Texte:Nichts - Negation - Anderes

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Version vom 9. April 2008, 08:13 Uhr von Stephan (Diskussion | Beiträge) (1. Exkurs: Henrichs Darstellung des Anfangs der Hegfelschen Logik)

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Nichts - Negation - Anderes
Eine Kritik an Henrichs "Formen der Negation in Hegels Logik"
von Stephan Siemens
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An der Bedeutung Henrichs für die Aneignung der Philosophie des deutschen Idealismus und insbesondere Hegels kann kein Zweifel bestehen. Viele Philosophinnen und Philosophen haben sich in ihrem Zugang zu dieser philosophischen Epoche von Henrich leiten lassen. Das gilt auch für den Verfasser. Insofern ist eine Kritik an Henrichs Verständnis der Hegelschen Negation auch eine Selbstkritik des Verfassers. Henrich hat mit Recht das Denkens des Denkens in den Mittelpunkt seiner Forschung zu Hegel gerückt.


1. Anschlussfähig an die Gegenwart?

Henrich hat als phänomenologisch orientierter Philosoph versucht, das Denken Hegels in einer Zeit zum Gegenstand der Diskussion zu machen, als die analytische Philosophie zu dominieren begann. Das gilt auch für den hier zu erörternden Artikel: „Formen der Negation in Hegels Logik“.[1] Inzwischen ist das Grundproblem der analytischen Philosophie durch ihre weitere Ausarbeitung mehr und mehr hervorgetreten. Wer über das Denken nachdenkt, und das auf eine wissenschaftliche Weise tut, der kann bestimmte – ursprünglich aus der analytischen Philosophie als „metaphysisch“ ausgegrenzte – Fragestellungen nicht vermeiden. Auch in der analytischen Philosophie kehrten folgerichtig diese Fragen wieder, die mit dem Denken des Denkens verbunden sind. Von daher ergab sich auch in der analytischen Philosophie eine Zuwendung zu den Problemen, die in der klassischen Philosophie behandelt wurden. Ursprünglich jedoch hatten die Vertreter der analytischen Philosophie geglaubt, diese Probleme durch ihre Methode, die formale Logik im Anschluss an Frege, Wittgenstein und Russell, aus der philosophischen Literatur als „sinnlos“ ausschließen zu können. Nun – da diese Probleme zurückkehren – wenden die Vertreter der analytischen Philosophie ihre Methode auch auf diese Probleme an. Dementsprechend haben die analytischen Philosophen die Rechtfertigung ihres Tuns in sein Gegenteil verkehrt. War es am Anfang das erklärte Ziel, die philosophischen Diskussionen, die „endlos“ schienen, zu beenden, so verweisen die Vertreter der analytischen Philosophie heute darauf, dass die inzwischen endlos gewordenen Diskussionen in der analytischen Philosophie selbst fruchtbar seien. Es ergeht der analytischen Philosophie so wie jeder philosophischen Position, die sich durchgesetzt zu haben glaubt: Sie reproduziert die Widersprüche, die sie gegen die anderen philosophischen Positionen geltend machen wollte, von ihren eigenen Voraussetzungen aus, (Eine solche Entwicklung hat Hegel immer wieder treffend analysiert. Nun hat sie auch die analytische Philosophie eingeholt.) Es ist an dieser Entwicklung zu begrüßen, dass sich daraus eine Annäherung der Problemstellungen der analytischen Philosophie mit der klassischen Philosophie ergibt.

Die Besonderheit der analytischen Philosophie aber ist, dass die Methode, mit der sie die Probleme der klassischen Philosophie aufgreift, ausdrücklich dafür ungeeignet sein sollte. So ergibt sich – wo in der klassischen Philosophie mit ernstzunehmenden Argumenten gestritten wird – eine seltsame Beliebigkeit in der Wahl sogenannter „Gedankenexperimente“ die in der Tat vorführen, dass die angewendeten Methoden wissenschaftlichen Kriterien des Denkens des Denkens nicht genügen können. Es zeigt sich eine – wenn man so will „postanalytische“ – Notwendigkeit, sich erneut mit den Antworten auseinander zu setzen, die die traditionelle Philosophie auf die Fragen des Denkens des Denkens gegeben hat. Insofern ist eine neue Aneignung der klassischen Philosophie an der Zeit. Eine solche gedankliche Auseinandersetzung muss sich zu gleich mit den Problemen auseinandersetzen, die die zum Aufkommen der analytischen Philosophie zeitgleiche Interpretation der klassischen Philosophie aufgeworfen hat.

Eine solche neu notwendige Auseinandersetzung mit der klassischen Philosophie kann sich jedoch nicht als „rationale Rekonstruktion“ verstehen. Denn auf diese Weise setzte man – darin wenig rational – die eigene Rationalität einfach voraus, im Gegensatz zu der interpretierten Philosophie. (So kann man sich verhalten, wenn man die Mittel der formalen Logik tatsächlich für das Ganze der Rationalität erklären wollte.) Zugleich setzt man den zu interpretierenden Gedanken Konstruktionen voraus, die eine „Rekonstruktion“ erlauben. Die Probleme, die es gegenwärtig in der Welt gibt, und die nicht zuletzt mit dem beschränkten Begriff wissenschaftlicher Rationalität zusammenhängen könnten, sich die eigene Rationalität in selbstkritischer Auseinandersetzung mit der Rationalität der klassischen Philosophie zu erarbeiten. Insofern ist eine Beschäftigung mit diesen Texten eine Form des Denkens des Denkens, wie sie gegenwärtig an der Zeit ist. Das Erarbeiten einer Rationalität, die den Anforderungen der gegenwärtigen Entwicklung der Welt an das menschliche Denken genügen kann, ist nur möglich in Auseinandersetzung mit der klassischen Philosophie. Einen wichtigen Einsatzpunkt dafür bietet Henrichs Artikel deswegen, weil er sich an einer analytischen Lesart nicht orientiert. Ihm geht es um ein Verständnis Hegels, das allerdings an Voraussetzungen scheitert, die Henrich als selbstverständlich erscheinen und die er daher verabsolutiert.

2. Henrichs Thesen

In Hegels Logik sieht Henrich ein Denken am Werk, das wie ein Anwenden von Operationen zu denken ist, insbesondere der Operation der Negation. „’Negation’ ist unstreitig eine der bedeutendsten methodischen Grundoperationen der Logik Hegels.“ (Henrich, S. 213) Dabei soll sich Hegel einer – ihm vielleicht unbewussten – Konfusion zweier Formen der Negation bedient haben. Unter dem Titel „Bestimmtheit“ (S. 219) vermengt Hegel die „einstellige“ Negationsform (wie in „Der Tisch ist nicht“, oder „Der Tisch ist nicht rund“) und die „zweistellige“ Negationsform als „Andersheit“ (wie in dem Satz „Der Tisch ist anders als der Stuhl“ oder anders formuliert: „Der Tisch ist nicht der Stuhl.) Henrich identifiziert in einer Fußnote „Anderssein“ mit „Andersheit“, indem er feststellt, dass er das Wort „Andersheit“ wie das Wort „Anderssein“ gebrauche. (Henrich, Fußnote 5, S. 219 bzw. 228.) Ein Übergang von der einstelligen Form der Negation als ontologisierter negativer Aussageform zur Form der Negation als „Andersheit“ werde von Hegel mit sehr schwachen Argumenten versucht. Dabei will Henrich offen lassen, ob sich bessere Argumente finden ließen. Henrich identifiziert die erste „einstellige“ Form der Negation mit der von Hegel so genannten „abstrakten“ Negation (Henrich, S. 216) und die davon unterschiedene „zweistellige“ Form der Negation mit der „dialektischen Negation“. (Henrich, S. 218)

Die „einstellige“ Negation, die sich aus der ontologisierten negativen Aussageform herleite, sei für die Operationen des Absprechens und des Eliminierens erforderlich. Dagegen sei der „zweistelligen“ Negation der „Andersheit“ das Eliminieren nicht eigentümlich. Daher ergebe sich für Hegel die Notwendigkeit der Konfusion er beiden Formen der Negation. (Henrich, S. 222) Hegel wolle das Selbstverhältnis als ein Fremdverhältnis konzipieren, und letzteres dann wieder aufheben. Insofern bestehe für ihn der „Zwang“ (S. Henrich, S. 222), ach der Negationsform der Andersheit die Fähigkeit des Eliminierens zuzusprechen. Das gelinge aber nur durch die Konfusion der „einstelligen“ Negationsform, die das Eliminieren zu denken erlaube.

Aber Hegel konfundiere nicht nur die Formen der Negation, sondern auch die Formen der Negation der Negation. Dabei nennt Henrich drei Formen:

a. die Negation der Negation als grammatische Regel, bei der die Nagation 
   allerdings beliebig wiederholbar ist. (Henrich, S. 217 und S. 220)
b. Die Negation der Negation als „Andersheit an sich“, in der die Negation als 
   selbstbezüglich gedacht ist (Henrich, S. 223) 
c. und die Negation der Negation als Insichsein, Fürsichsein, Subjekt 
   etc.(Henrich, S. 223), die 
   a. nicht als selbstbezüglich gedacht sei und sich dadurch von der  
      „Andersheit  an sich unterscheide, und die 
   b. nicht beliebig wiederholbar sei und sich so von der grammatischen Regel 
      der Negation der Negation unterscheide. 

Hegel habe kein Bewusstsein solcher Unterschiede gezeigt. Im Gegenteil habe er um der Systemkonstruktion willen die Konfusion genutzt. Denn er gewinne den Abschluss seines Systems, indem er die zweite Form der Negation der Negation unter die dritte Form der Negation der Negation subsumier, woraus sich der Begriff der absoluten Negativität ergebe. (Henrich, S. 224)

Henrich kommt zu dem Schluss, dass Hegel um der Realisierung des Systems willen die Formen der Negation und die Formen der Negation der Negation konfundiere. „Was sich aus übersehbaren Gründen durch die Verschiebung der Bedeutung natürlicher Operationen und Begriffe gewinnen lässt, das hat seinen Ursprung offenbar in dem konstruktiven Willen eines Theoretikers. Es kann nicht geradezu als Selbstdarstellung einer objektiven Vernunft gelten. (Henrich, S. 226) Daher dürfe man nie vergessen, dass sich die Hegelschen Begriffe „Ganz allein aus dem konstruktiven Zugriff der Theorie gewinnen“ (Henrich, 227) lassen. Es sei daher verfehlt, wie Henrich – mit Blick auf Friedrich Engels und die Marxistische Philosophie – feststellt, einzelne „Gesetze der Dialektik“ aus ihrem Zusammenhang, also der Hegelschen Philosophie, zu reißen und als solche anwenden zu wollen.

3. Das Problem der Bewusstheit der eigenen Operationen

Was an Henrichs Darstellung überrascht, ist der Eindruck, dass ihm selbst widerfährt, was er Hegel vorwirft: Er macht sich die Operationen seines Denkens nicht bewusst. Denn die erste der von ihm unterschiedenen Formen der Negation, die ontologisierte negative Aussageform, ist eine andere Form als die zweite, die der „Andersheit“. So stehen sich – wie es scheint – die beiden Formen der Negation einander nicht mit gleichem Recht gegenüber. Denn die zweite Negationsform ist geeignet, das Verhältnis der beiden Formen der Negation zueinander zu denken; die erste dagegen nicht. Das scheint Henrich nicht zu berücksichtigen.

Wenn Henrich überdies von der – für Hegel bestehenden – Notwendigkeit spricht, von der einen Form der Negation zu der andern „überzuleiten“ (Henrich, S. 219), dann hat er die beiden Formen der Negation in einer Einheit vorgestellt, die ihm selbst ebenso wenig bewusst zu sein scheint. Denn eine solche „Überleitung“ setzt dreierlei voraus:

1. einen – vom Leser zu vollziehenden – Übergang, der den Ausgangspunkt der 
   Bewegung „einstellig negiert“,  indem er vom Ausgangspunkt zum Resultat der 
   Bewegung führt, 
2. einen Autor, der Anfang und Resultat des Übergangs und ihr Verhältnis 
   zueinander kennt und darzustellen versucht, der also die „zweistellige“ 
   Negation der beiden Negationsformen im Auge hat, und 
3. die Darstellung dieses Verhältnisses im Rahmen eines Prozesses des seiner 
   selbst bewussten gedanklichen Übergehens, das die resultierende Bestimmung 
   aus dem Übergang heraus begreiflich zu machen erlaubt, und so betrachtet als 
   eine Einheit der einstelligen Form und der zweistelligen Form der Negation 
   aufgefasst werden kann.

Es ist allein aus der Wortbedeutung der „Überleitung“ an dieser Stelle vorstellbar, die beiden von Henrich unterschiedenen – und wenn man so will, eine dritte – Negationsformen in ihrer Einheit zu erfassen. Aber Henrich ist sich seiner Operationen so wenig bewusst, wie er glaubt, dass dies für Hegel zutrifft.

Hegel hat allerdings kein Bewusstsein seiner „Operationen“, weil er von sich glaubte, in der „Wissenschaft der Logik“ keine Operationen anzuwenden.[2] Denn Operationen setzen den Unterschied zwischen demjenigen, worauf die Operationen angewendet werden, und der Operation selbst voraus. Selbst wenn die Operation „thematisch“ wird, d.h. wenn die Operation selbst der Gegenstand einer Untersuchung sein soll, so bleibt die Trennung zwischen dem „operativen“ Gebruch und dem „thematischen“ Gebrauch für ein Denken, das wie ein Anwenden von Operationen gedacht wird, bestimmend. Die Trennung von Operation und Material, auf das die Operation „angewendet“ wird oder für das sie „gebraucht“ wird, ist aber zugleich die Trennung von Inhalt (Wert, Gedanke, Gegenstand) und Methode (Funktion, Operation, wie ein Operieren vorgestelltes Denken).

Hegel war es jedoch um einen „neuen Begriff wissenschaftlicher Behandlung“[3] zu tun, dessen Methode gerade nicht vom Inhalt zu trennen ist. Hegel sagt von seiner Methode, „dass sie die einzig wahrhafte ist. Dies erhält schon daraus, dass sie von ihrem Gegenstande und Inhalt nichts Unterschiedenes ist; – denn es ist der Inhalt in sich, die Dialektik die er an ihm selbst hat, welche ihn fortbewegt“. (Hegel, Bd. 5, S. 50) Hegel denkt sich also das Denken nicht wie ein Anwenden von Operationen, sondern wie eine Selbstbewegung der Gedanken selbst. Diese Bewegung der Gedanken soll die wahrhafte Methode des Denkens des Denkens sein, so dass es keiner vom Inhalt der Gedanken unterschiedener Operationen bedarf. Dieser Zusammenhang lässt sich auch umgekehrt formulieren: Operationen sind nach Hegel nur als solche nicht durchschaute Darstellungsformen der Selbstbewegung der Gedanken. Gilt es Hegel zu verstehen, so ist es dieser Sache nicht dienlich, sich seinem Anspruch, das Denkens einer objektiven Vernunft darstellen zu wollen, von vorneherein zu entziehen. Henrich hält diesen Anspruch für unhaltbar. Daher entzieht er sich ihm, wie sich noch zeigen wird, von vorneherein. Er rekonstruiert Hegels Denken in der – als rational vorausgesetzten – Form eines wie ein Operieren gedachten Denkens. In dieser Rekonstruktion gerät er notwendig in Konfusion. Aber diese Konfusion kann er kaum Hegel zuschreiben. Er muss sie dem Mangel zuschreiben, von Voraussetzungen ausgegangen zu sein, die zu dem Gegenstand, den er erfassen wollte, nicht passen wollen.

Henrich sich durchaus bewusst, dass er die Hegelsche Theorie der Negation nur äußerlich aufgreift. Er nennt deswegen die Hegelsche Negation auch eine methodische Operation, die er einem „Kunstgriff“[4] vergleicht, der sich weder der Analyse der natürlichen Sprache verdankt, noch durch die Analyse der Aussage erzwungen ist. Als Henrich aber die „Frage nach der Rechtfertigung“ der Hegelschen Theorie der Negation aufwirft, schreibt er selbst: „Hegel selbst hätte das konstruktive Element seiner Logik schwerlich anerkennen wollen. Er hat sie für eine deskriptive Theorie über die Elemente alles Denkens gehalten.“[5] Aber Henrich hat ein anderes Verhältnis zur Theorie: „Ist aber die Theorie konstruktiv, so muss sie sich aus dem rechtfertigen, was sie leistet.“ [6] Eine als Konstruktion äußerlich aufgenommene Theorie wird nicht nach ihrer Wahrheit beurteilt, sondern nach ihrer „Leistung“, wobei das Schöne ist, dass diese „Leistung“ nicht klar definiert zu sein braucht. (Denn das würde bedeuten, dass dafür ein unkritisiertes Denken der Leistung vorauszusetzen wäre.)

Eine solche allgemeine Bemängelung besagt jedoch nicht viel. Wie ist die Kritik Henrichs im Einzelnen zu bewerten? Denn im Konkreten muss sich zeigen, was Einheit von Inhalt und Methode heißen soll.[7]

4. Die erste Form der Negation

Denkt man sich das Denken wie die Selbstbewegung der Gedanken, so hat dies zwei Konsequenzen, denen man sich nicht stellen muss, wenn man sich das Denken wie ein Anwenden von Operationen vorstellt:

a. Das Denken kann nur wie die Bewegung der Gedanken selbst gedacht werden, 
   wenn die Gedanken sich in sich selbst bewegen. Gedanken, die sich nicht in 
   sich selbst bewegen, sind entweder nur als Abstraktionen von 
   Gedankenbewegungen denkbar oder überhaupt nicht.
b. Ein Denken, das sich das Denken wie eine Bewegung der Gedanken selbst denkt, 
   muss – im Unterschied zu einem Denken, das sich das Denken wie eine 
   Anwendung von Operationen denkt – einen durch die Sache selbst d. h. durch 
   das Denken des Denkens bestimmten Anfang haben. 

Beide Gesichtspunkte sind berührt, wenn man verfolgt, wie Henrich sich die erste Form der Negation erklärt. Denn für ihn ergibt sie sich aus dem Begriff des „Nichts“. Henrich erwähnt zwar, dass der Begriff des „Nichts“ der Bestimmtheit noch vorausgeht. Er kann sich aber nicht dazu entschließen, das „Nichts“ als Anfang des Denkens des Denkens – und damit der Hegelschen Logik – aufzufassen, obwohl er das selbstverständlich weiß und auch in einem anderen Artikel als Problem des Anfangs der Hegelschen Logik gekennzeichnet hat (vgl. den folgenden Exkurs). Für Henrich ist deswegen das Nichts keineswegs wie für Hegel immer schon in das reine Sein umgeschlagen. Im Gegenteil: Als ontologisierte negative Aussageform bleibt das „Nichts“ als Gedanke, als Abstraktion, bestehen. Das ist bei Hegel ganz anders: Hegel kommt zum Begriff des Nichts nicht durch die Analyse der Aussageformen, sondern über das Problem eines möglichen wissenschaftlichen Anfangs des Denkens. Will man das Denken wissenschaftlich denken können, so muss man auch wissenschaftlich damit anfangen können. Für diesen Anfang kann aber nichts voraussetzen, weil vor der Wissenschaft jedenfalls wissenschaftlich nichts erwiesen ist. Müsste man dann nicht mit dem „Nichts“ anfangen? Aber mit „Nichts“ fängt nichts an. Es wäre also ein Anfang mit dem „Nichts“ gar kein Anfang. Um Anfangen zu können, muss das Denken zwar anfangen, aber es kann nicht mit etwas Bestimmtem anfangen. Also kann es nur mit dem allerabstraktesten Gedanken anfangen, der nichts voraussetzt, und das ist der Gedanken des reinen Seins. Aber dieses reine Sein ist gänzlich unbestimmt; es ist dabei und darin nichts zu denken, es ist „Nichts“ oder es ist immer schon in das Nichts übergegangen. Das Denken denkt das „Nichts“. Das „Nichts“ ist ganz leer und unbestimmt. Aber es ist Nichts. Es ist, aber es ist nichts Bestimmtes, d. h. es ist rein, reines Sein. Das „Nichts“ ist – so zeigt sich – immer schon übergegangen in das reine Sein, wie das reine Sein in das Nichts.[8]


1. Exkurs: Henrichs Darstellung des Anfangs der Hegfelschen Logik

Henrich weiß um das Problem des Anfangs der Hegelschen Logik und hat sich in dem Artikel „Anfang und Methode der Logik“ (in: Dieter Henrich, „Hegel im Kontext“, Frankfurt am Main 1967, S. 73 – 94.) ausführlich damit beschäftigt. Er schreibt, dass der Anfang der hegelschen Logik Probleme aufwerfe, die sich ohne die Logik der Reflexion nicht lösen ließen. Dabei stützt er sich auf die bei der Darstellung des Anfangs benutzte Formulierung von der „unbestimmten Unmittelbarkeit“ (ebenda, S. 85). Denn der Ausdruck „Unmittelbarkeit“ ist auch dann ein reflexionslogischer Ausdruck, wenn er den Ausschluss reflexionslogischer Überlegungen bezeichnen soll. Die Kritik kann man einräumen, wenn es erlaubt ist, die Einheit von Inhalt und Methode zu ignorieren. Denn wer den Anfang der Logik in der Weise interpretiert, wie Henrich das tut, der fängt jedenfalls mit dem Denken des Denkens nicht an. Er interpretiert aufgrund von Voraussetzungen, die er anderswoher nimmt. Er fängt nicht an, sondern redet über das Anfangen. Es sind hier demnach zwei Formen der Interpretation zu unterscheiden:

1. Das Interpretieren als Fragen, wie der Anfang zu machen sei, ob er so oder 
   anders möglich sei, etc., das als Reden über den Anfang gekennzeichnet 
   werden kann, und 
2. das Interpretieren im Sinne von tun, was gedacht werden soll, d.h. anfangen. 
   Ein solcher Begriff ist aus der Kunst geläufig: Ein Künstler etwa 
   interpretiert ein Musikstück, indem er es spielt.

Hegel verlangt von seinen Interpreten die Einheit beider Formen der Interpretation, bei der allerdings letztlich nur zählt, dass mit dem Denken des Denkens angefangen wird. Wer also mit dem Denken des Denkens anfängt, der fragt nicht nur, womit man anfangen muss. Er tut es und lässt sich von Hegel darin leiten. Insofern er zugleich fragt, womit man den Anfang machen muss, fängt er nicht an, sondern denkt über den Anfang nach. Ihm werden Überlegungen über den Anfang vielleicht helfen: Der Anfang ist in jedem Falle bestimmt als die Einheit von Sein und Nichtsein von etwas Bestimmtem, und der erste Anfang des Denkens des Denkens kann nichts als erwiesen voraussetzen und ist also voraussetzungslos. Insofern nichts Bestimmtes vorausgesetzt werden kann, ist er als der „absolute Anfang“ die Einheit von Sein und Nichts. Aber besteht überhaupt die Notwendigkeit und ist es überhaupt möglich, wissenschaftlich anzufangen. Um darauf zu antworten, reicht eine Logik der Reflexion nicht aus. Das zeigt sich deutlich an der mangelnden Notwendigkeit, vom Reden über den Anfang zum Anfangen selbst überzugehen. Dazu bedarf es der Logik des Begriffs. Nach Hegel ist frei nur das Denken, das sich seiner Gedankenformen zu bemächtigen in der Lage ist. Das aber ist ein Denken, das die Gedankenformen aus dem Denken selbst entwickelt. „Der Begriff ist das Freie…“, wie Hegel sagt (Enc. § 160). Die Notwendigkeit, mit dem Denken des Denkens voraussetzungslos anzufangen, ist nur eine Darstellungsform der Freiheit des Begriffs, also der Fähigkeit des Denkens, dann frei zu sein, wenn die Gedankenformen aus dem Denken des Denkens entwickelt werden. Man kann zum Denken ebenso wenig gezwungen werden, wie zum Denken des Denkens. Aber wenn man im Denken frei sein will – und nach Hegel kann nur das Denken frei sein –, dann kann man auf das Denkens des Denkens und die innere Notwendigkeit seiner Entwicklung nicht verzichten. Das bestreitet Henrich: Er behauptet, dass Hegels Philosophie keine „Emanzipationsphilosophie“ sei. (ebenda, S. 93 Fußnote) Zur Entwicklung des freien Denkens im Sinne Hegels gehört dann auch der voraussetzungslose Anfang oder eben der Anfang mit dem Sein und mit dem Nichts, sowie der Einheit von Sein und Nichts. Der Anfang aber kann nur gemacht werden, indem man anfängt. Er gehört nicht nur dazu in dem Sinne, in dem man darüber spricht, sondern in dem Sinne, in dem man ihn macht. Wer sich im Denken befreien will, muss notwendig damit anfangen, indem er das Anfangen macht und denkt in einem.

Der Behauptung der Freiheit des Denkens kann man freilich mit gutem Grund widersprechen. So verlangt etwa Marx nicht die Freiheit des Denkens, sondern die Befreiung der Menschen. Denn – so sein an Feuerbach angelehntes Argument – das Denken ist das Denken der Menschen. Die Menschen, so wie sie sind, sind Voraussetzung des Denkens und mit dieser Voraussetzung sind eine Reihe anderer Voraussetzungen – von Marx als die so genannten wirklichen Voraussetzungen bezeichnet, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann – gesetzt, die wirklich unter anderem darin sind, dass sie auf das Denken wirken und es bestimmen. Unfreie Menschen denken auch unfrei. Die Bedingung freien Denkens sind freie Menschen. Befreiung im Denken ist nach Marx nur möglich im Zusammenhang mit wirklicher Befreiung.

5. Die Neagtion als "ontologisierte negative Aussageform"

2. Exkurs: Gibt es verneinung nur von Sätzen

6. Die Negation der Negation als "Insichsein"

7. Das Problem der "Überleitung"

8. Das Anderssein an sich

9. Die Formen der Negation der Negation

10. Geht es dialektisch über Hegel hinaus?

Fußnoten

  1. Dieter Henrich, Formen der Negation in Hegels Logik, in: Rolf-Peter Horstmann, Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main 1978. (vgl. auch Hegel-Studien ... ) In Zukunft wird im Text auf diesen Artikel verwiesen durch Anführung in Klammern (Henrich, S. ...)
  2. Henrich löst in dem Artikel „Hegels Grundoperation“ die von Hegel anvisierte Bewegung der Begriffe in eine Reihe von Zuständen auf. Um von einem Zustand zum nächsten zu gelangen, bedarf es daher einer Operation. Damit werden Denken (Operiere) und Gedanke (Zustände) getrennt. Genau diese Trennung will Hegel vermeiden. Diese Trennung bei Henrich ist der Ausdruck eines anderen Problems: Henrich will in dem genannten Artikel die Methode Hegels vorab darstellen. Denn wenn man erst einmal die „Grundoperation“ Hegels verstanden habe, dann ist es leichter, Hegels Logik zu verstehen. Dagegen wehrt sich Hegel zeit seines Lebens. Denn mit diesem Verfahren ist die Trennung von Inhalt und Methode notwendig verbunden. (vgl. Dieter Henrich, Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik“, in: Der Idealismus und seine Gegenwart. (Festschrift Werner Marx) Hrsg: Ute Guzzoni, B Rang, L. Siep, Frankfurt 1976, S. 208 – 230)
  3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Teil I, Die objective Logik. Erstes Buch. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bänden, Bd. 5, Frankfurt 1969, S. 16. Im weiteren Text zitiert in Klammern (WdL, Bd. 5 S. 16). Hervorhebungen stammen immer vom zitierten Original.
  4. Dieter Henrich, Substantivierte und doppelte Negation, in. Poetik und Hermeneutik, Arbeitsergebnisse einer Forschungsgruppe VI, Hrsg. Harald Weinrich, Positionen der Negativität, München 1975, S. 482.
  5. Dieter Henrich, Substantivierte und doppelte Negation, A.a.O., 483. Henrich ist insofern zuzustimmen, als Hegel seine Theorie nicht als Konstruktion und also nicht als konstruktiv verstanden hat. Aber ebenso abwegig ist die Überlegung, dass Hegel seine Theorie als deskriptiv aufgefasst habe. Denn eine Deskription unterscheidet doch wohl zwischen dem Beschriebenen und der Beschreibung. Gerade gegen diese Unterscheidung richten sich die theoretischen Anstrengungen Hegels. Er möchte eine Theorie des Denkens im Denken entwickeln, in der das Denken zugleich Inhalt und Methode ist. Er möchte damit die Wahrheit der Theorie sichern, ohne sie äußerlich rechtfertigen zu müssen. (Das hat Hegel seiner Auffassung nach in der „Phänomenologie des Geistes“ getan.) Denn eine äußerliche Rechfertigung muss – sofern sie sich nicht selbst aufhebt – notwendig einer Rationalität folgen, die sie selbst voraussetzt, in der die Rechtfertigung geschieht. Hegel wollte dieses Problem vermeiden, indem er die Rechtfertigung als eine sich selbst aufhebende Bemühung darstellt.
  6. Eine konstruktive Theorie rechtfertigt sich durch das, „was sie leistet“. Was sie aber leistet, kann nicht die Theorie selbst sein. Ihre Rechtfertigung ist notwendig eine äußerliche. Die Rationalität des Rechtfertigungsgrundes ist jedenfalls nicht Gegenstand einer Theorie der Rationalität. Er muss ihr vorausgesetzt werden.
  7. Michael Theunissen widerspricht der Behauptung, dass die Negation als ontologisierte negative Aussageform zu verstehen sei (Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt 1980. S. 172). Auch Theunissen kennt „Operationen“, die sich nicht als die Selbstbewegung der Gedanken darstellen. Aber er entlastet Hegel von dem Vorwurf der Unbewusstheit der eigenen Operationen, indem er bestreitet, dass diese Operationen solche Hegels sind. Nachdem er kritisiert hat, dass Hegel die Differenz zwischen Operation und Sache eingeebnet hat, fährt er fort: „Hegel ebnet die Differenz ein, weil die Operationen, auf die er den Negationsbegriff sekundär anwendet, genauso genommen gar nicht seine eigenen sind, sondern die des betrachteten Denkens, das ebenso wohl zu seiner Sache gehört, aber zu einer mit der logischen Wissenschaft noch nicht identischen. Sache der objektiven Logik ist, durchaus in Entsprechung zur Phänomenologie, das betrachtete Denken und ineins damit dessen Gegenstand.“ Theunissen beschränkt die Einheit von Inhalt und Methode auf die Begriffslogik. In der „objektiven Logik“ trennt er dagegen das betrachtete Denken von dem betrachtenden Denken. Die Unbewusstheit der eigenen Operationen ist angeblich eine des von Hegel betrachteten Denkens der vormaligen Metaphysik. Aber Hegel entwickelt und kritisiert in der Logik die Denkformen im Denken des Denkens. Dazu bedarf es von Anfang an der Einheit von Inhalt und Methode. Theunissen möchte nicht, dass der Begriff das Freie ist, wie Hegel das formuliert, sondern dass die Subjekte frei sind, und denkt dabei an Menschen, die sich in der Gemeinschaft unter Anerkennung Gottes gegenseitig als frei anerkennen. Daher erscheint ihm die Kritik von Gedankenformen gewissermaßen als eine Vorübung der Freiheit, nicht – wie Hegel – als Ausdruck der Befreiung selbst.
  8. Mit Recht weist Tugendhat darauf hin, dass das Nichts bei Hegel nicht zu verwechseln ist mit dem „…ist nicht …“ der negativen Aussageform, da dieses „… ist nicht …“ immer ein Vermitteltes sei. (Ernst Tugendhat, „Das Sein und das Nichts“, in: Durchblicke. Martin Heidegger zum 80. Geburtstag. Frankfurt am Main, 1970, S. 132 – 161, zu Hegel insesondere die Seiten 146 – 152.) Tugendhat hält das Nichts für undenkbar. Er unterstellt, Hegel habe das Nichts zu denken oder anzuschauen für möglich gehalten. Hegel hält jedoch ausdrücklich fest, dass das Nichts als solches nicht zu denken und auch nicht anzuschauen ist. Dabei übergeht Tugendhat die Formulierung Hegels: „Insofern Anschauen und Denken hier erwähnt werden kann …“, die diese Überlegung als eine äußerliche Reflexion kennzeichnet. Aus der Undenkbarkeit des Nichts ergibt sich für Hegel das Verschwinden des Anfangs und die Notwendigkeit des Fortgangs in die Logik hinein. Diesen Gedanken kann Tugendhat nicht fassen. Nach Tugendhat ist Denken jedenfalls vermitteltes Denken. Tugendhat kennt nur Gedanken, die „etwas als etwas“ denken, d.h. die Vermittlungen sind. Scherzhaft fordert er mit Blick auf Hegels Anfang der Logik: „Eine solche Aufhebung aller Vermittlung pünktlich zu demonstrieren, wäre eine Aufgabe der Hegelinterpretation.“ (ebenda S. 147) Er vergnügt sich an dem Widerspruch zwischen „demonstrieren“ – und das heißt doch wohl „vermitteln!“ – und der Aufhebung aller Vermittlung. Er redet von der Abstraktion von bestimmten Qualitäten, um so vorstellig zu machen, was so eine Unmittelbarkeit wohl sein könne. Tugendhat vernagelt sich den Weg zu einem Denken, das sich als Befreiung von bloß vorausgesetzten Denkformen versteht. „… die Idee einer Logik der Vermittlungen, die von einem Unmittelbaren auszugehen hat, schließt es aus, diejenigen logisch-ontologischen Begriffe und Strukturen, die im (griechisch geschrieben) logos vorgegeben sind, als fundamental und irrreduzibel anzuerkennen.“ (ebenda, S. 150.) In der Tat bestritt Hegel die Notwendigkeit, bestimmte Denkformen als irrreduzibel hinzunehmen. Im Gegenteil: Hegel möchte die Denkformen im Denken entwickeln und kritisieren und so die Freiheit im Denken ermöglichen. Es ist dieser Anspruch, gegen den sich Tugendhat wendet.