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Version vom 19. Dezember 2007, 14:12 Uhr

Qualitative Negation in der Logik Hegels
Eine Kritik an Henrichs "Formen der Negation in Hegels Logik"
von Stephan Siemens
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An der Bedeutung Henrichs für die Aneignung der Philosophie des deutschen Idealismus und insbesondere Hegels kann kein Zweifel bestehen. Viele Philosophinnen und Philosophen einer ganzen Generation haben sich in ihrem Zugang zu dieser wichtigen philosophischen Epoche von Henrich leiten lassen. Das gilt auch für den Verfasser. Insofern ist eine Kritik an Henrichs Verständnis der Hegelschen Negation auch eine Selbstkritik des Verfassers. Henrich hat die Selbstbezüglichkeit des Denkens, das Denken des Denkens, mit Recht in den Mittelpunkt seiner Forschung zu Hegel gerückt.


1. Anschlussfähig an die Gegenwart?

Henrich hat als phänomenologisch orientierter Philosoph versucht, das Denken Hegels in einer Zeit zum Gegenstand der Diskussion zu machen, in der die analytische Philosophie zu dominieren begann. Das gilt auch für den hier zu erörternden Artikel: „Formen der Negation in Hegels Logik“. Inzwischen ist der Widerspruch der analytischen Philosophie durch ihre Ausarbeitung mehr und mehr hervorgetreten. Wer über das Denken nachdenkt, und das auf wissenschaftliche Weise tut, der kann bestimmte – als „metaphysisch“ ursprünglich in der analytischen Philosophie ausgegrenzte – Probleme nicht vermeiden. Auch in der analytischen Philosophie kehrten folgerichtig die Fragen zurück, die mit dem Denken des Denkens verbunden sind. Ursprünglich jedoch hatten die Vertreter der analytischen Philosophie geglaubt, diese Probleme durch ihre Methode, die formale Logik im Anschluss an Frege, Russel und Wittgenstein, aus der philosophischen Diskussion als „sinnlos“ ausschließen zu können. Nun – da diese Probleme zurückkehren – wenden die Vertreter der analytischen Philosophie ihre Methode auch auf diese Probleme an. Das Eigentümliche der analytischen Philosophie besteht unter anderem darin, dass sie die "metaphysischen" Fragen mit Methoden zu bearbeiten versucht, die eben diese Fragen als unwissenschaftlich ausschließen sollten. Daher ergibt sich eine Behandlungsart, die wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen kann – anders als etwa noch Stegmüller hoffte. Die zahlreichen starken oder schwachen „…ismen“ – in welcher Mischung auch immer – oder weiten oder engen, starken oder schwachen Begriffe von diesem oder jenem, die in der analytischen Philosophie allenthalben gebraucht werden, verdecken nur mühsam den wissenschaftlichen Stillstand. Positionengezänk untergeordneter Art und die Auswertung abwegiger Beispiele oder „Gedankenexperimente“ treten an die Stelle einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den philosophischen Problemen des Denkens des Denkens.

Aus der – in diesen Erscheinungen sichtbar werdenden – Krise der analytischen Philosophie ergibt sich eine – wenn man so will, „postanalytische“ – Notwendigkeit, sich mit den Antworten auseinanderzusetzen, die die traditionelle Philosophie auf die Fragen des Denkens des Denkens gegeben hat. Insofern ist eine neue Aneignung der klassischen Philosophie an der Zeit. Ein neues Lesen der klassichen Philosophie muss sich zugleich mit den Problemen auseinandersetzen, die die zeitgleiche Interpretation der klassischen Philosophie aufgeworfen hat. Die neu notwendige Auseinandersetzung mit der klassischen Philosophie kann sich jedoch nicht als „rationale Rekonstruktion“ verstehen. Denn auf diese Weise setzte man – darin wenig rational – voraus, selbst im Besitz der Rationalität zu sein im Gegensatz zu der interpretierten Philosophie. Im Gegenteil erfordern die Probleme, die es gegenwärtig in der Welt gibt und deren Entstehung nicht zuletzt mit einem beschränkten Begriff wissenschaftlicher Rationalität zusammenhängen könnte, sich die eigene Rationalität in kritischer Auseinandersetzung mit der Rationalität der klassischen Philosophie zu erarbeiten. Insofern ist eine Beschäftigung mit der klassischen Philosophie eine Form des Denken des Denkens, wie es gegenwärtig notwendig und an der Zeit ist: Ein Erarbeiten einer Rationalität, die den Anforderungen der gegenwärtigen Entwicklung der Welt an das menschliche Denken genügen kann, ist nur möglich in der Auseinandersetzung mit den Bemühungen der traditionellen Philosophie. Einen wichtigen Ansatzpunkt dafür bietet Henrichs Artikel deswegen, weil er sich an einer analytischen Lesart nicht orientiert. Ihm geht es um ein Verständnis Hegels, das allerdings an Voraussetzungen scheitert, die Henrich als selbstverständlich erscheinen.


2. Henrichs Thesen

In Hegels Logik sieht Henrich ein Denken wie ein Anwenden von Operationen am Werk, besonders der Operation der Negation. „’Negation’ ist unstreitig eine der bedeutendsten methodischen Grundoperationen der Logik Hegels.“ (Henrich, S. 213)[1] Dabei soll sich Hegel einer ihm unbewussten Konfusion zweier Formen der Negation bedient haben. Unter dem Titel „Bestimmtheit“ (Henrich, S. 219) vermengt Hegel unbewusst die „einstellige“ Negationsform der ontologisierten negativen Aussageform (wie in „Der Tisch ist nicht“ oder „Der Tisch ist nicht rund“; ) und die „zweistellige“ Form der Negation als „Andersheit“ („Der Tisch ist anders als der Stuhl“ oder anders formuliert “Der Tisch ist nicht der Stuhl“). Henrich identifiziert in einer Fußnote Anderssein und Andersheit (Henrich, Fußnote 5, S. 219 bzw. S. 228), indem er feststellt, dass er das Wort Andersheit wie das Wort Anderssein gebrauche. Ein Übergang von der Form der Negation als ontologisierter negativer Aussageform zur Form der Negation als Andersheit werde von Hegel mit sehr schwachen Argumenten versucht (Henrich, S. 219). Dabei will Henrich offen lassen, ob sich bessere Argumente finden ließen. Henrich identifiziert die erste Form der Negation, die „einstellige“ Form, mit der von Hegel so genannten „abstrakten Negation“ (Henrich S. 216) und die davon unterschiedene „zweistellige“ Negation mit der von Hegel so genannte „dialektischen Negation“ (Henrich, S. 218).

Die „einstellige“ Negation, die sich aus der ontologisierten negativen Aussageform herleite, sei für Operationen des Absprechens oder des Eliminierens erforderlich. Dagegen sei der „zweistelligen“ Negationsform der „Andersheit“ das Eliminieren nicht eigentümlich. Daher ergebe sich für Hegel die Notwendigkeit der Konfusion der beiden Formen der Negation. (Henrich, S. 222) Hegel wolle das Selbstverhältnis als ein Fremdverhältnis konzipieren und letzteres dann wieder aufheben. Insofern bestehe für ihn ein „Zwang“ (Henrich, S. 222), auch der Negationsform der „Andersheit“ die Fähigkeit des Eliminierens zuzusprechen. Das gelinge aber nur durch die Konfusion mit der „einstelligen“ Negationsform, die das Eliminieren zu denken erlaube.

Aber Hegel konfundiere nicht nur die Formen der Negation, sondern auch die Formen der Negation der Negation. Dabei nennt Henrich drei Formen.

a. die Negation der Negation als grammatische Regel, deren Negation 
   allerdings beliebig wiederholbar ist,  (Henrich, S. 217 und 
   S. 220)
b. die Negation der Negation als „Andersheit an sich“, in der die 
   Negation als selbstbezüglich gedacht ist (Henrich, S. 223) und  
c. die Negation der Negation als Insichsein, Fürsichsein, Subjekt 
   etc. (Henrich, S. 223), die 
   a. nicht als selbstbezüglich gedacht ist, und sich so von 
      der „Andersheit an sich“ unterscheidet, und die
   b. nicht beliebig wiederholbar ist, und sich dadurch von der 
      doppelten Verneinung der Aussage unterscheidet.

Hegel habe kein Bewusstsein solcher Unterschiede gezeigt. Im Gegenteil habe er um seiner Systemkonstruktion willen die Konfusion genutzt. Denn er gewinne den Abschluss seines Systems, indem er die zweite Form der Negation der Negation der dritten Form der Negation der Negation subsumiere, woraus sich der Begriff der „absoluten Negativität“ ergebe. (Henrich, S. 224) Henrich kommt zu dem Schluss, dass Hegel um der Realisierung des Systems willen die Formen der Negation und die Formen der Negation der Negation konfundiere: „Was sich aus übersehbaren Gründen durch die Verschiebung der Bedeutung natürlicher Operationen und Begriffe gewinnen lässt, das hat seinen Ursprung offenbar in dem konstruktiven Willen eines Theoretikers. Es kann nicht geradezu als Selbstdarstellung einer objektiven Vernunft gelten.“ (Henrich, S. 226) Daher dürfe man nie vergessen, dass sich die Hegelschen Begriffe „ganz allein aus dem konstruktiven Zugriff der Theorie gewinnen“ (Henrich, S. 227) lassen. Es sei daher verfehlt – wie Henrich mit Blick auf Friedrich Engels und die Vertreter der marxistischen Philosophie feststellt – einzelne „Gesetze der Dialektik“ aus ihrem Zusammenhang, also dem der Hegelschen Philosophie, zu reißen.

Fußnoten

  1. Dieter Henrich, Formen der Negation in Hegels Logik. In: Hrsg. Rolf Peter Horstmann, Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main, 1978. In Zukunft wird im Text auf diesen Aufsatz verwiesen durch Anführung in Klammern von „Henrich, S. 213“.