Eine Filmkritik von Stephan Siemens: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Text|Titel=Mein generiuertes Leben - "Work hard Play Hard"
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|Untertitel=Eine Betrachtung zu Carmen Losmanns Film "Workhard Play Hard"
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|Autor=Stephan Siemens}}
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[[Kategorie:Texte zur Gegenwart]]
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Im Film „Work hard Play Hard“ sehen Architekten eines Bürogebäudes ihre Aufgabe darin, ein Stück „Leben zu generieren“. Das Leben, das sie generieren wollen, könnte das mein Leben sein? frage ich mich als Zuschauer und dadurch erhält der Film seine enorme Spannung. Deswegen muss ich – wenn ich von dem Film reden will – von mir sprechen. Carmen Losmann zeigt mir dieses generierte Leben und ich erhalte dadurch die Chance, mein Leben und meine Arbeit als ein von anderen „generiertes Leben“ zu reflektieren. Diese einmalige Chance verdanke ich der Fähigkeit der Regisseurin, das Unsichtbare sichtbar zu machen: Die unbeherrschte Macht und produktive Kraft, die wir heute in der Arbeit entfalten.
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In der ersten Szene des Films werde ich als Zuschauer befragt, wie ich meine Arbeit sehe, was Arbeit für mich bedeutet, ob ich gerne arbeite. Die Kamera nimmt die Position des Befragten ein und ein intensives Gefühl, an dieser Stelle des Befragten zu sein, entsteht. Das Gesicht derjenigen, die mich befragt, ist so groß auf der Leinwand, als säße sie mir gegenüber. Sie selbst wirkt dabei etwas gequält.
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Aber ich lasse mich fragen und frage mich so auch selbst. Durch mit Klicks belegte Schnitte macht Carmen Losmann darauf aufmerksam, dass es sich um eine von ihr arrangierte und zusammengeschnittene Szene handelt. Man spürt die Hand und den Blick der Regisseurin. Erst am Ende des Films verstehe ich, warum die Fragende so leidend wirkt. Denn sie legt nicht nur mir als Zuschauer die Fragen vor, sondern sie wird selbst von ihrem Vorgesetzten bewertet hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, diese Fragen zu stellen und die Antworten angemessen zu bewerten. Die Perspektive verkehrt sich: Ich nehme – indem ich die gequälte Wirkung kurz wahrnehme und dann ignoriere – für kurze Zeit die Sichtweise des Vorgesetzten ein. Ich sehe sie aus den Augen dieses vorgesetzten Managers oder Trainers, dessen Hinterkopf kurz sichtbar ist: Die Kamera steht hinter ihm und ich schlüpfe so in seine Rolle, wie ich hinterher erkenne. So spielt Carmen Losmann mit den Perspektiven und kündigt das in der ersten Szene bereits an.
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Sie führt mich ein in die architektonische Gestaltung moderner Arbeitspaläste, in denen „nichts daran erinnern soll, zu arbeiten“, wie die interviewten Architekten es formulieren. Sie „generieren“ nach ihrer eigenen Aussage „Leben“, und dieses Leben beruht auf der Unbewusstheit bei der Arbeit. Später wird das von einem anderen Consultant durch den „Flow“ erläutert, in dem ich selbstvergessen arbeiten soll, am leistungsfähigsten bin und die intensive Arbeit am längsten durchhalte. Das Gebäude von Unilever im Hamburger Hafen dient als ein solcher Palast der Arbeit, in dem kommunikative Räume zur Zusammenarbeit einladen. - Eine schwarze Putzfrau arbeitet zwar, wird aber ignoriert. Sie ist keine Mitarbeiterin, sondern sie gehört zum Reinigungspersonal. - In dem Gebäude formuliert sich das Selbstbewusstsein eines global operierenden Konzerns, der kaum auf das Geld und den umbauten Raum zu achten scheint. Das ist bei der Firma Accenture anders: Hier wird an ökonomischen Bürolösungen gearbeitet. Ein Vertreter der Firma erläutert: Die Mitarbeiter buchen im Internet den Arbeitsplatz, wenn sie überhaupt ins Unternehmen kommen, er nennt das „Hotelling“: Natürlich bedeutet das wie bei einem Hotel, dass man keine persönlichen Gegenstände am Arbeitsplatz hat. Diese Fremdheit – so meint der Consultant von Accenture - muss durch die Farbgebung der Räume ausgeglichen werden. Wieder sehen wir aus der Sicht des Managements auf die so entstehenden Arbeitsplätze. So wie die Kamera verschiedene Perspektiven einnimmt, erhalte ich verschiedene Perspektiven auf die neuen Formen der Arbeit, und muss mich fragen, ob ich mein Leben auch als ein auf diese Weise “generiertes” betrachten muss.
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Der Film zeigt einen weitgehend kühlen, sozialtechnologisch anmutenden Blick. Die Natur ist ausgeklammert und erscheint in Bildern auf den Monitoren überdimensionaler Fernseher. Oder sie wird selbst zu einem bloßen Mittel als Raum für ein „Outdoortraining“. Der Blick der Kamera fährt langsam durch Räume – so habe ich genügend Zeit, nachzudenken und mich zu fragen, ob das alles so gut und richtig ist; und doch weiß ich: Darauf kommt es gar nicht an. Es ist so, und der Film zwingt mich dazu, das zur Kenntnis zu nehmen. Es kommt ein Gefühl der Beklemmung auf. Die neuen Formen des Arbeitens scheinen das ganze Leben, mein ganzes Leben bestimmen, ja aufsaugen zu wollen.
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Ich sehe mit den Augen einer Macht, die mir unheimlich ist. Ich neige gleichzeitig dazu, mir diese Art des Blicks zu verbieten. Ich habe – nicht völlig unangemessen – Mitleid mit den Menschen, die hier arbeiten müssen – aber es kommt mir auch merkwürdig vor, dass das äußerst produktive Menschen sind, mit denen Mitleid zu haben sich eigentlich verbietet. Die gezeigten Formen der Arbeit sind erfolgreich in der Förderung der Produktivität und der Profitabilität. Ich höre die entsprechenden Versprechen und Selbstverpflichtungen der Beteiligten und ich sehe das entsprechende konzentrierte Arbeiten von Beschäftigten. Aber ich weiß es auch aus den Medien und sehe es an den steigenden Gewinnen der Unternehmen. Diese Form zu Arbeiten ist enorm produktiv und profitabel. Es entsteht so eine gespenstische Doppelstimmung: Angst vor dem eigenen Blick und der in diesem Blick inszenierten Perspektive der Macht, von der ich mich zu distanzieren versuche. Schon in der Architektur gelingt das kaum, das Gebäude fasziniert mit Grund, und neben seiner Fremdheit spürt man seine Verführung. Wer hier arbeitet, fühlt sich als Teil eines globalen Riesen.
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Noch viel weniger ist die Distanz möglich bei der sehr ausführlichen Darstellung eines „Assessmentcenters“. Ich werde mit Bewertungsgesprächen konfrontiert, aber auch mit dem Blick der kompetent bewertenden Frau, die überlegt, was mit den bewerteten Menschen anzufangen ist. Wieder nimmt die Kamera die Perspektive der Psychologin ein und ich trete so an ihre Stelle: Würde ich diesen Mitarbeiter einstellen oder fördern? frage ich mich, und frage mich zugleich, ob ich verrückt geworden bin, mir so eine Frage zu stellen. Carmen Losmann hat mit großem Geschick oder mit viel Glück drei Personen gewählt, die die Spannbreiten des „Assessings“ sichtbar machen. Sie zeigt, wie die Menschen, die bewerten, versuchen, mit ihrer Rolle mehr oder weniger gut zu Recht zu kommen. Und erst recht wird deutlich, welche Belastung eine solche Bewertung für die befragten Mitarbeiter darstellt. Die Kamera zeigt beide Parteien in einer Situation, die sich kaum einer wünschen kann. Mir als Zuschauer bleibt die Rolle des – über die Maßen interessierten – Voyeurs, der zugleich über sich selbst erschrickt. Die Situation ist unheimich und zugleich lädt sie enorm zur Bewertung ein – und dann wieder verurteile ich mich dafür, dass ich bewerte. Dieses ambivalente Verhältnis zeigt Carmen Losmann und sie lässt mich daraus nicht entfliehen.
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Carmen Losmann fängt mit der Architektur langsam an und führt mich so in die verschiedenen Perspektiven ein. Die „Assessementcenter“ zeigen mir den Sinn dieser Perspektivwechsel, und schließlich kulminiert das Ganze in einem bacchantischem Taumel, „dem Change“, dem undefinierten und – wie es scheint – undefinierbaren, fetischisierten Veränderungsprozess als solchem, mit dem auf die so genannte „Globalisierung“ geantwortet wird – und die dadurch zugleich gefördert wird. Die Reaktion auf die Globalisierung ist zugleich die Aktion der Globalisierung, die sich im Unterenhmen als “Change” darstellt. Dieser „Change“ wird sichtbar in einer Weise, die mir nahe geht. Denn ich sehe die Angst der Bewerter, der Berater, der „Consultants“, die Angst derer, mit deren Augen ich gesehen habe – mir aber gleichzeitig verboten habe, das Geschehen in dieser Weise zu betrachten. Diese so genannten „Consultants“ sind – das wird deutlich – Getriebene von einer produktiven Kraft, die sie nicht mehr beherrschen können, die sie aber zu steuern versuchen. Das wird unterstrichen durch die immer schneller werdenden, mit Klicken verknüpften Schnitte, mit der die Regisseurin eingreift. Diese Schnitte haben sicher viele Bedeutungen: Sie zeigen, dass „der Change“ in praktisch alle Unternehmen Einzug hält. Aber sie machen auch das Äußerliche dieser Veränderung sichtbar, in dem die Regisseurin die Äußerlichkeit, mit der sie sich bisher zu dem Inhalt ihres Films verhalten hat, nutzt, um die Äußerlichkeit der Motive dieses „Change“ – und damit die Unbeherrschtheit dieses Veränderungsprozesses – ins Bild zu setzen. So werden auch die Unternehmensberater, die „Change-Agents“ und die Manager und Managerinnen nicht als souverän Handelnde dargestellt, sondern als Menschen, die darum kämpfen, dass „ihr“ Unternehmen in diesem Prozess fortbesteht. Das ist kein „Nice to have“, wird gesagt, das ist ein „must have“, eine Notwendigkeit, und „wir“ werden nicht überleben, wenn es uns nicht gelingt, diesen „Change“ zu schaffen: Dann würde es uns in 10 Jahren nicht mehr geben. „Wir“ heißt hier die eigene Firma, aber ich spüre, dass wir alle gemeint sind. Die Angst, die anfangs ich als Zuschauer vor dieser beklemmenden unkontrollierten Machtentfaltung hatte, hat nun die Akteure, die Steuernden selbst erreicht. Sie reagieren nicht wie ich im Film gespannt und gebannt sehend, sondern sie setzen diese Angst in ein – durch das Klicken und die Schnitthäufigkeit angedeutetes – atemloses Handeln um. Sie wollen den Prozess steuern, aber sie müssen dafür Dinge tun, von denen sie selbst wissen, dass sie unmöglich sind: Zum Beispiel träumt eine Beraterin davon, diesen „Change“ in die DNA der ihr anvertrauten Mitarbeiter einzupflanzen.
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Welche Kraft treibt diese im Film gezeigte Entwicklung? Vielleicht hilft mir die nächste Episode, das zu verstehen. Dargestellt wird eine „Skill“-Datenbank von SAP, die die Fähigkeiten der Mitarbeiter, wie sie zuvor bewertet wurden, speichert und katalogisiert, so dass die Firmenleitung die „High-Potentials“, aber auch den „Bauch“ der „Workforce“ elektronisch abrufen kann…. Vielleicht ist das ein Hinweis: Es ist die neu gewonnene produktive Kraft der unter diesen Bedingungen arbeitenden Menschen, die aber ihre eigene Kraft nicht beherrschen, und deren Kraft nur mit Mühe äußerlich gesteuert werden kann.
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Vielleicht auch deshalb kehrt der Film zum Assessmentcenter zurück. Er zeigt die einzelnen bewerteten Menschen, die nicht als einzelne, aber in ihrer Zusammenarbeit eine enorme unkontrollierte Kraft entwickeln, eine produktive Kraft, deren Auswirkungen auf das Management Carmen Losmann zeigt. Der Film macht so das Unsichtbare sichtbar.
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Schließlich verabschiedet sich Carmen Losmann, indem sie auf die erste Szene zurückkommt. Sie zeigt jetzt: Die Fragende, die uns zu Beginn die Fragen vorgelegt hatte, ist selbst in einer Bewertungssituation. Sie hatte gefragt: Was bedeutet die Arbeit für Sie? Diese Frage hat mir den ganzen Film über vor Augen gestanden. Ihr Vorgesetzter hatte geantwortet: Freude und Erfolg. Damit hatte er in ihren Augen allerdings nur drei von fünf Möglichen, „denn es war doch eine etwas kurze Antwort“. Der Vorgesetzte geht, die Dame bleibt im weiß-grauen Raum zurück. Sie telefoniert… Der Film endet.
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Carmen Losmann hat mich der Form nach in die Arbeit des Managements eingeführt. Aber sie hat mir auch gezeigt, wie diese Arbeit ein Leben „generiert“, das mein Leben ist. Sie erlaubt mir so, mein Leben als generiert zu reflektieren. Ich muss nur mein inneres Verbot überwinden und mir den Blick der Manager erlauben. Dann sehe ich meine und unsere gemeinschaftliche produktive Kraft, die unbeherrscht bleibt, solange wir uns ihrer nicht annehmen. Denn die Frage: Was bedeutet Arbeit für SIe? erhält einen Doppelklang: Die Antwort aber nennt nur eine Seite. Freude und Erfolg, lautet die Antwort, bei der das Erschreckende ausgeklammert wird. Wir sehen beim Verfolgen des Films, dass diese Antwort einseitig ist, weil sie sich um das soziale Ergebnis der Arbeit nicht kümmert. Die gemeinsame produktive Kraft von uns arbeitenden Menschen bleibt unbeherrscht – und bedrohlich, weil wir die Bedeutung unserer Arbeit nicht erkennen – nicht akzeptieren und uns nicht darum kümmern.
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Wir sehen in diesem Film die Auswirkungen. Wir sehen, wie intelligente und produktive Menschen sich der Kraft der Unternehmen vollständig unterordnen, weil sie an der vordersten Front des Lebens produktiv tätig sein wollen. Aber wir sehen auch das Beängstigende der Unbewusstheit dieser Form der Arbeit. Denn nichts soll daran erinnern, dass wir arbeiten. Dann brauchen wir auch keine Verantwortung für unsere Arbeit zu übernehmen – und dann stört es uns auch nicht, dass die sogenannten Arbeitgeber – im Unterschied zu früher – diese Verantwortiung ebenfalls nicht mehr übernehmen können. Wir leben dann ein generiertes Leben – und vielleicht erklärt dies das merkwürdig Künstliche, das viele Kritiker des Film an “Die schöne neue Welt” erinnerte. Obwohl es hier um etwas anderes geht: alle Mitwirkenden erscheinen zunächst wie Schauspieler eines Drehbuches eines scheinbar unbekannten Autors.
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Wir leben dann ein generiertes Leben, in dem die Unbewusstheit, dass wir arbeiten – und die damit einhergehende Verdrängung - das Schönste ist, was wir uns vorstellen können. Eine Beherrschung dessen, was wir tun jedenfalls gehörft nicht zu dem “Change”, der uns alle zu unterwerfen scheint, obwohl wir selbst es snd, die ihn hervorbringen. Das wirft Fragen auf.
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Carmen Losmann gibt in diesem Film keine Antwort auf die Fragen, die sie stellt. Sie bleibt dem Inhalt nach in der Ambivalenz. Aber die ästhetische Form, die den Film zu einem packenden Genuss macht, hält vielleicht eine Antwort bereit: Die (Kamera) Perspektive lehrt uns den Blick der Trainer wie des Trainees, des Manager wie des Mitarbeiters. Die Klicks und die Schnitte machen uns die Arbeit der Regisseurin sichtbar, und wir – die Zuschauer – sehen das alles als eine Einheit, den Film. Wir sehen die Produktivität der heutigen Arbeit aus unterschiedlicher Perspektive und werden – so denke ich – befähigt, in einer neuen Weise auf diese Entwicklung zu schauen: So, als würden wir sie erkennen und verstehen und damit der Möglichkeit nach auch beherrschen können. Mit dem Film stellt Carmen Losmann eine Frage: Was soll aus unserer gemeinschaftlichen – unbeherrschten – produktiven Kraft unserer gemeinsamen Arbeit werden? Die Antwort müssen wir geben. Aber die Ästhetik des Films deutet an: Wir können sie auch geben.
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Wieso wir? Könnte man fragen: Dafür ist doch der Arbeitgeber zuständig! Aber der Arbeitgeber gibt die Unternehmerfunktion an seine Beschäftigten weiter – um mehr Gewinne zu machen – und mit der Unternehmerfunktion auch die Verantwortung für das, was wir tun. Wenn der Arbeitgeber unsere Verantwortung für unsere Arbeit auf die Profitabilität des Unternehmens beschränkt - so tut der Film das nicht.

Aktuelle Version vom 26. Mai 2012, 14:41 Uhr

Mein generiuertes Leben - "Work hard Play Hard"
Eine Betrachtung zu Carmen Losmanns Film "Workhard Play Hard"
von Stephan Siemens


Im Film „Work hard Play Hard“ sehen Architekten eines Bürogebäudes ihre Aufgabe darin, ein Stück „Leben zu generieren“. Das Leben, das sie generieren wollen, könnte das mein Leben sein? frage ich mich als Zuschauer und dadurch erhält der Film seine enorme Spannung. Deswegen muss ich – wenn ich von dem Film reden will – von mir sprechen. Carmen Losmann zeigt mir dieses generierte Leben und ich erhalte dadurch die Chance, mein Leben und meine Arbeit als ein von anderen „generiertes Leben“ zu reflektieren. Diese einmalige Chance verdanke ich der Fähigkeit der Regisseurin, das Unsichtbare sichtbar zu machen: Die unbeherrschte Macht und produktive Kraft, die wir heute in der Arbeit entfalten.

In der ersten Szene des Films werde ich als Zuschauer befragt, wie ich meine Arbeit sehe, was Arbeit für mich bedeutet, ob ich gerne arbeite. Die Kamera nimmt die Position des Befragten ein und ein intensives Gefühl, an dieser Stelle des Befragten zu sein, entsteht. Das Gesicht derjenigen, die mich befragt, ist so groß auf der Leinwand, als säße sie mir gegenüber. Sie selbst wirkt dabei etwas gequält.

Aber ich lasse mich fragen und frage mich so auch selbst. Durch mit Klicks belegte Schnitte macht Carmen Losmann darauf aufmerksam, dass es sich um eine von ihr arrangierte und zusammengeschnittene Szene handelt. Man spürt die Hand und den Blick der Regisseurin. Erst am Ende des Films verstehe ich, warum die Fragende so leidend wirkt. Denn sie legt nicht nur mir als Zuschauer die Fragen vor, sondern sie wird selbst von ihrem Vorgesetzten bewertet hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, diese Fragen zu stellen und die Antworten angemessen zu bewerten. Die Perspektive verkehrt sich: Ich nehme – indem ich die gequälte Wirkung kurz wahrnehme und dann ignoriere – für kurze Zeit die Sichtweise des Vorgesetzten ein. Ich sehe sie aus den Augen dieses vorgesetzten Managers oder Trainers, dessen Hinterkopf kurz sichtbar ist: Die Kamera steht hinter ihm und ich schlüpfe so in seine Rolle, wie ich hinterher erkenne. So spielt Carmen Losmann mit den Perspektiven und kündigt das in der ersten Szene bereits an.

Sie führt mich ein in die architektonische Gestaltung moderner Arbeitspaläste, in denen „nichts daran erinnern soll, zu arbeiten“, wie die interviewten Architekten es formulieren. Sie „generieren“ nach ihrer eigenen Aussage „Leben“, und dieses Leben beruht auf der Unbewusstheit bei der Arbeit. Später wird das von einem anderen Consultant durch den „Flow“ erläutert, in dem ich selbstvergessen arbeiten soll, am leistungsfähigsten bin und die intensive Arbeit am längsten durchhalte. Das Gebäude von Unilever im Hamburger Hafen dient als ein solcher Palast der Arbeit, in dem kommunikative Räume zur Zusammenarbeit einladen. - Eine schwarze Putzfrau arbeitet zwar, wird aber ignoriert. Sie ist keine Mitarbeiterin, sondern sie gehört zum Reinigungspersonal. - In dem Gebäude formuliert sich das Selbstbewusstsein eines global operierenden Konzerns, der kaum auf das Geld und den umbauten Raum zu achten scheint. Das ist bei der Firma Accenture anders: Hier wird an ökonomischen Bürolösungen gearbeitet. Ein Vertreter der Firma erläutert: Die Mitarbeiter buchen im Internet den Arbeitsplatz, wenn sie überhaupt ins Unternehmen kommen, er nennt das „Hotelling“: Natürlich bedeutet das wie bei einem Hotel, dass man keine persönlichen Gegenstände am Arbeitsplatz hat. Diese Fremdheit – so meint der Consultant von Accenture - muss durch die Farbgebung der Räume ausgeglichen werden. Wieder sehen wir aus der Sicht des Managements auf die so entstehenden Arbeitsplätze. So wie die Kamera verschiedene Perspektiven einnimmt, erhalte ich verschiedene Perspektiven auf die neuen Formen der Arbeit, und muss mich fragen, ob ich mein Leben auch als ein auf diese Weise “generiertes” betrachten muss.

Der Film zeigt einen weitgehend kühlen, sozialtechnologisch anmutenden Blick. Die Natur ist ausgeklammert und erscheint in Bildern auf den Monitoren überdimensionaler Fernseher. Oder sie wird selbst zu einem bloßen Mittel als Raum für ein „Outdoortraining“. Der Blick der Kamera fährt langsam durch Räume – so habe ich genügend Zeit, nachzudenken und mich zu fragen, ob das alles so gut und richtig ist; und doch weiß ich: Darauf kommt es gar nicht an. Es ist so, und der Film zwingt mich dazu, das zur Kenntnis zu nehmen. Es kommt ein Gefühl der Beklemmung auf. Die neuen Formen des Arbeitens scheinen das ganze Leben, mein ganzes Leben bestimmen, ja aufsaugen zu wollen.

Ich sehe mit den Augen einer Macht, die mir unheimlich ist. Ich neige gleichzeitig dazu, mir diese Art des Blicks zu verbieten. Ich habe – nicht völlig unangemessen – Mitleid mit den Menschen, die hier arbeiten müssen – aber es kommt mir auch merkwürdig vor, dass das äußerst produktive Menschen sind, mit denen Mitleid zu haben sich eigentlich verbietet. Die gezeigten Formen der Arbeit sind erfolgreich in der Förderung der Produktivität und der Profitabilität. Ich höre die entsprechenden Versprechen und Selbstverpflichtungen der Beteiligten und ich sehe das entsprechende konzentrierte Arbeiten von Beschäftigten. Aber ich weiß es auch aus den Medien und sehe es an den steigenden Gewinnen der Unternehmen. Diese Form zu Arbeiten ist enorm produktiv und profitabel. Es entsteht so eine gespenstische Doppelstimmung: Angst vor dem eigenen Blick und der in diesem Blick inszenierten Perspektive der Macht, von der ich mich zu distanzieren versuche. Schon in der Architektur gelingt das kaum, das Gebäude fasziniert mit Grund, und neben seiner Fremdheit spürt man seine Verführung. Wer hier arbeitet, fühlt sich als Teil eines globalen Riesen.

Noch viel weniger ist die Distanz möglich bei der sehr ausführlichen Darstellung eines „Assessmentcenters“. Ich werde mit Bewertungsgesprächen konfrontiert, aber auch mit dem Blick der kompetent bewertenden Frau, die überlegt, was mit den bewerteten Menschen anzufangen ist. Wieder nimmt die Kamera die Perspektive der Psychologin ein und ich trete so an ihre Stelle: Würde ich diesen Mitarbeiter einstellen oder fördern? frage ich mich, und frage mich zugleich, ob ich verrückt geworden bin, mir so eine Frage zu stellen. Carmen Losmann hat mit großem Geschick oder mit viel Glück drei Personen gewählt, die die Spannbreiten des „Assessings“ sichtbar machen. Sie zeigt, wie die Menschen, die bewerten, versuchen, mit ihrer Rolle mehr oder weniger gut zu Recht zu kommen. Und erst recht wird deutlich, welche Belastung eine solche Bewertung für die befragten Mitarbeiter darstellt. Die Kamera zeigt beide Parteien in einer Situation, die sich kaum einer wünschen kann. Mir als Zuschauer bleibt die Rolle des – über die Maßen interessierten – Voyeurs, der zugleich über sich selbst erschrickt. Die Situation ist unheimich und zugleich lädt sie enorm zur Bewertung ein – und dann wieder verurteile ich mich dafür, dass ich bewerte. Dieses ambivalente Verhältnis zeigt Carmen Losmann und sie lässt mich daraus nicht entfliehen.

Carmen Losmann fängt mit der Architektur langsam an und führt mich so in die verschiedenen Perspektiven ein. Die „Assessementcenter“ zeigen mir den Sinn dieser Perspektivwechsel, und schließlich kulminiert das Ganze in einem bacchantischem Taumel, „dem Change“, dem undefinierten und – wie es scheint – undefinierbaren, fetischisierten Veränderungsprozess als solchem, mit dem auf die so genannte „Globalisierung“ geantwortet wird – und die dadurch zugleich gefördert wird. Die Reaktion auf die Globalisierung ist zugleich die Aktion der Globalisierung, die sich im Unterenhmen als “Change” darstellt. Dieser „Change“ wird sichtbar in einer Weise, die mir nahe geht. Denn ich sehe die Angst der Bewerter, der Berater, der „Consultants“, die Angst derer, mit deren Augen ich gesehen habe – mir aber gleichzeitig verboten habe, das Geschehen in dieser Weise zu betrachten. Diese so genannten „Consultants“ sind – das wird deutlich – Getriebene von einer produktiven Kraft, die sie nicht mehr beherrschen können, die sie aber zu steuern versuchen. Das wird unterstrichen durch die immer schneller werdenden, mit Klicken verknüpften Schnitte, mit der die Regisseurin eingreift. Diese Schnitte haben sicher viele Bedeutungen: Sie zeigen, dass „der Change“ in praktisch alle Unternehmen Einzug hält. Aber sie machen auch das Äußerliche dieser Veränderung sichtbar, in dem die Regisseurin die Äußerlichkeit, mit der sie sich bisher zu dem Inhalt ihres Films verhalten hat, nutzt, um die Äußerlichkeit der Motive dieses „Change“ – und damit die Unbeherrschtheit dieses Veränderungsprozesses – ins Bild zu setzen. So werden auch die Unternehmensberater, die „Change-Agents“ und die Manager und Managerinnen nicht als souverän Handelnde dargestellt, sondern als Menschen, die darum kämpfen, dass „ihr“ Unternehmen in diesem Prozess fortbesteht. Das ist kein „Nice to have“, wird gesagt, das ist ein „must have“, eine Notwendigkeit, und „wir“ werden nicht überleben, wenn es uns nicht gelingt, diesen „Change“ zu schaffen: Dann würde es uns in 10 Jahren nicht mehr geben. „Wir“ heißt hier die eigene Firma, aber ich spüre, dass wir alle gemeint sind. Die Angst, die anfangs ich als Zuschauer vor dieser beklemmenden unkontrollierten Machtentfaltung hatte, hat nun die Akteure, die Steuernden selbst erreicht. Sie reagieren nicht wie ich im Film gespannt und gebannt sehend, sondern sie setzen diese Angst in ein – durch das Klicken und die Schnitthäufigkeit angedeutetes – atemloses Handeln um. Sie wollen den Prozess steuern, aber sie müssen dafür Dinge tun, von denen sie selbst wissen, dass sie unmöglich sind: Zum Beispiel träumt eine Beraterin davon, diesen „Change“ in die DNA der ihr anvertrauten Mitarbeiter einzupflanzen.

Welche Kraft treibt diese im Film gezeigte Entwicklung? Vielleicht hilft mir die nächste Episode, das zu verstehen. Dargestellt wird eine „Skill“-Datenbank von SAP, die die Fähigkeiten der Mitarbeiter, wie sie zuvor bewertet wurden, speichert und katalogisiert, so dass die Firmenleitung die „High-Potentials“, aber auch den „Bauch“ der „Workforce“ elektronisch abrufen kann…. Vielleicht ist das ein Hinweis: Es ist die neu gewonnene produktive Kraft der unter diesen Bedingungen arbeitenden Menschen, die aber ihre eigene Kraft nicht beherrschen, und deren Kraft nur mit Mühe äußerlich gesteuert werden kann.

Vielleicht auch deshalb kehrt der Film zum Assessmentcenter zurück. Er zeigt die einzelnen bewerteten Menschen, die nicht als einzelne, aber in ihrer Zusammenarbeit eine enorme unkontrollierte Kraft entwickeln, eine produktive Kraft, deren Auswirkungen auf das Management Carmen Losmann zeigt. Der Film macht so das Unsichtbare sichtbar. Schließlich verabschiedet sich Carmen Losmann, indem sie auf die erste Szene zurückkommt. Sie zeigt jetzt: Die Fragende, die uns zu Beginn die Fragen vorgelegt hatte, ist selbst in einer Bewertungssituation. Sie hatte gefragt: Was bedeutet die Arbeit für Sie? Diese Frage hat mir den ganzen Film über vor Augen gestanden. Ihr Vorgesetzter hatte geantwortet: Freude und Erfolg. Damit hatte er in ihren Augen allerdings nur drei von fünf Möglichen, „denn es war doch eine etwas kurze Antwort“. Der Vorgesetzte geht, die Dame bleibt im weiß-grauen Raum zurück. Sie telefoniert… Der Film endet.

Carmen Losmann hat mich der Form nach in die Arbeit des Managements eingeführt. Aber sie hat mir auch gezeigt, wie diese Arbeit ein Leben „generiert“, das mein Leben ist. Sie erlaubt mir so, mein Leben als generiert zu reflektieren. Ich muss nur mein inneres Verbot überwinden und mir den Blick der Manager erlauben. Dann sehe ich meine und unsere gemeinschaftliche produktive Kraft, die unbeherrscht bleibt, solange wir uns ihrer nicht annehmen. Denn die Frage: Was bedeutet Arbeit für SIe? erhält einen Doppelklang: Die Antwort aber nennt nur eine Seite. Freude und Erfolg, lautet die Antwort, bei der das Erschreckende ausgeklammert wird. Wir sehen beim Verfolgen des Films, dass diese Antwort einseitig ist, weil sie sich um das soziale Ergebnis der Arbeit nicht kümmert. Die gemeinsame produktive Kraft von uns arbeitenden Menschen bleibt unbeherrscht – und bedrohlich, weil wir die Bedeutung unserer Arbeit nicht erkennen – nicht akzeptieren und uns nicht darum kümmern.

Wir sehen in diesem Film die Auswirkungen. Wir sehen, wie intelligente und produktive Menschen sich der Kraft der Unternehmen vollständig unterordnen, weil sie an der vordersten Front des Lebens produktiv tätig sein wollen. Aber wir sehen auch das Beängstigende der Unbewusstheit dieser Form der Arbeit. Denn nichts soll daran erinnern, dass wir arbeiten. Dann brauchen wir auch keine Verantwortung für unsere Arbeit zu übernehmen – und dann stört es uns auch nicht, dass die sogenannten Arbeitgeber – im Unterschied zu früher – diese Verantwortiung ebenfalls nicht mehr übernehmen können. Wir leben dann ein generiertes Leben – und vielleicht erklärt dies das merkwürdig Künstliche, das viele Kritiker des Film an “Die schöne neue Welt” erinnerte. Obwohl es hier um etwas anderes geht: alle Mitwirkenden erscheinen zunächst wie Schauspieler eines Drehbuches eines scheinbar unbekannten Autors. Wir leben dann ein generiertes Leben, in dem die Unbewusstheit, dass wir arbeiten – und die damit einhergehende Verdrängung - das Schönste ist, was wir uns vorstellen können. Eine Beherrschung dessen, was wir tun jedenfalls gehörft nicht zu dem “Change”, der uns alle zu unterwerfen scheint, obwohl wir selbst es snd, die ihn hervorbringen. Das wirft Fragen auf. Carmen Losmann gibt in diesem Film keine Antwort auf die Fragen, die sie stellt. Sie bleibt dem Inhalt nach in der Ambivalenz. Aber die ästhetische Form, die den Film zu einem packenden Genuss macht, hält vielleicht eine Antwort bereit: Die (Kamera) Perspektive lehrt uns den Blick der Trainer wie des Trainees, des Manager wie des Mitarbeiters. Die Klicks und die Schnitte machen uns die Arbeit der Regisseurin sichtbar, und wir – die Zuschauer – sehen das alles als eine Einheit, den Film. Wir sehen die Produktivität der heutigen Arbeit aus unterschiedlicher Perspektive und werden – so denke ich – befähigt, in einer neuen Weise auf diese Entwicklung zu schauen: So, als würden wir sie erkennen und verstehen und damit der Möglichkeit nach auch beherrschen können. Mit dem Film stellt Carmen Losmann eine Frage: Was soll aus unserer gemeinschaftlichen – unbeherrschten – produktiven Kraft unserer gemeinsamen Arbeit werden? Die Antwort müssen wir geben. Aber die Ästhetik des Films deutet an: Wir können sie auch geben.

Wieso wir? Könnte man fragen: Dafür ist doch der Arbeitgeber zuständig! Aber der Arbeitgeber gibt die Unternehmerfunktion an seine Beschäftigten weiter – um mehr Gewinne zu machen – und mit der Unternehmerfunktion auch die Verantwortung für das, was wir tun. Wenn der Arbeitgeber unsere Verantwortung für unsere Arbeit auf die Profitabilität des Unternehmens beschränkt - so tut der Film das nicht.