns überhaupt andererseits. Die Seite des Tuns, dass es einzelnes bestimmtes Tun ist, erscheint als verwirklicht im bestimmten Werk. Die andere Seite des Tuns, dass es Tun überhaupt ist, ist der Standpunkt, auf den sich das Bewusstsein überhaupt stellt. Das Bewusstsein des Tuns überhaupt findet sich von dem einzelnen bestimmten Werk nicht erfüllt. Denn das Werk verwirklicht nicht das Tun überhaupt, sondern die ursprünglich bestimmte Natur dieses Individuums. Daher geht das Bewusstsein des Tuns überhaupt notwendig über das einzelne Werk hinaus. Es gibt andere Werke, die Ausdruck der Bestimmtheit anderer Individuen sind, und alle diese Werke stellen sich im Element des Tuns überhaupt dar. So bleibt das Tun überhaupt nicht nur ein Standpunkt des Bewusstseins, sondern wird zugleich eine die Werke in ihrer Gesamtheit verbindende – wie wir sagen könnten: gesellschaftliche – Wirklichkeit. In dieser Wirklichkeit stellen sich die Individuen einander durch ihre Werke dar. Das Individuum hat eine bestimmte ihm vorausgesetzte Wirklichkeit aufgehoben, zum Schein herabgesetzt und verändert, indem es sein Werk hervorgebracht hat. So verhalten sich nun auch die anderen Individuen zu seinem Werk, das sie als die ihnen vorausgesetzte Wirklichkeit vorfinden. Sie heben es auf, setzen es zum Schein herab und setzen ihr Werk an seine Stelle. Dadurch verschwindet das Werk des Individuums, dessen ursprüngliche Natur darin ihre Wirklichkeit haben sollte. Das Werk ist also nicht die bleibende Verwirklichung der ursprünglich bestimmten Natur des Individuums. Im Gegenteil: In der Wirklichkeit des Zusammenhangs mit anderen Individuen verschwindet die Wirklichkeit des Werks dieses bestimmten Individuums. Das Werk erweist sich als aus demselben Grunde vergänglich, dem es seine Wirklichkeit verdankt, nämlich weil die Individuen sich in ihrem Tun verwirklichen wollen. Es zeigt sich dem Individuum in seinem Werk nicht seine bleibende Wirklichkeit; sondern sein Werk stellt ihm im Gegenteil das Verschwinden seiner eigenen Wirklichkeit dar. Das Individuum erfährt sich also, indem es das Werk als seine Selbstverwirklichung auffasst, als verschwindend. Damit widerlegt die Erfahrung den Begriff, den sich das Individuum von seiner Selbstverwirklichung in seinem Tun gemacht hat.

b.Die Wirklichkeit als Verschwinden des Verschwindens

Die Erfahrung zeigt: Der Begriff des vernünftigen Selbstbewusstsein von seiner eigenen Wahrheit ist unzureichend. Das Individuum verwirklicht nicht in seinem Tun. Die Wirklichkeit seines Werks zeigt ihm sein Verschwinden. Tun und Sein, die doch übereinstimmen sollten, stimmen nicht über ein. Sie fallen im Gegenteil auseinander. Denn der Inhalt des Tuns, die ursprüngliche Natur des Individuums, stimmt nicht überein mit der Form des Tuns überhaupt. (Das Problem zeigte sich schon darin, dass man sich in äußerlicher Reflexion vorstellen konnte, dass das Individuum etwas anderes tut als seine ursprüngliche Natur zu verwirklichen. Dasselbe Problem fand seinen Ausdruck in dem problematischen Kreislauf, dass das Individuum wissen musste, was es tun will, um tun zu können, aber schon getan haben musste, um zu wissen, was es zu tun hat.) Tun und Sein entsprechen sich nicht. Der Inhalt dessen, was das Individuum zu tun hat, ist seine ursprüngliche Natur. Sie resultiert in einem bestimmten Werk. Die Form, in der dieser Inhalt verwirklicht wird, ist das Tun, das diesen Inhalt aus der gedachten Einheit in die seiende Einheit übersetzt – wie jeden anderen Inhalt auch. Die Form des Tuns ist ganz allgemein, der Inhalt ist ein einzelner bestimmter Inhalt. Sie entsprechen sich nicht. Der Inhalt des Tuns kann die Form nicht erfüllen. Das Verschwinden des Werks zeigt dem vernünftigen Selbstbewusstsein diese seine Unwahrheit: Tun und Sein des Individuums sind nicht der Sache nach dasselbe.

Im Gegenteil: Begriff und Denken auf der einen Seite und Sein und Wirklichkeit auf der anderen Seite widersprechen sich offenbar. Im Begriff des Tuns werden Tun und Sein zwar zusammengehalten, aber in der seienden Wirklichkeit sind sie getrennt und unterschieden. Ihre Beziehung aufeinander im Tun kann, wenn sie überhaupt gelingt, nur Zufall sein. Es ist also zufällig, c.dass das Individuum in seinem beabsichtigten Tun seine ursprünglich bestimmte Natur tatsächlich trifft. d.dass die Mittel, die das Individuum wählt, tatsächlich den Zweck zu erreichen erlauben. e.dass das Tun des Individuums es tatsächlich erlaubt, dass das Individuum sich verwirklicht, selbst wenn die ersten beiden Bedingungen erfüllt sind. Denn – wie Hegel sich ausdrückt – das Glück entscheidet sowohl für gute wie für schlechte Zwecke, Mittel und Naturen. Die Wahrheit des vernünftigen Selbstbewusstseins ist – wie es scheint – die Entgegensetzung dessen, was im Bewusstsein ist, und dessen, was in der Wirklichkeit ist. Es muss sich selbst und seine Bestimmtheit als verschwindend erfahren. Seine ursprüngliche Natur ist ihm vergangen.

Aber das ist nur die eine Seite der Erfahrung. Denn darin ist nur das eine Moment des Tuns, das Tun in seiner Bestimmtheit, berücksichtigt. Die andere Seite derselben Erfahrung bezieht sich auf das Tun überhaupt. Denn wenn es nur die Erfahrung des Auseinanderfallens von Bewusstsein und Wirklichkeit gäbe, dann wäre es überhaupt undenkbar, Zwecke zu verwirklichen. Denn Zwecke sind als solche, d. h. ihrem Begriff nach, auf die Wirklichkeit bezogen. Obwohl die Zwecke im Einzelnen hinsichtlich ihrer Verwirklichung betrachtet zufällig sind, liegt es im Begriff der Zwecke überhaupt, dass sie notwendig auf Verwirklichung bezogen sind. Die Notwendigkeit der Zwecke überhaupt im Tun überhaupt auf die Wirklichkeit bezogen zu werden, steht der Zufälligkeit der bestimmten Zwecke im Einzelfall entgegen. Die Notwendigkeit, Zwecke überhaupt im Tun überhaupt zu verwirklichen, greift in der Gesamtheit des Tuns über die erfahrene Zufälligkeit des bestimmten verschwindenden Werks über. So wird die Erfahrung von der Zufälligkeit des Verhältnisses von Werk und ursprünglicher Natur des Individuums selbst zu einer zufälligen Erfahrung. Dasselbe gilt von der Zufälligkeit des Verhältnisses der Mittel zu den Zwecken und des Verhältnisses des Zweck und Wirklichkeit. Alle diese Erfahrungen zufälliger Verhältnisse werden als zufällige Erfahrungen von der Notwendigkeit übergriffen, im Tun überhaupt Zwecke überhaupt zu verwirklichen. (Die Idee des „übergreifenden Allgemeinen“ – hier in der Form, dass die Notwendigkeit über die Zufälligkeit „übergreift“ – ist eine der Grundideen der dialektischen Rationalität: Sie besagt, dass in einem begrifflichen Widerspruch eine Seite des Widerspruchs begrifflich dominiert, so dass die andere Seite als ein Fall ihres eigenen Gegenteils erscheint. So ist etwa, wenn ich die Einheit vom Unterschied unterscheide, die Einheit selbst eines der Unterschiedenen: Sie ist unterschieden vom Unterschied. Sie ist der Unterschied des Unterschiedes, und damit selbst eine Fall des Unterschiedes, also ihres eigenen Gegenteils. So betrachtet wäre der Unterschied das „übergreifende Allgemeine“ von Einheit und Unterschied. Allerdings bleibt es dabei nicht. Denn da der Unterschied zwischen der Einheit und dem Unterschied, und der Unterschied, der von der Einheit unterschieden ist, ein und derselbe Unterschied ist, so ist der Unterschied, selbst wieder in einer sich in sich differenzierenden Einheit. Diese Einheit, die den Unterschied – als ihr Gegenteil – an sich hat, ist dann die übergreifende Einheit von Einheit und Unterschied, und als solche das „übergreifende Allgemeine“.)

Die Zufälligkeit der Erfahrung von der Zufälligkeit im Falle des einzelnen bestimmten Tuns und seines Werks stellt sich in der Wirklichkeit so dar: Zunächst ist die Erfahrung, die das Individuum in seiner Selbstverwirklichung in einem bestimmten Werk macht, das Verschwinden seines Werks. Aber damit das Werk verschwinden kann, muss es das Werk geben. Das Verschinden des Werks setzt des Werk selbst voraus. Mit dem Verschwinden des Werks verschwindet daher auch das Verschwinden des Werks. Ist das Werk verschwunden, so auch das Verschwinden. Wie das Verschwinden die Erfahrung der Zufälligkeit ausdrückt, so drückt das Verschwinden des Verschwindens die Zufälligkeit der Erfahrung der Zufälligkeit aus. Was bleibt ist nicht das Verschwinden, das vielmehr ebenfalls verschwindet; was bleibt ist nicht die Zufälligkeit, die vielmehr ebenfalls zufällig ist. Was bleibt ist vielmehr das Verschwinden des Verschwindens, das Sein überhaupt als Resultat des Tuns überhaupt. Was bleibt ist, dass das Verschwinden des Werks in anderen Werken anderer Individuen resultiert, für die wiederum dasselbe gilt.

Denn das Verschwinden des Werks geschieht, weil andere sich verwirklichende Individuen dieses Werk aufheben, um das ihre zu verwirklichen. Diesen anderen Individuen geht es aber mit ihrem Werk genauso. Auch ihr Werk wird durch wieder andere Individuen aufgehoben und vernichtet. Von dieser Bewegung des Aufhebens und Vernichtens bleibt auch die Wirklichkeit selbst in ihrer Gesamtheit nicht verschont. Das Tun der Individuen insgesamt hebt die Wirklichkeit insgesamt auf. Sie behält gegenüber dem Tun der Individuen keine Selbständigkeit, sondern sie ist nur Produkt des Tuns der Individuen insgesamt. Die Wirklichkeit selbst geht als ein Moment, eine Seite in dem Tun der Individuen insgesamt unter und wiederum daraus hervor als das wahre Werk der Individuen insgesamt. Das Werk der einzelnen Individuen ist zwar verschwunden, aber das wahre Werk, das von den Individuen insgesamt hervorgebracht wird, bleibt, weil es das Verschwinden des Verschwindens der einzelnen bestimmten Werke ist. Dieses wahre Werk – von Hegel die „Sache selbst“ genannt – ist nicht anderes als das Tun selbst, die Einheit des bestimmten Tuns im Einzelnen und des Tuns überhaupt im Allgemeinen, aber als ein Gegenstand aufgefasst. Diese Einheit stellt sich dar durch das Verschwinden der einzelnen Werke und das Verschwinden des Verschwindens dieser Werke: So ist das wahre Werk das abstrakt allgemeine Sein, das die verschwindenden Werke und das Entstehen der Werke (als das Verschwinden des Verschwindens der Werke) in einen allgemeinen Begriff zusammenfasst. Wir können uns das Wahre Werk als die gesellschaftliche Produktion privat produzierender Individuen vorstellen.

c.Die Wirklichkeit als die „Sache selbst“

Die „Sache selbst“ ist ein merkwürdiger Gegenstand. Sollte sich jemand die Frage stellen, was die „Sache selbst“ sein soll, dann ist das Wichtigste verstanden. Denn genau die Frage, was die „Sache selbst“ ist, wird im Mittelpunkt der Erfahrung des vernünftigen Selbstbewusstseins stehen. Zunächst ist die „Sache selbst“ die Gesamtheit des Tuns der Individuen, und daher die Durchdringung des Tuns und des Seins, der Individualität und der Wirklichkeit als Gegenstand vorgestellt. Momente dieser Sache sind sowohl das reine Tun im Allgemeinen wie das bestimmte Tun dieses Individuums. Momente dieser Sache sind auch die Formen des Bewusstseins des Tuns selbst, also der noch vorgestellte Zweck, die Mittel und der auch für das Bewusstsein als ein Anderes hervorgebrachte Gegenstand. Aus der „Sache selbst“ als ihrer Einheit treten die Momente hervor und in sie gehen sie auch wieder unter. Die Momente haben als solche keine Selbständigkeit gegen die „Sache selbst“. Alle Seiten und Momente des Tuns, die am Anfang vorgestellt wurden, sind als Momente der „Sache selbst“ aufgefasst und in ihr als Gegenstand vorgestellt. Die „Sache selbst“ ist daher ein intelligibler, ein geistiger Gegenstand, ein Gegenstand, der nur intelligibel oder nur im Geiste erfasst werden kann, dennoch aber ein Gegenstand im eigentlichen Sinne. In diesem Gegenstand spiegelt sich das Individuum als tuendes Individuum überhaupt in seinem Tun, und doch bleibt der „Sache selbst“ ein eigentümliches Eigenleben, das sich in dem Hervorbringen und zum Verschwinden Bringen der Momente darstellt. Die „Sache selbst“ ist also für uns die vermittelnde Bewegung, die die Momente des Tuns in eine Einheit bringt und miteinander vermittelt.

Das Individuum aber nimmt die „Sache selbst“ völlig anders; denn es nimmt sie unmittelbar. Es glaubt endlich darin seine Wirklichkeit gefunden zu haben. Es betrachtet die „Sache selbst“ so, wie es sie erfahren hat: Als das Bleibende, das sich durch das Verschwinden des Verschwindens der Werke darstellt und erhält. Das Selbstbewusstsein unterscheidet die „Sache selbst“ als das einfache bleibende Wesen von den offenbar verschwindenden Momenten. Deswegen kann das Selbstbewusstsein jedes der Momente der „Sache selbst“, sowohl seine eigene ursprüngliche Bestimmtheit wie das individuelle Tun, wie das reine Tun überhaupt oder die Wirklichkeit etc. im Stich und beiseite lassen, und sich immer wieder auf die Sache selbst zurückziehen. Denn diese Momente gehen immer wieder in der „Sache selbst“ unter. Die „Sache selbst“ aber ist in allen diesen Momenten da, die zu ihr – d. h. zum Begriff des Tuns als Gegenstand vorgestellt – gehören.

Die Sache selbst ist jedoch unmittelbar nur in ihren Momenten da. Das Bewusstsein geht daher unmittelbar oder zunächst nur von den Momenten aus. Diese Momente sind dann für es die „Sache selbst“. Geht es von seinem bestimmten Tun aus, so ist ihm etwa sein bestimmtes Tun die Sache selbst. Geht es aber von einem anderen Moment aus, etwa dem reinen Tun überhaupt, so ist ihm dieses Moment die Sache selbst. Je nachdem, wovon das Bewusstsein ausgeht, darin zeigt sich ihm die „Sache selbst“, die sich in allen diesen Momenten darstellt. Die Momente erscheinen so als weiterhin selbständige Subjekte in Urteilen, in denen allen diesen Subjekten als Prädikat die „Sache selbst“ beigelegt werden kann. Es kommt so zu Urteilen wie: Das Tun überhaupt ist die Sache selbst. Das einzelne bestimmte Tun ist die Sache selbst. Der Zweck überhaupt ist die Sache selbst. Der bestimmte Zweck ist die Sache selbst. Das Mittel ist die Sache selbst etc. etc. Von solchen Sätzen ließen sich noch eine Reihe anführen. Die „Sache selbst“ ist als Prädikat die abstrakt allgemeine Einheit ihrer Momente. Insofern sie in den Urteilen als das allen gleiche Prädikat aller ihrer Momente vorgestellt wird, tritt sie als ihren Momenten vom Bewusstsein beigelegtes abstrakt Allgemeines auf, als ihre Gattung.

Wenn es einem Bewusstsein um die „Sache selbst“ geht, dann ist es ihm um dieses einfache Allgemeine der „Sache selbst“ zu tun, das sich von allen diesen Momenten unterscheidet. Das Bewusstsein ist dazu gekommen, die Dinge und Gegenstände lediglich als Ausdruck des Tuns der Individuen zu betrachten, welcher Ausdruck verschwindend ist. Es ist – wie Hegel sich ausdrückt – zum Idealismus gekommen. Wenn es also dem Bewusstsein um die „Sache selbst“ zu tun ist, so heißt es deswegen „ehrlich“. Hat das Individuum ein Moment der „Sache selbst“ erfasst, so hält es dieses Moment als die „Sache selbst“ fest. Vergeht dieses Moment, so beruft sich das Individuum mit demselben Recht auf ein anderes Moment der „Sache selbst“. Es gibt daher ein Moment nach dem anderen zugunsten der „Sache selbst“ auf, die aber immer wieder unter einem neuen Moment aufgefasst wird.

  1. Hat das Bewusstsein, das ans Handeln ging, die Wirklichkeit seines Zwecks nicht erreicht, so hat es doch gewollt und die Sache bezweckt. Es ging ihm also um die „Sache selbst“. Insofern war es ehrlich. Es erklärt auf diese Weise das reine Tun, welches nichts tut, für die „Sache selbst“.
  2. Oder es hat zwar das Werk realisiert, aber das Werk ist vergangen. Das Verschwinden des Werks gehört zur „Sache selbst“, und das Individuum befriedigt sich darin, den anderen Individuen etwas zu tun gegeben zu haben. So ist die Tatsache des Verschwindens des eigenen Werks immer noch Ausdruck des eigenen Tuns, da es die anderen gereizt hat. Also ging es ihm nur um die „Sache selbst“ und es ist ehrlich.
  3. Oder es hat überhaupt nichts getan, um den Zweck zu verwirklichen. Da die Sache selbst die Einheit des – im Entschluss zum Ausdruck kommenden – Tuns und des Seins ist, so hat es nicht gemocht. Die Wirklichkeit erscheint als dasselbe, wie sein Mögen.
  4. Oder schließlich das Bewusstsein findet die Wirklichkeit ohne sein Zutun vor, so ist ihm diese tatlose Wirklichkeit als solche die „Sache selbst“. Es ging ihm aber um die „Sache selbst“, insofern es sich dafür interessierte. etc. etc.

Immer ist dieses Bewusstsein ehrlich; denn immer geht es ihm um die „Sache selbst“. Denn es bringt seine Gedanken von der „Sache selbst“ nicht zusammen. Es fasst ihre Momente nicht als Momente auf, sondern es hält sich an die Seiten und nimmt diese Seiten als die „Sache selbst“, die ihm daher als seine Sache, oder als reines Tun oder als tatlose Wirklichkeit erscheint. Aber es kriegt die Einheit der Momente der „Sache selbst“ nicht zu fassen. Deswegen besteht diese Ehrlichkeit darin, das eigentliche Wesen der „Sache selbst“ gedankenlos zu verkennen.

Aber die Subjekte sind die Momente der „Sache selbst“ und als solche auf einander bezogen. Nur diese Beziehung der Momente auf einander macht die „Sache selbst“ aus. Das Bewusstsein kann daher nicht an seiner Gedankenlosigkeit festhalten. Denn im Verschwinden der Momente zeigt sich ihm, dass die „Sache selbst“ nicht unmittelbar bleibend ist, sondern nur vermittelt durch das Verschwinden der Momente, in denen sie sich zugleich darstellt. Das Bewusstsein kommt ins Nachdenken, oder es reflektiert. Eigentlich müsste es die „Sache selbst“ als die Bewegung des Aufhebens und Hervorbringens ihrer Momente erfassen. Aber das kann es nicht. Denn es hält daran fest, dass die „Sache selbst“ ein einfaches Wesen ist, das eine solche Bewegung gerade nicht umfasst. Das Bewusstsein unterscheidet daher das einfache Wesen der „Sache selbst“ als wesentlich von dem Verschwinden der Momente als unwesentlich. Es betreibt die „Sache selbst“ als das Wesentliche, und stellt die unwesentliche Seite desselben Verhaltens für die Anderen dar. Für es zeigt sich die unwesentliche Seite darin, wie die anderen Individuen sich zu ihm verhalten. Denn die „Sache selbst“ ist nur das Ganze, die Einheit dessen, was das Bewusstsein für wesentlich hält und dessen, was es für unwesentlich hält. Daher kann das Bewusstsein nicht bloß an der einen Seite der „Sache selbst“ festhalten, weil es die ganze „Sache selbst“ vollbringen muss, um sich zu verwirklichen. Das Bewusstsein wechselt also zwischen den Seiten der „Sache selbst“ hin und her. In dieser seiner abwechselnden Bewegung verwirklicht es für uns das Ganze der „Sache selbst“. So zeigt sich die Ehrlichkeit, in der es dem Bewusstsein nur um die Sache selbst geht, als ein Betrug an sich selbst und an allen anderen. Denn indem das Bewusstsein daran geht, eine Seite der Sache selbst zu verwirklichen, täuscht es sich und die Anderen darüber, dass dieses Unterfangen zugleich mit der Realisierung der anderen Seite der „Sache selbst“ verbunden ist. Es betrügt so sich selbst und die anderen darüber, was es in Wahrheit tut. Denn es kriegt die beiden Seiten der „Sache selbst“ nicht zusammen.

Das Individuum geht also an das Handeln. Es hat etwas zu seiner Sache gemacht und stellt sich in seinem Tun den anderen Individuen dar. Die Anderen nehmen das Tun des Individuums als ein Interesse an der Sache, die ausgeführt werden soll, egal, ob von dem ersten Individuum oder von einem anderen. Sie wollen helfen oder zeigen, dass sie die Sache schon vollbracht haben. Aber da stellt sich heraus, dass es dem Individuum ebenso sehr um sein Tun und Treiben im Allgemeinen ging, als um die Verwirklichung einer bestimmten einzelnen Sache. Sein Tun scheint also hier die „Sache selbst“ zu sein, und die anderen sehen sich getäuscht und finden sich betrogen. Aber sie können sich nicht beschweren. Denn sie haben selbst nichts anderes versucht. Indem sie helfen wollen, zeigen sie durch ihre Tat, dass es ihnen ebenso auch um ihr Tun geht und nicht nur um die „Sache selbst“. Sie betrügen also in der gleichen Weise (sich selbst und die anderen) wie sie sich beschweren, betrogen worden zu sein.

Es zeigt sich, dass es dem Individuum nicht nur um die „Sache selbst“ zu tun ist, sondern ebenso sehr um sein Tun und Treiben. Nun also treibt es sein Tun für sich. Insofern scheint es auch die Anderen tun und treiben zu lassen. Aber auch das stimmt nicht. Denn sobald jemand etwas zu tun beginnt, macht es sich daran zu schaffen, versucht zu helfen, den Anderen die Sachen aus der Hand zu nehmen. Es erweist sich also wieder als etwas ganz anders, als das, was es zu sein glaubte. Die anderen Individuen sehen sich wiederum betrogen, weil das Individuum sie nicht tun lässt, was sie zu tun haben. Aber auch diese Beschwerde dreht sich um. Denn sie wollten sich den anderen Individuen in ihrem Tun darstellen, d. h. sie wollten sich allgemein machen. Deswegen können sie sich nicht beschweren, dass das erste Individuum sich an ihrem Werk zu schaffen macht. Sie haben selbst ihr Tun zu einem allgemeinen Tun gemacht.

Beide Bewegungen sind erkennbar dieselben und durchdringen einander. Sie werden nur nach einander dargestellt, weil in der Darstellung von der Perspektive eines Individuums ausgegangen wurde. Aber diese Erfahrung müssen nach Hegel alle Individuen machen, die sich in ihrem Tun verwirklichen wollen. Denn es ist immer dieselbe Bewegung, nur jeweils aus einer anderen Perspektive betrachtet, und diese Bewegung ist nichts anderes als die „Sache selbst“. Die Perspektiven, in denen das Bewusstsein auf die „Sache selbst“ guckt, sind nichts anderes als die Momente der Sache selbst. Indem das Bewusstsein diese Perspektiven abwechselt, abwechselnd einnimmt, um – wie es muss – das Ganze der „Sache selbst“ auszudrücken, macht es die Erfahrung, dass die „Sache selbst“ die Einheit der Momente ist, die es voneinander trennen wollte, indem es das eine für wesentlich, das andere für unwesentlich erklärte. Die Momente lassen sich nicht als die Sache selbst festhalten,. Sie gehen unter auch dann, wenn das Bewusstsein sie aufgrund des Nachdenkens, der Reflexion so unterscheiden möchte, dass die „Sache selbst“ ein einfaches Wesen bleibt. Dieser Versuch misslingt.

5.Die „Sache selbst“ als Subjekt: Das geistige Tierreich

Die Erfahrung des Bewusstseins zeigt: Es nimmt die „Sache selbst“ nicht richtig, wenn es sie als Prädikat ihrer eigenen Momente auffasst. In den Urteilen legt das vernünftige Selbstbewusstsein die „Sache selbst“ ihren eigenen Momenten als Prädikat bei. Die ursprüngliche Natur ist die „Sache selbst“; das Tun überhaupt ist die „Sache selbst“; die Wirklichkeit ist die „Sache selbst“ usw. So erscheint die „Sache selbst“ als das Allgemeine dieser Subjekte. Wenn die Sache selbst in diesem Sinne als allgemein aufgefasst wird, dann stellt sie sich als eine äußerliche Zusammenfassung dar. Aber die Erfahrung zeigt, dass das nicht der Fall ist. Denn die „Sache selbst“ ist nicht in erster Linie das Prädikat in solchen Urteilen, sondern sie ist im Gegenteil das Subjekt. Die Prädikate sind die Momente, in denen sich die Sache selbst darstellt. Sie machen in ihrer Gesamtheit die „Sache selbst“ aus, verdrängen aber einander. Das Urteil lautet dann: Die Sache selbst ist das bestimmte Tun und das Tun überhaupt, und die Wirklichkeit und die bestimmte Natur und all die anderen Momente in einer Gesamtheit einbegriffen. Diese sich in sich bewegende Gesamtheit bringt die Momente aus sich hervor und lässt sie ebenso wieder in sich verschwinden. Das zeigt sich in der Erfahrung der Bewegung. Sie ist also nicht nur die Einheit dieser Momente, sondern zugleich die Entgegensetzung dieser Momente, indem sie sich entweder als das bestimmte Tun oder als das Tun überhaupt oder als die Wirklichkeit oder als die ursprüngliche Wirklichkeit usw. zeigt. (Für Leserinnen und Leser, die sich für die alte formale Logik interessieren, ist sie ein zum Gegenstand gemachtes disjunktives Urteil, das heißt ein Urteil, in dem sich eine Gesamtheit selbst bestimmt durch Bestimmungen, die einander ausschließen, zusammen genommen aber sich zu einer Gesamtheit ergänzen, von denen jedenfalls eine Bestimmung zutrifft. Als ein Beispiel kann hier gelten: Alle Lebewesen sind Mikroben, Pflanzen, Tiere oder Menschen.) Die „Sache selbst“ ist Subjekt eines solchen Urteils indem sie ihre Momente als solche darstellt, oder sich zu diesen Momenten bestimmt. Sie ist in diesem Sinne keine abstrakte Allgemeinheit, sondern eine sich in sich bestimmende Allgemeinheit, eine Allgemeinheit, die sich selbst bestimmt – ebenso, wie eingangs gesagt wurde, dass das Tun sich spezifiziert, also eine sich in sich bestimmende Allgemeinheit ist. Die Momente – die bislang als Subjekte erschienen – sind in Wahrheit nur Darstellungsformen der „Sache selbst“, so auch die einzelnen bestimmten Individuen mit ihrer ursprünglich bestimmten Natur: Sie sind nur Darstellungsformen der „Sache selbst“. Umgekehrt ist auch die Gesamtheit der Individuen, das Tun und Treiben Aller und Jeder, nur eine Darstellungsform der „Sache selbst“. In ihr sind die einzelnen Individuen und ihr Tun mit der Gesamtheit der Individuen und deren Tun verknüpft, oder besser gesagt vereint, synthesiert. Die „Sache selbst“ ist das „Subjekt, worin die Individualität ebenso als sie selbst oder als diese, wie als alle Individuen ist“, wie Hegel sich ausdrückt.

Die „Sache selbst“ ist – so zeigt sich – die Einheit, die die einzelnen bestimmten Individuen und ihr bestimmtes Tun in eine Einheit verbindet mit der Gesamtheit der Individuen und dem Tun überhaupt. So hat das vernünftige Selbstbewusstsein sie ebenso als seine Wirklichkeit wie als die Wirklichkeit des Tuns aller Individuen erfahren. Die „Sache selbst“ verbindet also in einer Einheit, die in sich kontinuierlich ist, (d. h. die nicht in Teile zerfällt, sondern diese Teile zuerst hervorbringt) das bestimmte Tun der einzelnen Individuen mit dem Tun überhaupt der Gesamtheit der Individuen, wie es als Sein erscheint. Die Sache selbst verknüpft das Einzelne, sei es des Tuns, sei es des Individuums, sei es des bestimmte Tuns, mit dem Allgemeinen, sei es mit dem Tun überhaupt, sei es mit allen und jedem der Individuen, sei es mit der Wirklichkeit überhaupt. Sie ist insofern das Besondere, die Einheit der Allgemeinheit und der Einzelheit, als Gegenstand vorgestellt. Sie ist die Einheit des Ich und des Seins, des Seins und des Ichs, als Gegenstand vorgestellt. (Hegel identifiziert diese Form der „Sache selbst“ mit der Denkform der „Kategorie“, wie Kant sie nach Hegel entwickelt. Nach Hegel ist die Sache selbst – die Arbeitsteilung – die Verwirklichung, die Realisierung der Denkform der Kategorie.)

Das vernünftige Selbstbewusstsein, das wir betrachten, unterscheidet sich jedoch nach wie vor von der „Sache selbst“. Es betrachtet sich nicht als eines ihrer Momente, obwohl die Perspektiven, die das Bewusstsein auf die „Sache selbst“ einzunehmen in der Lage ist, selbst Perspektiven innerhalb der „Sache selbst“ sind. Das Bewusstsein hat keinen Standpunkt außerhalb der „Sache selbst“ mehr, von dem es sie betrachten könnte. Aber das Bewusstsein hat nur die Erfahrung gemacht, was die „Sache selbst“ ist. Es hat weder sie selbst noch seine Erfahrung begriffen. Deswegen unterscheidet es sich nach wie vor von seinem Gegenstand und subsumiert sich ihm nicht, wiewohl es in Wirklichkeit subsumiert ist. Würde es sich selbst als Moment der „Sache selbst“ betrachten, so würde es den Gegenstand und sich selbst und die Einheit seiner selbst und seines Gegenstandes als den Geist erfassen. Das aber gelingt ihm nicht.

Daher bleibt dieses Bewusstsein in einem „geistigen Tierreich“ hängen: Denn die „Sache selbst“ ist das geistige Wesen, das aber vom Bewusstsein als solches nicht erkannt ist. Das vernünftige Selbstbewusstsein hat kein Bewusstsein der Geistigkeit der „Sache selbst“, oder anders formuliert: Es hat ein unbewusstes und also bloß tierisches Verhältnis zu diesem geistigen Wesen, das wir uns als die gesellschaftlichen Bedingungen seines Tuns vorstellen können. Deswegen heißt der Abschnitt „Das geistige Tierreich“. Es ist das Reich des Tuns der Menschen, das Tun Aller und Jeder, wie Hegel sich ausdrückt, das wir als ein geistiges Reich erkennen, das also an sich ein geistiges Reich ist. Das von uns betrachtete vernünftige Selbstbewusstsein aber erkennt gerade das nicht. Es muss daher auf eine ihm äußerliche Weise die entsprechende Erfahrung machen. So erscheint ihm dieses – von ihm verkannte – geistige Wesen als eine „Natur“, in der es sich zu verwirklichen sucht, obwohl sie doch nichts anderes ist, als seine eigene, von ihm nicht erkannte Wirklichkeit. Insofern dies Reich ein produziertes Reich ist, ist es ein geistiges Reich, insofern es unbewusst produziert ist, ist es ein geistiges Tierreich. Auch die eben entwickelte Erfahrung führt nicht zu einem Begreifen des Geistes, solange das vernünftige Selbstbewusstsein sich noch von dem Gegenstand unterscheidet, den es erfährt. Erst wenn es diesen Unterschied nicht mehr macht, sondern sich der „Sache selbst“ subsumiert, wie es ihr subsumiert ist, erfasst es den Gegenstand wie sich selbst als Geist, der so unmittelbar aufgefasst Substanz ist.

6.Kritik an Hegels Darstellung der Arbeitsteilung

Hegel zeigt, dass Menschen, die privat produzieren, ihrer eigenen Tätigkeit subsumiert sind. Er zeigt, dass solche Menschen nicht in der Lage sind, ihr Tun zu beherrschen, sondern umgekehrt, von der Gesamtheit des Tuns der arbeitsteilig tätigen Individuen beherrscht werden und ihrer eigenen Tätigkeit im Besonderen untergeordnet bleiben. Eine individuelle Befreiung aus dieser Subsumtion ist – das zeigt Hegel – ist nicht möglich. Denn die Macht, mit der alle einzelnen Individuen der Arbeitsteilung unterworfen sind, ist die soziale Macht des Tuns der Gesamtheit der Individuen. Einer solchen Macht ist jedes einzelne Individuum notwendig unterlegen. Dies ist eine – auch heute – wichtige Einsicht.

Hegel identifiziert jedoch die natürliche Materialität des Produkts mit der Materialität der gesellschaftlichen Verhältnisse arbeitsteilig arbeitender Gesellschaften. Hegel sagt, dass das „Werk“ auch für das produzierende Individuum ein anderer Gegenstand ist, wenn es verwirklicht ist. Dies resultiert notwendig aus der Produktion eines Produkt. Ein Resultat der Arbeit ist nur dann ein wirkliches Produkt, wenn es auch für mich als Produzenten ein Gegenstand ist, ein Anderes. Aber das ist nicht dasselbe wie die Behauptung, dass ich als Produzent meinem Produkt unterworfen bin. Denn der Grund dafür liegt nicht in der Materialität meines Produkts. Der Grund liegt vielmehr in meinem Verhältnis zu den anderen Individuen, mit denen im Zusammenhang ich produziere. Denn diese Individuen produzieren für sich privat, wie ich das auch für mich privat tue. Erst nachträglich stellt sich der Zusammenhang der produzierenden Individuen als die „Sache selbst“ dar. Dadurch erhält das Produkt einen dem produzierenden Individuum gegenüber selbständigen Charakter, insofern es Teil des unbeherrschten gesellschaftlichen Gesamtprodukts ist. Mit der Macht des gesellschaftlichen Gesamtprodukts werde meinem eigenen Produkt subsumiert, werde ich von meinem Produkt beherrscht. Aber das ist nicht dasselbe wie die Tatsache, dass mein Produkt für mich ein Gegenstand ist, d. h. dass es überhaupt ein Produkt ist. Denn in dem Moment, in dem ich meine Arbeit bewusst als einen Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeit auffasse und verausgabe, verändert sich mein Verhältnis zu meinem Produkt. Wenn ich mich in meiner Arbeit – als ein Bestandteil meiner Arbeit – mit dem Stellenwert meiner Arbeit in der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auseinandersetzen muss, dann vermittele ich meine Arbeit mit der Gesamtheit der menschlichen Arbeitstätigkeit, und das heißt zugleich mit der Arbeitstätigkeit der anderen Individuen. Darin liegt die Möglichkeit, die Arbeitsteilung in der Arbeit der Individuen selbst aufzuheben, indem die Spezifik meiner Arbeitstätigkeit im Arbeitszusammenhang der Gesellschaft von mir bearbeitet wird.

Den Unterschied zwischen der notwendigen Gegenständlichkeit des materiellen Produkts und der Materialität der spezifischen Produktionsverhältnisse warenproduzierender Gesellschaften hat Marx herausgearbeitet. Die Warenproduzenten werden beherrscht durch ihr eigenes bestimmtes Tun und dadurch beschränkt. Diese Seite der Warenproduktion bezeichnet Marx als den „Fetischismus“ der Warenproduktion. Dagegen arbeiten die Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter in kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen zwar in einer der Form nach privaten Produktion; dem Inhalte nach aber produzieren sie gesellschaftlich in dem Sinne, dass eine Gesamtheit von Produzentinnen und Produzenten notwendig ist, um ein bestimmtes Produkt hervorzubringen. In einem Unternehmen erhalten die Arbeitsresultate daher unter den Produzentinnen und Produzenten nicht die Form von Waren. Die Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter sind so betrachtet in der Lage, sich von der Subsumtion unter bestimmte Tätigkeiten zu befreien, freilich nur, um ihrer Arbeitstätigkeit als solcher unterworfen zu sein. Denn Proletarierinnen und Proletarier müssen jede Arbeit annehmen, um überleben zu können. Sie sind nicht ihrer bestimmten Tätigkeit subsumiert, sondern der Arbeitstätigkeit überhaupt. Daher sind auch sie nicht in der Lage, ihr eigenes Produkt zu beherrschen. Die Menschen – mit einem Wort – beherrschen nicht, was sie tun. Dies liegt nicht daran, dass sie dazu – aus irgendwelchen metaphysischen Gründen – nicht in der Lage sind, sondern daran, dass die Verhältnisse, die sie in der Produktion einzugehen gezwungen sind, eine solche Selbstbeherrschung unmöglich machen. Wer sich für die Freiheit der Menschen, der menschlichen Individuen, einsetzen will, der muss die Form der privaten Produktion überwinden. Sie ist nicht – wie die Vertreter des „freien Markts“ glauben – die Garantie der Freiheit, sondern die Garantie der Unfreiheit der menschlichen Individuen. Denn die „Freiheit des Marktes“ besteht darin, dass die Marktverhältnisse – und vermittelt durch sie das profitsuchende Kapital – frei über die Menschen verfügen können.

Gegenwärtig verändern sich die Produktionsverhältnisse mit der Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit grundlegend. Die Produktivkraftentwicklung erscheint ins in zwei Formen, einerseits als die sogenannte „Globalisierung“, andererseits als neue Managementformen, also als eine Veränderung der Formen der Organisation der Produktion in den großen kapitalistischen Konzernen. Die Grundlage beider Phänomene ist eine enorme Entwicklung der produktiven Kraft der Individuen, die sachlichen Bedingungen ihrer Realisierung vorausgesetzt. Wie immer diese Veränderungen zu bewerten sein mögen: Dass sie stattfinden, ist schwer zu leugnen. Sie verschärfen in vielfacher Weise die Ohnmacht der Menschen gegenüber ihrem eigenen Produkt in seiner Gesamtheit. Paradoxer Weise ist die wachsende Ohnmacht auf eine Entwicklung der sich entfaltenden Kräfte der Individuen in der Produktion zurückzuführen. (Produktivkräfte sind zunächst Kräfte von Individuen oder Kräfte der Kombination von Individuen, also Kräfte der gesellschaftlichen Arbeit von Individuen, die im Prinzip von den Individuen beherrscht werden können.) Denn die Kraftentfaltung der Individuen in der Produktion führt dazu, dass sie – die materiellen Bedingungen vorausgesetzt – in der Lage sind, als Individuen auf Weltmarktniveau zu agieren. Sie befinden sich – auf Weltmarktniveau – in unmittelbarer Konkurrenz mit anderen gesellschaftlich produktiv tätigen Individuen. Freilich bleiben die Bedingungen, die die Individuen zur Produktion auf diesem Niveau brauchen, im Eigentum großer kapitalistischer Konzerne, so dass das, was diese Individuen tun, im Ganzen ihrer eigenen Kontrolle entzogen bleibt. Auch unter den neuen Bedingungen beherrschen die Individuen nicht, was sie tun.

Aber die Konzerne müssen ihre Strategien Profite zu realisieren der Entwicklung der veränderten Produktivkräfte anpassen. Dies ist als das sogenannte „postfordistische“ Modell der Arbeit seit Jahrzehnten diskutiert worden. Die arbeitenden Menschen werden nicht mehr – wie bis noch in die siebziger Jahre – auf parzellierte, minimale, aber gut kontrollierbare Arbeitsschritte reduziert. Sie werden im Gegenteil „als ganze Individuen“ in den Prozess kapitalistischer Ausbeutung einbezogen. Es ist heutzutage unprofitabel, die Menschen auf bestimmte Detailfunktionen zu reduzieren. Es gilt vielmehr, ihre Fähigkeiten umfassend zu entwickeln und zur Erhöhung des Profits auszunutzen. Die arbeitenden Individuen müssen heutzutage „ihrem Arbeitgeber“ nachweisen, dass sie produktiv arbeiten, das heißt, dass sich mit ihnen Profit machen lässt. Aber das ist nur eine Seite des gegenwärtig stattfindenden Prozesses. Denn eine andere, damit unmittelbar zusammenhängende Seite ist: Die unmittelbare Kontrolle der Individuen, die vordem notwendig war, ist ein Hindernis der Entfaltung der Kräfte der Individuen und also ein Hindernis der Realisierung des optimalen Profits geworden. Die Formen, in denen die Steigerung des Profits zu erreichen sind, müssen sich grundlegend verändern. Sie sind teils in „Silicon Valley“ spontan entstanden, teils in der sogenannten „68er-Bewegung“ politisch vorangetrieben worden. Die neuen Formen der „Unternehmensführung“ fußen darauf, dass die produzierenden Individuen im Wesentlichen nicht mehr durch Befehl und Gehorsam „geführt“ werden, sondern durch „indirekte Steuerung“, durch die kontrolliert modifizierte Abbildung von Marktprozessen in kapitalistischen Unternehmen hinein. Nicht Bestrafung ist der Preis für Fehlverhalten, sondern Bedrohung der sozialen Stellung, der materiellen Möglichkeiten, letztlich der Existenz der unmittelbaren Produzenten. Denn um ihrer Produktion auf Weltmarktniveau nachzugehen, bedürfen sie der Mittel, über die nur die großen Konzerne verfügen.

Dadurch entsteht eine Situation, in der die unmittelbaren Produzenten und Produzentinnen lernen müssen, sich im Rahmen der Arbeitsteilung, aber als gesellschaftlich produzierende Individuen zu behaupten, indem sie individuell Profit für das Unternehmen erarbeiten, in dem sie beschäftigt sind, und das „ihrem Arbeitgeber“ nachweisen. Sie sind gezwungen, „wie Unternehmer“ zu handeln, d. h. sie erhalten unternehmerische Funktionen, ohne doch Unternehmer, d. h. Besitzer von Produktionsmitteln, zu werden. Denn sie arbeiten nicht privat, sondern in einem Rahmen gesellschaftlicher Produktion, in großen Konzernen. Damit wird das Verhältnis der bestimmten Tätigkeit eines Individuums und der produktiven Tätigkeit der Menschheit überhaupt – vermittelt und beschränkt durch den Rahmen großer kapitalistischer Konzerne – zu einem Arbeitsgegenstand der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten selbst. Die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten müssen sich also mit dem Widerspruch der konkret nützlichen Seite ihrer Arbeit und der abstrakt allgemeinen gesellschaftlichen Seite ihrer Arbeit zunehmend auseinandersetzen. Sie haben neben der Aufgabe, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, die Aufgabe, ihre Arbeitsresultate optimal zu verwerten. Sie müssen sich in ihrer Arbeit mit der Gesellschaftlichkeit ihrer Arbeit auseinander setzen, aber nicht als private Warenproduzenten, sondern als gesellschaftlich produzierende Individuen, die jedoch für eine Gesellschaft produzieren, die ihren Produkten die Form von Waren gibt. Damit sind sie in ihrer Arbeit unmittelbar mit dem Widerspruch konfrontiert, der unsere Gesellschaft insgesamt durchzieht. Sie können und müssen diesen Gegensatz bearbeiten, wenn auch in den Schranken, welche die großen Konzerne durch ihr Eigentum an den Produktionsmitteln und die – durch sie notwendige – private Form der Produkte einer solchen Auseinandersetzung setzen. Diese Beschränkung wird gerade erst sichtbar. Denn die Entwicklung geht im Momente auf den Umschlagspunkt zu, an dem die neuen Formen der Organisation der Produktion von einer Entwicklungsform der Produktivität der Individuen zu einem Hindernis der Produktivitätsentwicklung der Individuen wird. Überdies ist diese Schranke jedenfalls verbunden mit der Subsumtion der produzierenden Individuen unter ihr Produkt. Mit zunehmender Entfaltung der produktiven Kräfte der Menschen wird die Unbeherrschtheit des Tuns der Individuen eine zunehmende Bedrohung für die Menschheit insgesamt. Beide Prozesse kommen in der Gegenwart zusammen:

  1. die Entwicklung der Fähigkeit der produzierenden Individuen, sich mit der Bedeutung ihrer spezifischen produktiven Tätigkeit im Rahmen der gesellschaftlichen Produktion insgesamt auseinander zu setzen, und
  2. das Problem, dass die Unbeherrschtheit dieser Produktion eine potenzielle Bedrohung der Menschheit insgesamt darstellt.

In das Zentrum der Auseinandersetzung um die Zukunft muss deswegen die Frage rücken, ob die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten in der Lage sind, zu beherrschen, was sie tun. Dass eine solche Selbstbeherrschung gegenwärtig nicht stattfindet, ist zweifellos der Fall und – wie mir scheint – unstrittig. Dagegen ist die Frage, ob sie möglich und wünschenswert ist. Denn es ist klar, dass eine solche Selbstbeherrschung nur durch die Individuen gewährleistet werden kann, die unmittelbare Produzentinnen und Produzenten unserer Lebensvoraussetzungen sind, mag man sie nun Lohnarbeiter, unmittelbare Produzenten oder Proletarier nennen.

Die Kapitalgeber müssen sich – um die neuen Formen der Realisierung von Profit zu nutzen – auf die Rolle von Investoren zurückziehen. Die unmittelbare Bedeutung des Kapitals in der Produktion verschwindet zunehmend. Die Produktion gelangt mehr und mehr in die Hände der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten. Freilich haben diese Individuen nicht das Bewusstsein der gegenwärtigen Entwicklung und ihrer spezifischen Stellung darin. Sie versuchen, in den neuen Bedingungen zu überleben, und das fordert im Momente ihre Kraft und Energie. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis die Widersprüche auch den Produzentinnen und Produzenten aufgehen, die unter den neuen Bedingungen arbeiten müssen. Diese Zeit gilt es zu nutzen, um die Perspektiven der eben bezeichneten Entwicklung für die Befreiung der Menschen aus der Subsumtion unter ihre eigene Tätigkeit theoretisch zu erfassen, zu erarbeiten und zu formulieren.