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==Produktivkraft Sexualität==
 
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==Die Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung==
   
===von Uschi Siemens===
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===von Eva Bockenheimer===
   
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In der sogenannten "Seinslogik"<ref>
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G.W.F. Hegel: "Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832)", neu hg. v. H.-J. Gawoll, Hamburg: Meiner 1990 (Philosophische Bibliothek, Bd. 385).</ref> von 1832 äußert sich Hegel sehr deutlich zu der Frage des Verhältnisses von Unmittelbarkeit und Vermittlung überhaupt und ihrem Verhältnis zum Wissen:
   
=== 0.Einleitung ===
 
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"Die in der Bildung der Zeit so wichtig erscheinende Frage, ob das Wissen der Wahrheit ein unmittelbares, schlechthin anfangendes Wissen sei, ist an diesem Orte nicht zu erörtern. Insofern solche Betrachtung vorläufig angestellt werden kann, ist dies anderwärts (...) geschehen. Hier mag daraus nur dies angeführt werden, daß es nichts gibt, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sei, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung, so daß sich diese beiden Bestimmungen als ungetrennt und untrennbar und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt. Was aber die wissenschaftliche Erörterung betrifft, so ist es jeder logische Satz, in welchem die Bestimmungen der Unmittelbarkeit und der Vermittlung und also die Erörterung ihres Gegensatzes und ihrer Wahrheit vorkommt. Insofern dieser Gegensatz in Beziehung auf Denken, Wissen, Erkennen die konkretere Gestalt von unmittelbarem oder vermitteltem Wissen erhält, wird die Natur des Erkennens überhaupt sowohl innerhalb der Wissenschaft der Logik betrachtet, als dasselbe in seiner weiter konkreten Form in die Wissenschaft vom Geiste und in die Phänomenologie desselben fällt. Vor der Wissenschaft aber schon über das Erkennen ins reine kommen wollen, heißt verlangen, daß es außerhalb derselben erörtert werden sollte; außerhalb der Wissenschaft läßt sich dies wenigstens nicht auf wissenschaftliche Weise, um die es hier allein zu tun ist, bewerkstelligen."Ders., a.a.O., S. 56/57.
   
"Indes kann ich doch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß auch für die deutschen Sozialisten einmal der Augenblick kommen muß, wo sie dies letzte deutsche Philistervorurteil, die verlogene spießbürgerliche Moralprüderie offen abwerfen, die ohnehin nur als Deckmantel für verstohlene Zotenreißerei dient. (...) Es wird nachgerade Zeit, daß wenigstens die deutschen Arbeiter sich gewöhnen, von Dingen, die sie täglich oder nächtlich selbst treiben, von natürlichen, unentbehrlichen und äußerst vergnüglichen Dingen ebenso unbefangen zu sprechen wie die romanischen Völker, wie Homer und Plato, wie Horaz und Juvenal, wie das Alte Testament und die "Neue Rheinische Zeitung"" <ref> Friedrich Engels: Georg Weerth, der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats, in: Marx-Engels-Werke Bd. 21, Berlin (DDR) 1973, S. 8.</ref>, schrieb Friedrich Engels 1833 seinen Genossinnen und Genossen in das Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie. Wie Menschen ihre Sexualität leben und erleben, wie sich dabei das Verhältnis zwischen Frauen und Männern gestaltet, ist abhängig vom kulturellen Entwicklungsstand der Gesellschaft, in der sie leben und von den Sitten und Traditionen, die in dieser Gesellschaft vorherrschend sind. Fast 130 Jahre nach Engels´ Bemerkung hat sich in der DDR eine sozialistische Literatur entwickelt, die für sich selbst in Anspruch nimmt, "eine neue Sicht der Geschlechterbeziehung"<ref>
 
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Die Bemerkung, daß es nichts gebe, was nicht zugleich vermittelt und unmittelbar sei, ist hier selbst bloß unmittelbar. Denn sie gibt ein Resultat an, dessen Ausführung, auf die es nach Hegels "Vorrede" zur "Phänomenologie des Geistes"<ref>
Eva und Hans Kaufmann: Glück ohne Ruh. Zur Darstellung der Geschlechterbeziehungen, in: Dies. (Hg.): Erwartung und Angebot. Studien zum gegenwärtigen Verhältnis von Literatur und Gesellschaft in der DDR, Berlin 1976, S. 167.</ref> geschaffen zu haben. Diese neue Sicht der Geschlechterbeziehung beruht auf zwei wesentlichen Voraussetzungen. Sie geht einerseits von der Annahme aus, dass die sozialistische Gesellschaft mit der Überwindung der kapitalistischen Ausbeutungs- und Herrschaftsstrukturen konsequent neue, gewalt- und herrschaftsfreie Beziehungen zwischen Männern und Frauen möglich werden lässt. Andererseits beruft sie sich auf die politische und gesellschaftliche Bedeutung der Literatur in der DDR.
 
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Im folgenden zitiere ich die "Phänomenologie des Geistes" nach der Ausgabe G.W.F. Hegel: "Phänomenologie des Geistes", hg. v. Hans - Friedrich Wessels u. Heinrich Clairmont, mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen, Hamburg: Meiner 1988 (Philosophische Bibliothek, Bd. 414). Angaben in Klammern im laufenden Text geben die Seitenzahlen in dieser Ausgabe der "Phänomenologie" an.</ref> in der Philosophie als Wissenschaft wesentlich ankommt (5), an anderer Stelle geschieht. Um einen Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung zu bekommen, und sie als in Wahrheit "ungetrennt und untrennbar" zu begreifen, muß also ihre Vermittlung, die eigentliche philosophische Ausführung, begriffen werden.<ref>
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Zur leichteren Orientierung möchte ich jedoch vorab den abstrakten Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung angeben, in dem ich von ihrer Dialektik abstrahiere: Vermittlung beinhaltet immer Negation. Jeder Unterschied ist eine Vermittlung, denn etwas kann sich nur von etwas anderem unterscheiden, wenn es das andere nicht ist. Damit ist Vermittlung zudem wesentlich Bewegung: "(...) Vermittlung ist ein Anfangen und ein Fortgegangensein zu einem Zweiten, so daß dies Zweite nur ist, insofern zu demselben von einem gegen dasselbe Anderen gekommen worden ist." (G.W.F. Hegel: "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I", auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1999, §12, S. 56). Im Gegensatz zu den Unterschieden und der Vielheit, die die Bewegung der Vermittlung setzt, hat das Unmittelbare die Form der Einfachheit und Ruhe. In ihm sind alle Unterschiede und Vermittlungen verschwunden und aufgehoben. Das Unmittelbare erscheint als selbständig und voraussetzungslos. Es bezieht sich nur auf sich selbst und bedarf keines anderen. (Da die Bewegung der Vermittlung verschwindet, kann auch ein Unterschied unmittelbar genommen werden, wenn man von der vermittelnden Bewegung des Unterscheidens, von der Negation, abstrahiert, die notwendig ist, um zu diesem Unterschied zu kommen.) Diese Bestimmung von Vermittlung und Unmittelbarkeit wird sich als abstrakt herausstellen, weil sich beide nicht trennen lassen, sondern wesentlich ineinander übergehen. Sie kann nur eine vorläufige sein. Im Laufe der philosophischen Ausführung Hegels wird ihr Begriff herausgearbeitet werden. Es wird sich zeigen, daß sich beide gegenseitig voraussetzen und in Wahrheit "ungetrennt und untrennbar" sind.</ref> Eine solche Ausführung findet auch in der "Phänomenologie des Geistes" statt, in der das Wissen und sein Verhältnis zu Unmittelbarkeit und Vermittlung Gegenstand ist.
   
===Gesellschaft und Emanzipation===
 
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Ich möchte nun in einem ersten Teil darstellen, inwiefern der Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung für Inhalt und Methode der "Phänomenologie" von Bedeutung ist. Insofern dieser Teil allgemein das Verhältnis von Inhalt und Methode in der "Phänomenologie" behandelt - also über die Bewegung des Inhalts spricht, ohne die wirkliche Bewegung dabei zugleich nachzuvollziehen - bleibt darin das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung noch abstrakt.
   
Ursprüngliches Ziel der sozialistischen Gesellschaft war die Befreiung des Menschen von entfremdeter Arbeit und Herrschaftsstrukturen. Die freie Entfaltung eines jeden Individuums sollte erreicht werden auf der Grundlage einer abgesicherten sozialen und materiellen Existenz. Nach Friedrich Engels wird der Stand der allgemeinen Emanzipation einer gegebenen Gesellschaft gemessen am Grad der weiblichen Emanzipation, daher legte die Staatsführung der DDR besonderen Wert auf die Förderung der Gleichberechtigung der Frauen. Die massenhafte Einbeziehung in den ökonomischen Prozess sollte den Frauen ökonomische Unabhängigkeit und intellektuelle und politische Selbständigkeit garantieren und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihre Fähigkeiten und Talente zu entfalten. Juristische und soziale Grundlagen wurden zügig Schritt für Schritt geschaffen: So legte der Artikel 7 der Verfassung der DDR von 1949 den Gleichberechtigungsanspruch von Mann und Frau fest; das Gesetzbuch der Arbeit von 1961 schrieb Maßnahmen zur Entlastung der doppelbelasteten Frauen und Frauenförderpläne zur beruflichen Qualifikation der Frauen vor; das Familiengesetzbuch von 1965 erklärte alle Angelegenheiten des gemeinsamen Lebens wie Erziehung der Kinder, Führung des Haushalts oder den materiellen Unterhalt der Familie zu Rechten und Pflichten beider Ehegatten. Das Recht auf Arbeit war ebenso in der DDR-Verfassung verankert wie - seit 1972 - das Recht auf kostenlose Anti-Baby-Pillen und straffreien Schwangerschaftsabbruch. Durch sozialpolitische Maßnahmen wie Einrichtungen zur Kinderbetreuung, Kindergeld, Babyjahr, bezahlte Freistellung bei Krankheit der Kinder erreichte die DDR in den achtziger Jahren mit 78,1 Prozent den höchsten Beschäftigungsgrad von Frauen in der Welt. <ref>
 
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In einem zweiten Teil soll daher die konkrete Ausführung anhand des Kapitels (A) "Bewußtsein" der "Phänomenologie des Geistes" dargestellt werden, das aus den drei Unterkapiteln (I) "Sinnliche Gewißheit", (II) "Wahrnehmung" und (III) "Kraft und Verstand" besteht.5 Dabei wird sich zeigen, wie sich bereits nach diesem Kapitel als Resultat der Erfahrung des Bewußtseins für die Leserinnen und Leser ergibt, daß Unmittelbarkeit und Vermittlung "ungetrennt und untrennbar" sind. Das Resultat dieser Erfahrung ist nämlich der unendliche Begriff, der in sich absolut vermittelt ist, aber ebenso unmittelbar diese Vermittlung in sich aufhebt. Mit dem Begriff ist eine Totalität erreicht, in der zugleich das wahre Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung an einem Moment des Geistes begriffen ist.
Vgl. "Ungleiche Schwestern? Frauen in Ost- und Westdeutschland. Anspruch und Alltag, Gemeinsamkeiten und Unterschiede". Ausstellungskatalog der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Geschichte, Bonn, 1997.</ref>
 
 
Diese durchgesetzten Maßnahmen zogen gravierende Veränderung im Geschlechterverhältnis nach sich. Ihre Wirkung zeigte sich nicht nur in der ebenfalls höchsten Scheidungsrate der Welt, sondern fand sein Echo auch in der Literatur.
 
 
===Gesellschaftspolitische Funktion der Literatur===
 
 
Die zweite wesentliche Voraussetzung, auf die sich eine "neue Sicht des Geschlechterverhältnisses" gründet, ist der gesellschaftspolitische Einfluss, den Schriftsteller wie Politiker der Literatur in der DDR zusprachen. Die Literatur der DDR verstand sich von Beginn an als politische Literatur. Sowohl die politische Führung der DDR wie auch viele Autorinnen und Autoren des Landes waren der Überzeugung, dass Kunst und Literatur Bewusstsein schaffen und verändern kann, dass sie Einfluss nehmen kann auf menschliches Denken und Handeln. Kunst und Literatur sollte und wollte - gerade nach den jüngsten Erfahrungen mit der faschistischen Vergangenheit - zur Entwicklung und Förderung eines fortschrittlichen, humanistischen und antifaschistischen Bewusstseins beitragen, in die gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Auseinandersetzungen eingreifen. Künstler und Literaten sollten und wollten mit ihren Werken eingebunden sein in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, ihn fördernd und kritisch begleitend; sie verstanden sich als - mehr oder weniger - kritische Mitgestalter einer neuen marxistischen Gesellschaftsordnung.
 
 
Den Aufbau einer neuen Gesellschaft literarisch zu begleiten, gleichzeitig zu reflektieren und zu interpretieren, war für Künstler und Schriftsteller ein Schritt in unbekannte Regionen, "ins unbeschrittene Territorium" <ref>
 
Hans-Dietrich Sander: Geschichte der Schönen Literatur in der DDR. Ein Grundriß, Freiburg 1972, S. 100.</ref>, und dieser Prozess verlief nicht reibungslos. Eine Darstellung der Auseinandersetzungen zwischen Staatsführung und Literaten, der Einflüsse außenpolitischer Entwicklungen auf das innenpolitische Umgehen mit Kultur und Literatur würde hier zu weit führen; sie lässt sich umfassend nachlesen bei Wolfgang Emmerich.<ref>
 
Vgl. Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe, Leipzig 1997.</ref> Festzuhalten bleibt, dass die DDR-Führung die Literaturproduktion durch Verlagsgründungen, Organisationen, Stipendien, Schriftstellerheime etc. großzügig förderte, gleichzeitig benutzte sie den "sozialistischen Realismus" als kulturpolitisches Instrument, um eine Kunst- und Literaturproduktion in ihrem Sinne zu fordern. Experimente wie die "Bitterfelder Konferenz"<ref>
 
Im Frühjahr 1959 veranstaltete der Mitteldeutsche Verlag eine Autorenkonferenz (I. Bitterfelder Konferenz) im Zusammenhang mit der von der SED und der staatlichen Plankommission in Leuna beschlossenen Entwicklung der chemischen Industrie in einem 7-Jahres-Plan. Auf dieser Konferenz wurden die "Kulturschaffenden" aufgerufen, in die chemischen Betriebe zu gehen und Probleme und Erfolge des Aufbaus zu beschreiben; gleichzeitig wurden die "Werktätigen" aufgerufen, über ihre Erfahrungen in den Betrieben zu schreiben. Vgl. Erhard H. Schütz/Jochen Vogt u.a. (Hg.): Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Band 3: Bundesrepublik und DDR, Opladen 1980, S. 229.</ref> zeigen beispielhaft die Versuche der Parteiführung, Literatur inhaltlich zu beeinflussen und auf bestimmte Sujets zu verpflichten. Für die Schriftsteller bedeuteten die Auseinandersetzungen um den sozialistischen Realismus einen - nicht immer freiwilligen und oft schmerzhaften - Prozess der Selbstverständigung über die Eigengesetzlichkeit von Literatur.
 
 
Bis zum Ende der DDR blieb die Literatur "Seismograph gesellschaftlicher Beben"<ref>
 
Vgl. Wolfgang Emmerich: a.a.O., S.199.</ref>, sie macht nicht nur die Gefährdung des einzelnen Menschen, sondern der gesamten Menschheit durch Atomraketen, Atomkraftwerke, zunehmende Umweltverschmutzung ebenso zum Thema wie die Warnungen vor der wachsenden Kluft zwischen Volk und Parteiführung, vor der Resignation über das Nicht-Gebraucht-Werden, vor dem Rückzug in Nischen und dem Einrichten in scheinbaren Idyllen. Besonders die Gestaltung der Beziehungen zwischen Männern und Frauen und die Sexualität als Quelle von Produktivität und Unruhe spielen - sowohl kritisch als auch eher affirmativ - in der Darstellung - in der Literatur der DDR eine herausragende Rolle.
 
 
===Produktivkraft Sexualität===
 
 
Der Begriff der Produktivkraft entstammt der marxistischen Theorie. Für Marx bedeutet Produzieren im weitesten Sinne das Heraustreten der Menschen aus dem Tierreich: "Man kann die Menschen durch das Bewusstsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst."<ref>
 
Karl Marx/Friedrich Engels: Die Deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke Bd. 3, Berlin (DDR) 1983, S. 21.</ref> Das Produzieren von Lebensmitteln ist also das historisch erste und grundlegende menschliche Tun, das die äußere Natur wie auch die Natur des Menschen selbst verändert. Diesen Veränderungsprozess definiert Marx als Geschichte.
 
 
Produktivkraft ist diejenige Kraft, die den Unterschied zwischen Menschen und Tieren hervorbringt. Obwohl die Produktivkraft im Laufe der Geschichte ständig weiterentwickelt wird, beherrschen die Menschen diese Kraft nicht, denn sie unterliegt einer "naturwüchsigen Teilung der Arbeit"<ref>
 
Karl Marx/Friedrich Engels: a.a.O., S. 32.</ref>. Aus der Teilung der Arbeit entsteht die kulturelle und soziale Rollenverteilung und - im Zusammenhang mit der Entstehung des Privateigentums - ein allgemeines Herrschaftsverhältnis und damit auch das Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen. Privateigentum und Arbeitsteilung sind nach Marx die Ursachen dafür, dass jeder Mensch "einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit" hat, "der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht herauskann, (...) wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will."<ref>
 
Karl Marx/Friedrich Engels: a.a.O., S. 33.</ref> Die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwingt die Menschen dazu, sich ihre Lebensmittel mit einer bestimmten Tätigkeit zu beschaffen und führt zu einer Subsumtion der Individuen unter ihre Tätigkeit. Die Menschen verkehren nicht als menschliche Individuen miteinander, sondern als Vertreter ihrer beruflichen oder geschlechtsspezifischen Funktion. Marx unterscheidet verschiedene "Momente" bei der Entwicklung der Produktivkraft, unter anderem auch das sexuelle Verhältnis zwischen Mann und Frau: "Das dritte Verhältnis, was hier von vorneherein in die geschichtliche Entwicklung eintritt, ist das, daß die Menschen, die ihr eigenes Leben täglich neu machen, anfangen, andere Menschen zu machen, sich fortzupflanzen - das Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, die Familie."<ref>
 
Karl Marx/Friedrich Engels: a.a.O., S. 29.</ref> Die Fortpflanzung, die zunächst Menschen und Tieren gemeinsam ist, betrachtet Marx als "ein doppeltes Verhältnis - einerseits als natürliches, andererseits als gesellschaftliches Verhältnis". Sexualität gehört nach der marxistischen Theorie zur Produktivkraft der Menschen. Auch die Sexualität ist von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bestimmt: Von den naturwüchsigen Gesellschaften bis weit in die kapitalistische Organisation der Produktion war das Geschlechterverhältnis ein Verhältnis von wirtschaftlicher Abhängigkeit, in dem die Frauen für Reproduktion und Kinderaufzucht verantwortlich waren, die Männer die Rolle des "Ernährers der Familie" innehatten.
 
 
Im Rahmen einer Entwicklung zur Befreiung der Menschen überhaupt und damit auch der Frauen, behauptete die DDR, diese Form des Geschlechterverhältnisses überwunden zu haben. Irmtraud Morgner beruft sich auf das Versprechen des Sozialismus, Entfremdungs- und Herrschaftsverhältnisse, insbesondere im Geschlechterverhältnis, aufzuheben. Auf der Grundlage der Marxschen Theorie entwickelt sie ihren Begriff der Produktivkraft Sexualität, der sich auf die schöpferischen, kreativen Potenzen aller wirklich befreiten Menschen bezieht. Sie definiert die Produktivkraft Sexualität als "eine kostbare Unruhe, die erotische Beziehungen ermöglicht, nicht nur zu Menschen, sondern auch zu Landschaften, Tönen, Farben, Gerüchen - zu Erscheinungen dieser Welt überhaupt. Ohne sie gibt es keinen Enthusiasmus, kein Feuer des Geistes, keinen Esprit. Kein Denker, kein Politiker, kein Wissenschaftler, kein Dichter, kein Komponist arbeitet nur mit dem Kopf. Er arbeitet als Ganzheit: der Kopf ist ein Teil seines Körpers, nicht sein Widersacher. (...). Das gilt für Frauen ebenso wie für Männer"<ref>
 
Karin Huffzky: "Produktivkraft Sexualität souverän nutzen". Ein Gespräch mit der DDR-Schriftstellerin Irmtraud Morgner, in: Jutta Menschik (Hrsg.): Grundlagentexte zur Emanzipation der Frau, Köln 1976, S. 327 - 33</ref>. Mit dieser literarischen Definition wirft Irmtraud Morgner einerseits die Frage auf, ob und inwieweit die Unterordnung der Menschen unter ihre sozialen und geschlechtsspezifischen Funktionen in der sozialistischen Gesellschaft tatsächlich aufgehoben ist und sie als Individuen ihre äußere und innere Natur zu beherrschen gelernt haben; andererseits liefert sie mit ihrer Definition einen Maßstab, an dem das Geschlechterverhältnis in der DDR-Literatur zu messen ist.
 
 
Vor dem Hintergrund dieser Aspekte untersucht die folgende Arbeit in sechs DDR-Romanen aus der Zeit von 1968 bis 1985, ob und wie sich die "neue Sicht des Geschlechterverhältnisses" bei der Darstellung von Sexualität und Beziehungen in der Literatur wiederfindet. Ein Zeitraum von fast zwanzig Jahren wurde gewählt, um eine mögliche Veränderung und Entwicklung in der Darstellung des Geschlechterverhältnisses überprüfen zu können. Die Auswahl von jeweils drei Romanen männlicher und weiblicher Autoren soll der Tatsache Rechnung tragen, dass schreibende Männer und schreibende Frauen beim Thema Geschlechterbeziehung unterschiedliche Akzente setzen. Die Romane werden in Einzeldarstellungen untersucht, um der Originalität jedes einzelnen Werkes gerecht werden zu können. Dabei werden in den Einzeluntersuchungen bestimmte Fragen die Untersuchung leiten und vergleichbar machen: Fragen nach der sozialen Herkunft der Hauptfiguren und ihr sich daraus ergebendes Verhältnis zu ihrem Staat; Fragen zum Verhältnis von Arbeit, Beruf und Beziehungsleben; das Verhältnis zum anderen Geschlecht und die konkrete Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität.
 
<math>Formel hier einfügen</math>
 
   
 
== Fußnoten ==
 
== Fußnoten ==

Version vom 31. Mai 2007, 15:37 Uhr

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Die Dialektik von Unmittelbarkeit und Vermittlung

von Eva Bockenheimer

In der sogenannten "Seinslogik"[1] von 1832 äußert sich Hegel sehr deutlich zu der Frage des Verhältnisses von Unmittelbarkeit und Vermittlung überhaupt und ihrem Verhältnis zum Wissen:

"Die in der Bildung der Zeit so wichtig erscheinende Frage, ob das Wissen der Wahrheit ein unmittelbares, schlechthin anfangendes Wissen sei, ist an diesem Orte nicht zu erörtern. Insofern solche Betrachtung vorläufig angestellt werden kann, ist dies anderwärts (...) geschehen. Hier mag daraus nur dies angeführt werden, daß es nichts gibt, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sei, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung, so daß sich diese beiden Bestimmungen als ungetrennt und untrennbar und jener Gegensatz sich als ein Nichtiges zeigt. Was aber die wissenschaftliche Erörterung betrifft, so ist es jeder logische Satz, in welchem die Bestimmungen der Unmittelbarkeit und der Vermittlung und also die Erörterung ihres Gegensatzes und ihrer Wahrheit vorkommt. Insofern dieser Gegensatz in Beziehung auf Denken, Wissen, Erkennen die konkretere Gestalt von unmittelbarem oder vermitteltem Wissen erhält, wird die Natur des Erkennens überhaupt sowohl innerhalb der Wissenschaft der Logik betrachtet, als dasselbe in seiner weiter konkreten Form in die Wissenschaft vom Geiste und in die Phänomenologie desselben fällt. Vor der Wissenschaft aber schon über das Erkennen ins reine kommen wollen, heißt verlangen, daß es außerhalb derselben erörtert werden sollte; außerhalb der Wissenschaft läßt sich dies wenigstens nicht auf wissenschaftliche Weise, um die es hier allein zu tun ist, bewerkstelligen."Ders., a.a.O., S. 56/57.

Die Bemerkung, daß es nichts gebe, was nicht zugleich vermittelt und unmittelbar sei, ist hier selbst bloß unmittelbar. Denn sie gibt ein Resultat an, dessen Ausführung, auf die es nach Hegels "Vorrede" zur "Phänomenologie des Geistes"[2] in der Philosophie als Wissenschaft wesentlich ankommt (5), an anderer Stelle geschieht. Um einen Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung zu bekommen, und sie als in Wahrheit "ungetrennt und untrennbar" zu begreifen, muß also ihre Vermittlung, die eigentliche philosophische Ausführung, begriffen werden.[3] Eine solche Ausführung findet auch in der "Phänomenologie des Geistes" statt, in der das Wissen und sein Verhältnis zu Unmittelbarkeit und Vermittlung Gegenstand ist.

Ich möchte nun in einem ersten Teil darstellen, inwiefern der Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung für Inhalt und Methode der "Phänomenologie" von Bedeutung ist. Insofern dieser Teil allgemein das Verhältnis von Inhalt und Methode in der "Phänomenologie" behandelt - also über die Bewegung des Inhalts spricht, ohne die wirkliche Bewegung dabei zugleich nachzuvollziehen - bleibt darin das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung noch abstrakt.

In einem zweiten Teil soll daher die konkrete Ausführung anhand des Kapitels (A) "Bewußtsein" der "Phänomenologie des Geistes" dargestellt werden, das aus den drei Unterkapiteln (I) "Sinnliche Gewißheit", (II) "Wahrnehmung" und (III) "Kraft und Verstand" besteht.5 Dabei wird sich zeigen, wie sich bereits nach diesem Kapitel als Resultat der Erfahrung des Bewußtseins für die Leserinnen und Leser ergibt, daß Unmittelbarkeit und Vermittlung "ungetrennt und untrennbar" sind. Das Resultat dieser Erfahrung ist nämlich der unendliche Begriff, der in sich absolut vermittelt ist, aber ebenso unmittelbar diese Vermittlung in sich aufhebt. Mit dem Begriff ist eine Totalität erreicht, in der zugleich das wahre Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung an einem Moment des Geistes begriffen ist.

Fußnoten

  1. G.W.F. Hegel: "Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832)", neu hg. v. H.-J. Gawoll, Hamburg: Meiner 1990 (Philosophische Bibliothek, Bd. 385).
  2. Im folgenden zitiere ich die "Phänomenologie des Geistes" nach der Ausgabe G.W.F. Hegel: "Phänomenologie des Geistes", hg. v. Hans - Friedrich Wessels u. Heinrich Clairmont, mit einer Einleitung von Wolfgang Bonsiepen, Hamburg: Meiner 1988 (Philosophische Bibliothek, Bd. 414). Angaben in Klammern im laufenden Text geben die Seitenzahlen in dieser Ausgabe der "Phänomenologie" an.
  3. Zur leichteren Orientierung möchte ich jedoch vorab den abstrakten Begriff von Unmittelbarkeit und Vermittlung angeben, in dem ich von ihrer Dialektik abstrahiere: Vermittlung beinhaltet immer Negation. Jeder Unterschied ist eine Vermittlung, denn etwas kann sich nur von etwas anderem unterscheiden, wenn es das andere nicht ist. Damit ist Vermittlung zudem wesentlich Bewegung: "(...) Vermittlung ist ein Anfangen und ein Fortgegangensein zu einem Zweiten, so daß dies Zweite nur ist, insofern zu demselben von einem gegen dasselbe Anderen gekommen worden ist." (G.W.F. Hegel: "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I", auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1999, §12, S. 56). Im Gegensatz zu den Unterschieden und der Vielheit, die die Bewegung der Vermittlung setzt, hat das Unmittelbare die Form der Einfachheit und Ruhe. In ihm sind alle Unterschiede und Vermittlungen verschwunden und aufgehoben. Das Unmittelbare erscheint als selbständig und voraussetzungslos. Es bezieht sich nur auf sich selbst und bedarf keines anderen. (Da die Bewegung der Vermittlung verschwindet, kann auch ein Unterschied unmittelbar genommen werden, wenn man von der vermittelnden Bewegung des Unterscheidens, von der Negation, abstrahiert, die notwendig ist, um zu diesem Unterschied zu kommen.) Diese Bestimmung von Vermittlung und Unmittelbarkeit wird sich als abstrakt herausstellen, weil sich beide nicht trennen lassen, sondern wesentlich ineinander übergehen. Sie kann nur eine vorläufige sein. Im Laufe der philosophischen Ausführung Hegels wird ihr Begriff herausgearbeitet werden. Es wird sich zeigen, daß sich beide gegenseitig voraussetzen und in Wahrheit "ungetrennt und untrennbar" sind.