Texte:Phaenomenologie2

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Über den Aufbau der Phänomenologie des Geistes
von Stephan Siemens

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3. Die Entgegensetzung des Bewußtseins

Wir beginnen unseren Weg unmittelbar mit dem Anfang. Dieser Unmittelbarkeit entspricht die Unmittelbarkeit der Teilung des Geistes, der die Bewegung seiner Fortbestimmung mit den Gestalten anfängt, denen die unmittelbaren "Urtheile des Daseyns" entsprechen. In diesen Gestalten bestimmt der Geist das Moment des Gegenstandes bis zum Begriff des Gegenstandes. Die "Urtheile des Daseins", von Hegel auch "Urtheile der Inhärenz"44 genannt, dienen der Bestimmung des Prädikats, das im Urteil dem Gegenstand in der Gestalt entspricht. Das Bewusstsein der Gestalt bestimmt sich als das Bewusstsein seines Gegenstandes. Das Ziel der Bewegung ist erreicht, wenn der Begriff des Gegenstandes vollständig bestimmt ist und als Moment des Geistes aufgefasst ist. Dem entspricht beim Urteil die vollständige Bestimmung des Moments des Prädikats, so dass es in der Folge das Zugrundeliegende der Bewegung der Fortbestimmung am Subjekt sein kann.

3.1. Die sinnliche Gewissheit

Indem wir die Untersuchung des erscheinenden Wissens anfangen45, haben wir ein Wissen zum Gegenstand, das durch die Bestimmtheit unseres Anfangens bestimmt ist, welches als seine Anfänglichkeit erscheint.46 Wie wir unmittelbar anfangen müssen, um anfangen zu können, so ist unser erster Gegenstand unmittelbares Wissen.47 Wir haben uns als anfangend zu verhalten, indem wir alles Begreifen abhalten. "Das Wissen, welches zuerst und unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein, als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist. Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern, und vom Auffassen das Begreifen abzuhalten." (S. 69)

Die erste Gestalt des Geistes ist die der sinnlichen Gewissheit, in welcher das Bewusstsein zuerst oder unvermittelt auftritt. Selbst als auftretend völlig unbestimmt, bestimmt es sich über seinen Gegenstand. Sein Gegenstand ist daher das Unmittelbare, seine gegenständliche Unmittelbarkeit. Das erste Urteil des Geistes ist das unmittelbare Urteil des Seins, in welchem er sich in Bewusstsein und Gewusstsein als die Momente teilt: Bewusstsein ist Gewusstsein. Als erstes Urteil ist es nach der "Wissenschaft der Logik"48 das positive Urteil. Das betrachtete Bewusstsein weiß wegen seiner Unmittelbarkeit nicht, dass es Resultat einer Teilung des Geistes ist. Dem Bewusstsein erscheint die Unmittelbarkeit der Teilung ausschließlich in der Unmittelbarkeit der Momente der Teilung, d. h. seines Gegenstandes, des sich in Raum und Zeit ausbreitenden "Dieses", und seiner selbst als "Dieser", sowie der ebenso unmittelbaren Beziehung beider Momente.49

An den Momenten zeigt sich dem Bewusstsein seine - durch die Teilung des Geistes vermittelte - Unmittelbarkeit so, dass es einerseits die Wesentlichkeit der Momente, ihre Einheit und Notwendigkeit, andererseits ihre vollkommene Unbestimmtheit in der Weise auffasst, dass gleichgültige Beispiele zur Erfüllung der als einzeln aufgefassten Momente erforderlich sind. Beide Seiten widersprechen sich und werden daher vom Bewusstsein an die verschiedenen Momente verteilt. Als unmittelbares, in sich unbestimmtes Bewusstsein ist ihm der Gegenstand als das bloß Vorgefundene, als dessen Bewusstsein es sich bestimmt, das Wahre und somit das Wesen, es selbst das Unwahre und also das Beispiel. Für es hat die Wahrheit eine Struktur, die der eines positiven Urteils der Gestalt vergleichbar ist: "Dieses" ist das Gewusste. Der Gegenstand ist aber für das Bewusstsein nicht als "Dieser" überhaupt, wie er das wesentliche Moment der Teilung wäre, sondern nur als ein "Beispiel", als ein das "Dieser" erfüllender Fall50, der durch die konkretisierenden Bestimmungen des Hier und des Jetzt erfasst wird: "Das Hier ist der Baum". "Das Jetzt ist die Nacht." Der Gegenstand, wie er als wahr behauptet wird, zeigt selbst die Struktur des positiven Urteils51. Zugleich wird er als wahr nur behauptet, d. h. unmittelbar versichert. Die Beurteilung des Wissens hat bloß assertorischen52 Charakter: Dieser Gegenstand ist wahr.

Wir treten hinzu und fragen nach dem Begriff des "Diesen" als dem Hier und dem Jetzt und stellen durch Experimente53, d. h. auf eine vermittelte, zugleich aber unmittelbare Weise fest, dass das Jetzt und das Hier allgemeine Zusammenfassungen beispielhafter Fälle sind, d. h. Einheit Entgegengesetzter, Nicht-Diese. Dies können wir, weil für uns dieser Gegenstand Resultat der Teilung des Geistes ist und also vermittelt, zugleich aber die Wahrheit nur im Gegenstand liegen soll, dem Anspruch des untersuchten Bewusstseins nach also auch für uns wahr sein müsste. Hegel ergänzt ein sprachphilosophisches Argument: Auch die sprachliche Form des das Urteil formulierenden Satzes nimmt eine solche abstrakt allgemeine Zusammenfassung vor.54

Das Resultat ist der Aufweis der Vermitteltheit des "diesen" Gegenstandes. Dadurch erweist sich die assertorische Versicherung der Wahrheit ebenso als unwahr wie das Urteil der Gestalt, dass das Dieses das Gewusste sei. Die - nun problematische - Wahrheit besteht in der Verneinung dieser Aussage. Dieses ist nicht das Gewusste, sondern das Gemeinte, die Empfindung.55 Die problematische Wahrheitsbehauptung56 bezieht sich nun auf ein negatives Urteil der Gestalt.57 Das Hier und das Jetzt bleiben die Bestimmungen des Diesen, beziehen sich nun aber auf die Empfindung oder das Gemeinte.58 Aber das Gemeinte hat seine Wahrheit am unmittelbaren Ich, das ebenso nur ein beispielhaftes Ich ist, dem ein anderes Ich mit einem anderen Gemeinten gegenübertritt. Dasselbe erweist sich auch sprachlich. Alle Ich sind Ich, Ich ist selbst allgemein, vermittelt. Dadurch zeigt sich auch das negative Urteil der Gestalt: Dies ist nicht das Gewusste, sondern das Gemeinte, als unwahr, und die problematische Wahrheitsbehauptung lässt sich nicht halten. "Wir kommen hiedurch dazu, das Ganze der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr Wesen zu setzen..." (S. 73f).

Die Unmittelbarkeit, die sich an den Momenten nicht erweisen ließ, wird für die unmittelbare Beziehung mit den durch sie als einzeln bestimmten Momenten behauptet, so dass sich ein unendliches Urteil der Gestalt59 ergibt: Dies Bewusste ist unmittelbar das Gewusste. Diese Wahrheit hat als Resultat der Widerlegung der beiden ersten Wahrheitsbehauptungen für die Wahrheit der sinnliche Gewissheit apodiktischen Charakter.60 Die sinnliche Form des Beziehens, worin für uns die Einheit des Vorgefundenen, des Ansich, und Empfundenen, als Für-Anderes-Sein erreicht ist, ist das Zeigen, das insofern die sinnliche Form des Füreinanderseins von Ansichsein und Sein-für-Anderes ist. "Wir müssen daher in denselben Punkt der zeit und des Raums eintreten, sie uns zeigen, d. h. uns zu demselben diesen Ich, welches das Gewißwissende ist, machen lassen." (S. 74)61

Das Zeigen aber ist eine Bewegung, in der viele Hier zu einem Hier der Hier und viele Jetzt zu einem Jetzt der Jetzt zusammengefasst werden. Das jetzt wird gezeigt, aber als Gezeigtes ist es schon verschwunden, so dass es als Nicht-Jetzt gezeigt wird, das es jetzt ist, so dass es in einer vermittelten Einheit von Jetzt und Nicht-Jetzt als Jetzt ist. Ebenso erweist sich das Hier in der Bewegung des Zeigens als das Hier, das die Einheit von Hier und Nicht-Hier ist. Das Dieses ist also zugleich Dieses und Nicht-Dieses, und also nicht ein Unmittelbares, wie es sein sollte, sondern als ein Allgemeines. Die zeigende Bewegung zeigt uns, dass die unmittelbaren Momente Abstraktionen dieser Bewegung sind. Damit ist auch das unendliche Urteil widerlegt.62 Die apodiktische Wahrheit ist aufgehoben und die "Geschichte" (S. 76) der sinnlichen Gewissheit, die Bewegung ihrer Erfahrung beendet. Diese Bewegung war aber nur uns als Wissenschaft gegenständlich, während die sinnliche Gewissheit sie nur an ihr vollzieht. Daher nimmt die sinnliche Gewissheit das Resultat abstrakt-negativ, d. h. sie vergisst die Erfahrung und beginnt ihre Bewegung von vorne.

In der Geschichte der sinnlichen Gewissheit sind die Urteile des Begriffs als Beurteilungen der Wahrheit, assertorisches, problematisches und apodiktisches Urteil, für diese Gestalt widerlegt worden. Zugleich sind die Formen des Urteils der Gestalt, das positive Urteil, das negative Urteil und das unendliche Urteil, durch die zeigende Bewegung widerlegt, wie sie als Abstraktionen dieser Bewegung vermittelt sind. Indem sowohl die Wahrheitsbehauptungen der Gestalt, wie die Formen ihrer Darstellung widerlegt sind, gilt dies auf für das Urteil des Geistes selbst, für die Teilung des Geistes als sein positives Urteil: Bewusstsein ist unmittelbar Gewusstsein. Die Bewegung des Zeigens, deren Abstraktionen die Momente der Gestalt der sinnlichen Gewissheit bilden und die die wirkliche Einheit des Geistes gegen die Teilung in Momente zum Ausdruck bringt, erweist die Gestalt und die Teilung des Geistes als unwahre Momente seiner Einheit, die sich sinnlich in der Bewegung darstellt. Indem die Momente widerlegt sind, ist auch die Gestalt und die Teilung des Geistes in der Bewegung des Zeigens widerlegt. Damit hat zugleich die Bewegung der Untersuchung angefangen in einem doppelten Wortsinn: Sie hat ihren Anfang genommen, welcher zugleich sich selbst aufhebt und ein Weiterkommen ermöglicht. Wollen wir die Untersuchung fortsetzen, so sind wir genötigt überzugehen; denn der Anfang lässt sich nicht festhalten, ohne seinem Begriff, Anfang zu sein zu widersprechen. Ein Anfang, der bleibt, ist kein Anfang. Wozu wir übergehen, muss sich aus dem Übergehen selbst erweisen.

Bevor Hegel die Untersuchung fortsetzt, führt er zwei bloß äußerliche Argumente an, die die Auffassung des Dargestellten erleichtern sollen. Sie fügen der bloßen Abstraktion des Ansichseins auch abstrakt-argumentativ das Fürsichsein und das Anundfürsichsein an: Die Wahrheit des Seienden widerlegt schon das Tier, indem es das Seiende vernichtet und so die negative Bewegung gegen das Seiende ist. Diese Negation wird als die Begierde den Anfang der Entwicklung des Fürsichseins machen. Das Einzelne ist als Einzelnes nicht auszusprechen, weil dies nur durch eine unendliche Menge von Prädikaten geschehen könnte.63 Die Sprache als Anundfürsichsein des Bewusstseins zeigt die Unwahrheit und bloße Abstraktheit und Einseitigkeit der sinnlichen Gewissheit auf.