Texte:Albträume der Gegenwart

Aus club dialektik
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Albträume der Gegenwart als Wegweiser in die Zukunft
Vortrag für die Interdisziplinäre Studiengesellschaft
von Stephan Siemens
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Unter diesem Titel wird hier nach und nach die schriftliche Fassung eines Vortrag erscheinen, den Stephan Siemens bei der Tagung der ISG (Interdisziplinären Studiengesellschaft) zum Thema: "Vom Traum zum Albtraum" am 21 Oktober 2007 in Bad Pyrmont gehalten hat.



1. Fehlt uns die „Utopie“?

Wir leben in einer Zeit, in der uns die Utopien ausgegangen zu sein scheinen. „Utopie“ kann als die Vorstellung einer Lebensweise aufgefasst werden, die wörtlich genommen keinen Ort in dieser Welt hat. ("ou" heißt griechisch „nicht“, „topos“ heißt "Ort". Utopie heißt also wörtlich: "Kein Ort".) Gehe ich von der wörtlichen Bedeutung aus, so könnte ich mit demselben Recht sagen: Wir haben überhaupt nur Utopie! Denn unsere Lebensweise hat offenbar keinen Ort in dieser Welt, das heißt in der Natur. Wir brauchen – so könnte ich fortfahren – vielmehr eine Art „Topie“, die Vorstellung einer Lebensweise, die uns einen Ort in der Welt – und das heißt in der Natur – verschafft, so dass wir in der Natur als unserer Heimat leben können, aber auch leben wollen, also nicht eine ökologische Nische, sondern eine Heimat.

Wenn ich so spreche, dann betrachte ich die Utopie nicht als etwas Positives, Zukünftiges, sondern als etwas Gegenwärtiges, aber Bedrohliches. Dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht gesellschaftlich gesehen ein gesamtgesellschaftlicher Albtraum, der Albtraum der ökologischen Bedrohung. Dem Wunschtraum nach schier unermesslicher Steigerung des Profits entspricht individuell gesehen der Albtraum von Menschen, die in ihrer Arbeit permanent und dauerhaft überfordert sind, die unter „Burnout“ und schlimmeren Folgen von Überlastung leiden. So ergibt sich eine Art doppelter Albtraum, der dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht. Dieser doppelte Albtraum bestimmt in gewissem Maße unsere gegenwärtige Lebensweise und macht sie zu einer „negativen Utopie“, oder wie das bei manchen in der Literaturwissenschaft heißt, zu einer „Dystopie“.

2. Selbst gesetzte Zweck und von selbst eintretende Konsequenzen

Diese Albträume, die ökologische Krise und die Überforderung der arbeitenden Menschen, sind offenbar unbeabsichtigte Folgen dessen, was wir tun. Es sind Konsequenzen, die wir nicht wollen. Sie sind aber Resultate unseres Tuns, mit dem wir bestimmte Absichten verfolgen, die wir uns (in gewissem sehr beschränkten Sinne) selbst ausgesucht haben, und die wir zu erreichen pflegen. Unser Tun hat also Folgen, die wir wollen, und insofern sagen wir mit Recht, wir tun etwas „selbst“, und anderweitige Konsequenzen, die wir nicht wollen, und von denen wir sagen, dass sie „von selbst“ eintreten. Alles, was wir in der Natur tun, um unsere Zwecke zu erreichen, hat solche ungewollten natürlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Je größer das ist, was wir uns vornehmen, und je größer die Kräfte sind, mit denen wir es realisieren, desto größer sind auch die ungewollten, sich von selbst einstellenden Konsequenzen unseres Tuns. Aber es gibt noch eine zweite, qualitative Quelle der sich von selbst einstellenden Konsequenzen: Je mehr wir uns bloß darum kümmern, dass wir erreichen, was wir wollen, desto mehr übersehen wir, welche weiteren Folgen unser Tun hat. Je weniger wir darauf achten, was wir in Wirklichkeit insgesamt tun, um unsere Ziele zu erreichen, desto mehr wird sich die Wirklichkeit dessen, was wir insgesamt tun, als eine von selbst eintretende Konsequenz erweisen, desto größer sind die Effekte, die von selbst aus unserem Tun entstehen. Diese Effekte unseres eigenen Tuns stellen sich dann als die Folgen uns gegenüber äußerer – scheinbar bloß natürlicher – Mächte dar. Wir begegnen in der Gefährdung unserer Existenzgrundlage den scheinbar natürlichen, sich von selbst einstellenden Folgen unseres eigenen Tuns. Je besser wir das verstehen, was wir tun, desto geringer werden die Konsequenzen unseres Tuns, die sich in dem Sinne von selbst ergeben, dass wir sagen können, dass wir sie nicht wollten.

3. Die mögliche Verwandlung des „von selbst“ in „selbst“: Das Begreifen

Es ist in diesem Sinne von Bedeutung, dass wir begreifen, was wir tun. Denn das Begreifen dessen, was wir tun, zielt nicht nur auf die Realisierung einer gewünschten Absicht, sondern zugleich auf das Verständnis dessen, was dabei in Wirklichkeit geschieht. Wenn wir uns fragen, wie wir etwas erreichen, dann ist es allein wichtig, dass bei unserem Tun herauskommt, was wir wollen. Wir sprechen dann davon, dass es funktioniert hat. Um eventuelle ungewollte Konsequenzen unseres Tuns kümmern wir uns insofern nicht. Wir erfassen deshalb nur in einem begrenzten Sinne, was wir tun. Die Grenze ist die Absicht, die wir verfolgen. Was jenseits der Absicht durch unser Tun erreicht wird, erfassen wir nicht.

Wenn wir ohne diese Grenze begreifen wollen, was wir tun, fassen wir – nach unseren Möglichkeiten – unser Tun nach der Seite seiner tatsächlichen Wirkung auf. Wir sehen nach unseren Möglichkeiten die Wirkung unseres Tuns in seiner Gesamtheit, oder anders formuliert, wir fassen die menschliche Produktion als Naturkraft auf. Es zeigt sich uns dann die ökologische Krise als ein uns unbewusstes Produkt unseres eigenen Tuns, das uns eben dieser Unbewusstheit wegen als eine – feindliche – Naturkraft gegenübertritt. Beseitigen wir die Unbewusstheit unseres Handelns, dann beseitigen wir in der Tendenz auch diese Form der feindlichen Natur.

Anders formuliert: Wenn es uns gelingt, die Gegenwart in und aus ihren Albträumen zu begreifen, dann eröffnet sich womöglich darin eine „Topie“, ein Weg in eine menschliche Zukunft, in der es nicht nur eine Nische in der Natur für die Menschen gibt, sondern in der die Natur unsere Heimat ist. Allerdings: Begreifen müssen wir selbst, und begreifen müssen wir jeder und jede einzeln – wenn auch im dafür notwendigen Gespräch mit anderen. Das kann mir keiner abnehmen. Begreifen kann ich überdies nur mit Bewusstsein. Wir begreifen nicht „von selbst“, sondern wir wissen darum, dass wir etwas begreifen, wenn etwas begreifen. Das Begreifen als solches hat daher keine im obigen Sinne ungewollten Folgen. Das Begreifen ist also so etwas wie ein – in allen seinen Konsequenzen gewolltes – Tun der Menschen, das ich nur selbst machen kann, das ich bewusst machen muss und das ich – wenn auch notwendig im Zusammenhang mit anderen Menschen – individuell machen muss, wenn begriffen werden soll. Das Begreifen meines Tuns richtet sich daher gegen dessen mir unbewusste Folgen, gegen Prozesse, die sich infolge meines Wirkens von selbst abspielen. Es geht darauf, das „Sich von selbst Abspielen“ solcher Prozesse zu beseitigen, indem ich sie aus meinem eigenen Tun zu erfassen suche. Dabei werde ich mit der Zeit meine Wirkungen so zu modifizieren beginnen, dass sie mir als ein verantwortbares Resultat meines Tuns erscheinen können. Ich will also auf die Dauer nicht nur tun, was ich will, ich will auch wollen, was ich tue, im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Ein möglicher Einwand gegen solche Überlegungen lautet: Das ist doch ein illusorischer Anspruch, dass wir begreifen sollen, was wir tun. Wir Menschen sind nicht so gemacht, dass wir dazu in der Lage wären. Die These, die ich vertreten will, ist genau das Gegenteil: Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir Menschen dazu in die Lage versetzt werden, ob wir das wollen oder nicht. Um diese – zunächst befremdliche – These zu untermauern, will ich – nach einigen geschichtlichen Schlaglichtern – einen mir wesentlich erscheinenden Zug der Gegenwart beleuchten, die neue Form der Organisation der Arbeit.

4. Kurze geschichtliche Schlaglichter

Wenn wir die gegenwärtige Lage in ihrem Entstehen begreifen wollen, dann ergibt sich die Möglichkeit, in der Geschichte zu betrachten, wie diese jetzige Situation mit dem doppelten Albtraum entstanden ist. Am Ende der 60 Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden drei Ereignisse statt, die als eine Art Schlaglichter dienen können, um die Entstehung der Gegenwart zu beleuchten:

a. die Veränderungen in der Arbeit, die sich mit den Namen „Silicon 
   Valley“ und Bill Gates verbinden 
b. der Bericht des „Club of Rome“
c. die internationale Studentenbewegung von 1968.

Die Formen der Arbeitsorganisation begannen Ende der sechziger Jahre, sich zu verändern: Hierarchisch organisierte Unternehmen gerieten in die Defensive. „Selbstorganisierte“ Unternehmen kamen mehr und mehr in die Offensive. Damit wird sich dieser Artikel noch ausführlicher befassen.

Der „Club of Rome“ legte Ende der 60er Jahre einen Bericht darüber vor, dass die Ressourcen der Erde endlich sind. Er wies auf die Gefahr eines drohenden ökologischen Kollapses hin. Auch wenn in dieser Frage das eine oder andere geschehen ist: Die Gefahr besteht fort, und hat sich seither teils realisiert, teils vergrößert. Die Ressourcen werden unvermindert reduziert. Der Bericht des Club of Rome hat seiner Grundaussage nach nichts von seiner Aktualität verloren.

Die internationale Studentenbewegung von 1968 griff ein veraltetes Herrschaftssystem an, das auf Kontrolle und Beherrschung von außen beruht. Solche Herrschafts- und Kontrollsysteme sind seither nicht nur in westlichen Gesellschaften in der Krise. Der untergegangene „real existierende Sozialismus“ hatte auf einer solchen äußerlichen Kontrolle und Herrschaft beruht.

Die genannten Ereignisse können als Keimformen der gegenwärtigen Entwicklung verstanden werden. In den letzten 40 Jahren hat sich ein neuer Typ der Produktion herausgebildet. Er beruht auf einem neuen Schritt in der Entwicklung der Produktivkraft der Menschen. Die Fähigkeiten und die Kräfte, mit denen wir die Produktion organisieren, haben sich grundlegend gewandelt. So betrachtet hat sich auch gewandelt, was wir tun und wie wir es tun. Diese neue Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit wirft neue Probleme auf, bei denen die äußerliche Kontrolle versagt.

5. Die Erscheinungsweise des Neuen in der Arbeitsorganisation

Von diesen Veränderungen, die die allgemeine Lebensweise der Menschheit ebenso betrifft, wie die Arbeitsituation vieler Menschen, möchte ich mich in der Darstellung den Veränderungen in der Arbeitsituation zuwenden, weil ich

1. glaube, dass sie da am einfachsten zu erfassen ist, 
2. annehme, dass dort die Veränderungen eintreten werden, die uns
   einen Ort in der Natur sichern können,
3. glaube, dass unser bewusstes Eingreifen in die Art, wie wir 
   leben, von der wirklichen Auseinandersetzung mit der Natur, also 
   von den arbeitenden Menschen ausgehen muss.  

Eine Erscheinungsweise der eben behaupteten Entwicklung der Produktivkraft liegt in dem Inhalt der Arbeit selbst. Die Arbeit vieler „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“[1] ist derart kompliziert geworden, dass es nicht mehr möglich ist, diesen Menschen Anweisungen zu geben, was sie zu tun haben. Denn das Verständnis der Arbeitsvorgänge ist so schwierig, dass ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte sie nur selten besser versteht als die Beschäftigten, die diese Arbeit ausführen müssen. Im Gegenteil: Oft ist das nicht der Fall. Vorgesetzte sind beim Verständnis der Arbeit auf Erläuterungen ihrer Beschäftigten angewiesen. Daraus – so scheint es - ergibt sich ein Problem für die Organisation der Tätigkeiten in großen Unternehmen. Aber es hat sich gezeigt, dass dieses Problem lösbar ist. Es ist nicht nur lösbar, sondern wenn es gelöst wird, dann steigert das überdies auch den Gewinn großer Unternehmen beträchtlich – so beträchtlich, dass die neuen Formen auch überschwappen in andere Bereiche der Produktion. Auch Unternehmen, deren Beschäftigte keineswegs so komplizierte Arbeiten zu leisten haben, behandeln ihre Beschäftigten entsprechend anders um des so zu steigernden Profites willen. Es entsteht deswegen eine neue Unternehmenskultur, die als Übergang vom abhängig Beschäftigten zum selbständigen Mitarbeiter erscheint. Auch wenn also die Veränderungen in der Produktion sich in ihrer Entstehung sehr komplexen und hoch spezialisierten Arbeitszusammenhängen verdanken, so ist nicht dies die Ursache für die Allgemeinheit des Wandels der Unternehmenskulturen. Die Steigerung der Gewinne der Unternehmen, die so organisiert sind, sorgt dafür, dass die neue Selbständigkeit der abhängig Beschäftigten mehr und mehr in allen Bereichen der Produktion und in fast allen Unternehmen, Platz greift. (Dabei unterschätze ich nicht, dass eine solch grundlegende Veränderung nur nach und nach und mit vielem Hin und Her eingeführt wird. Ich behaupte jedoch, dass an der Richtung der Entwicklung letztlich nicht gezweifelt werden kann.)

Diese neue Selbständigkeit der Beschäftigten hat ihre Ursache nicht in erster Linie in der veränderten Technik. Es wird mitunter gesagt, dass „der Computer“ und „die Digitalisierung“ dafür verantwortlich zu machen seien. Zum einen könnte ich fragen: Und worin hat der Computer seine Ursache? Ich würde dann wieder auf die Fähigkeiten der produzierenden Menschen selbst zurückgeführt, die Computer produzieren. Aber dieses Argument ist unzureichend. Denn das trifft auch beim Fließband zu. Auch das Fließband war ein Produkt der Menschen und verkörperte menschliche Fähigkeiten. Und doch wurde durch das Fließband den Individuen, die an ihm gearbeitet haben, der Platz in der Produktion und die Tätigkeit ebenso angewiesen wie Art und Geschwindigkeit der Tätigkeit. Es hat sich jedoch das Verhältnis von Arbeit und Technik insgesamt in der Produktion verändert. Im Falle der am Fließband organisierten Produktion benutzt die Unternehmensführung unter anderem die Technik, um die Beschäftigten dem Zweck des Unternehmens entsprechend einzusetzen und ihr Verhältnis zueinander zu regeln. Denn die Kooperation der Individuen richtet sich beim Einsatz des Fließbandes nach der Maschinerie, als deren Anhängsel die einzelnen Beschäftigten erscheinen. Diese Funktion des Fließbandes hat sich als eine Bremse für die Steigerung der Gewinne erwiesen. Jetzt werden die Menschen in den Unternehmen nicht mehr vermittels Technik dem Unternehmenszweck untergeordnet oder – wie ich das mit Karl Marx und Friedrich Engels nennen möchte – „subsumiert“.[2] Im Gegenteil: Die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten ordnen die Technik ihrer Kooperation unter. Sie entscheiden – wenn es gut läuft – gemeinsam, wie ein bestimmter Vorgang am besten technisch realisiert werden kann. Die Menschen sind nicht mehr durch die Technik dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, „subsumiert“, sondern durch die Form ihrer Kooperation miteinander. Die Art, wie die Individuen in großen Unternehmen miteinander in der Arbeit kooperieren, das subsumiert sie unter den Zweck des Unternehmens. Es handelt sich um eine profitorientierte Kooperation. Die Beschäftigten müssen – um arbeiten zu können – ihre Arbeitskraft verkaufen an Menschen oder Gesellschaften von Menschen, die die Mittel besitzen, mit denen sie ihre Arbeitskraft verwirklichen können. Auf dem Arbeitsmarkt sind die Arbeiterinnen und Arbeiter nur als vereinzelte Individuen. Sie sind getrennt von den Mitteln der Produktion, aber auch von den anderen Produzentinnen und Produzenten, voneinander. Ihr Zusammenkommen und Zusammenwirken erscheint daher notwendig als eine Leistung des Käufers ihrer Arbeitkraft, der sie zusammenbringt, des kapitalistischen Unternehmens, obwohl es sich um das Tun der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten selbst handelt.[3] Die neue Form der Subsumtion der Beschäftigten unter den Unternehmenszweck, den Profit, ist die profitorientierte Kooperation der Beschäftigten untereinander.

6. Die neue Organisation der Arbeit

Dieser Schritt der Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit ist grundlegend auch für den Wandel der Arbeitsorganisation in großen Unternehmen. Ich stelle daher die Veränderung der Form der Organisation der großen Unternehmen kurz und holzschnittartig dar. Dabei gehe ich der Einfachheit halber von einer idealtypischen alten zu einer ebenso idealtypischen neuen Form der Organisation der Arbeit in großen Unternehmen über.

6. a. Die alte Organisation der Arbeit

Die Menschen arbeiten in Unternehmen, die sich auf dem Markt behaupten müssen. Der Markt stellt die Gesamtheit der sich von selbst gliedernden - formell in privater Form organisierten - Arbeitstätigkeiten der Menschen in Bezug auf die Natur insgesamt dar. Diese Arbeitstätigkeiten gliedern sich in Branchen und Unternehmen. Für die hier behandelte Organisation der Arbeit im Speziellen sind die Unternehmen entscheidend. Unternehmen der alten Form haben an der Spitze einen „Arbeitgeber“, der den als Zufälligkeit erscheinenden Notwendigkeiten des Marktes gehorchen muss. Ihm sagt niemand, was er zu tun hat. Er muss es selbst wissen. Der „Arbeitgeber“ übersetzt die Notwendigkeiten des Marktes in Anweisungen, die vom Unternehmen auszuführen sind. Er verschafft sich auf dem Arbeitsmarkt Arbeiterinnen und Arbeiter auf Zeit, die seine Anweisungen auszuführen haben. Da er nicht persönlich allen Beschäftigten ihre Anweisungen geben kann, und da die Anweisungen in größeren Unternehmen der Spezifikation bedürfen, schiebt der „Arbeitgeber“ Vorgesetzte zwischen sich und die Beschäftigten ein, die die Anweisungen konkretisieren und weiter geben. Die Beschäftigten erhalten also die auf sie spezifizierten Anweisungen von ihren Vorgesetzten und setzen sie in Arbeitstätigkeiten um. Diese Arbeitstätigkeit wirkt im Einzelnen auf Gegenstände der Natur oder auf industrielle Halbfertigprodukte, die aber zuletzt auf die Natur verweisen. Die Gesamtheit der Tätigkeiten der einzelnen Beschäftigten in den verschiedenen Unternehmen ergibt zugleich die Gesamtheit der Tätigkeiten der Menschheit insgesamt in Bezug auf die Natur. Beide sind nur der Vorstellung nach unterschieden, der Sache nach aber dasselbe. Die Vermittlung zwischen der Gesamtheit des Tuns der Menschheit in Bezug auf die Natur insgesamt und des Tuns des einzelnen Beschäftigten oder der einzelnen Beschäftigten auf die Natur im Einzelnen ist das kapitalistische Unternehmen.


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Graphik 1: Alte Managementformen


So ergibt sich folgende Darstellung: Oben steht die Natur insgesamt, der die Menschen in der Produktion ihre Lebensmittel entreißen müssen. Die Menschheit stellt sich der Natur insgesamt als von selbst oder marktförmig organisiert gegenüber. (Der Markt ist eine Form, in der die Notwendigkeiten der Produktion als Zufälligkeiten erscheinen. Oder umgekehrt: Die Zufälligkeiten des Marktes sind nur Ausdruck der unerkannten Notwendigkeiten, die sich aus der Naturaneignung insgesamt für die menschliche Produktionstätigkeiten – eine bestimmte Produktivkraft der Menschen vorausgesetzt – ergeben.) Der Markt gliedert sich in Branchen und in Unternehmen. An der Spitze stehen Unternehmer oder seltener Unternehmerinnen, die die Anforderungen des Marktes in ihren Willen umsetzen. Dieser Wille macht aus dem bloßen Haufen der im Unternehmen arbeitenden Menschen eine Organisation, ein kapitalistisches Unternehmen. Die Unternehmer oder Unternehmerinnen geben Anweisungen an eine Hierarchie der Vorgesetzten, die die Anweisungen nach unten spezifizieren und weitergeben, bis sie schließlich die unmittelbaren Produzenten selbst erreichen. Diese Menschen setzen sich mit der Natur im Einzelnen auseinander, d.h. sie erreichen im weitesten Sinne Formveränderungen an einem vorausgesetzten Material. Hier trifft der Wille wieder auf die Natur, diesmal auf die Natur im Einzelnen, oder anders formuliert, auf sie als die Natur einzelner Gegenstände. Während die Vorgesetzten – die selbst keine Anweisungen erhalten, sondern den von ihnen erkannten Notwendigkeiten gehorchen – den Beschäftigten Anweisungen zu geben in der Lage sind, können die Menschen, die unmittelbar arbeiten, den Gegenständen keine Anweisungen geben. Sie müssen sich vielmehr nach den Eigenheiten der von ihnen zu bearbeitenden Gegenstände richten. Die Beschäftigten können sich daher zum Beispiel auf die Unmöglichkeit der Ausführung einer Anweisung berufen, wenn der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte nicht definitiv weiß, dass der Inhalt der Anweisung ausführbar ist. Je komplizierter und unüberschaubarer die Arbeit ist, desto schwieriger wird es für die Vorgesetzten, zu erfassen, ob ihrer Anweisung Hindernisse entgegenstehen oder nicht und wie groß diese Hindernisse sind. (Das gilt vor allem für Zeitvorgaben.)

Dieses System der Organisation hat den Vorteil, dass es überhaupt eine Organisation zu bilden erlaubt. Es ermöglicht gesellschaftliche Produktion. Denn jede und jeder Beschäftigte muss für die Zeit der Arbeitstätigkeit ihren oder seinen Willen aufgeben, und stattdessen den Willen der Unternehmerin oder des Unternehmers realisieren. Die Beschäftigten müssen tun, was ihnen gesagt wird. So wird auch ihr Zusammenwirken möglich. Die Fähigkeit der Menschen, zu produzieren, die gesellschaftliche Produktivkraft ihrer Arbeit wird auf diese Weise sehr erhöht. (Soweit gilt das auch für die Manufaktur.) Die Unterordnung der Menschen unter den Unternehmenszweck geschieht durch die Maschinerie und erscheint insoweit als eine sachlich gebotene und also rationale Angelegenheit, über die durch gesellschaftliche Auseinandersetzungen Konsens erzielt werden kann. Im einzelnen Unternehmen geschieht sie auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam. Im Übrigen ergibt sich im Prinzip eine Gleichbehandlung der Beschäftigten im Unternehmen, die die Konflikte reduziert und die Kohärenz des Unternehmens sichert. Aber das System hat auch empfindliche Mängel:

1. Es werden nur Detailfunktionen der beschäftigten Menschen  
   genutzt. Die meisten Fähigkeiten der Menschen bleiben
   ungenutzt. In den neuen Formen der Arbeitsorganisation geht es 
   darum, den ganzen Menschen, die gesamte Individualität in den 
   Dienst der kapitalistischen Produktion zu stellen. 
2. Die Menschen arbeiten unter diesen Bedingungen in der Regel 
   nicht freiwillig. Denn Arbeiten bedeutet hier: „den eigenen 
   Willen aufgeben“. Das aber kann ich nicht freiwillig tun. Das 
   widerspricht sich selbst. (Ich kann den Zwang „internalisieren“. 
   Aber es bleibt bei den meisten Menschen eine Reserve gegenüber 
   einer geforderten  „Aufopferung“ für das Unternehmen.)
3. Die Vorschriften und Anweisungen sind immer ein mangelhaftes und 
   ergänzungsbedürftiges Abbild der Wirklichkeit in der Produktion. 
   Als solche funktionieren sie nicht. Das wurde auch durch die 
   Gewerkschaften in den siebziger Jahren genutzt, als sie 
   den „Dienst nach Vorschrift“ ausriefen, was praktisch einem 
   Streik gleichkam.  
4. Den einzelnen Beschäftigten ist es – der Struktur nach – 
   gleichgültig, ob das Unternehmen Gewinn macht oder nicht. Ist 
   das Unternehmen nicht „erfolgreich“, so sind den Beschäftigten 
   die Hände gebunden. Sie tragen keine Verantwortung für die 
   Steigerung des Profits, wie überhaupt für die Veräußerlichkeit 
   des Produkts. Diese Verantwortung trägt der Unternehmer oder die 
   Unternehmerin. (Theoretisch! Denn praktisch hat der Unternehmer 
   oder die Unternehmerin meist seine oder ihre Schäfchen ins 
   Trockene gebracht, während die Beschäftigten ihrer 
   Privatinitiative auf dem Arbeitsmarkt überlassen bleiben.)  

Diese Mängel sind - in der Form der Organisation der Arbeit liegende - Hindernisse bei der Steigerung des Profites der kapitalistischen Unternehmen. Als dies aufgedeckt und sichtbar wurde, entstand ein Druck zu neuen Formen der Unternehmensorganisation überzugehen. Überdies wurde in der öffentlichen Diskussion die Frage nach der Menschlichkeit einer solchen Arbeitstätigkeit aufgeworfen, worin die Menschen auf einzelne Funktionen reduziert wurden. Im Anschluss an die Studentenbewegung 1968 wurden vor allem in den siebziger Jahren Formen der Bereicherung des Arbeitslebens gefordert. Diese Bereicherung findet zwar statt. Sie sieht aber anders aus als erwartet. Die Vorstellungen, dass Arbeit zu einem Spiel werde, dass Arbeit human werde, oder dergleichen Theorien erwiesen sich als die Begleitmusik eines Übergangs zu einer neuen Form der Subsumtion der Individuen unter den Unternehmenszwecks, der profitorientierten Kooperation.

6. b. Die neuen Form der Unternehmensorganisation

Die neuen Formen der Organisation der Arbeit beschränken sich nicht auf die Nutzung von Detailfunktionen der Beschäftigten, die in der Arbeit dem kapitalistischen Unternehmen dienen sollen. Sie zielen darauf ab, das ganze Individuum in den Dienst der kapitalistischen Produktion zu stellen. Dies ist nur zu erreichen, wenn die unmittelbar arbeitenden Beschäftigten zugleich mit den Problemen konfrontiert werden, denen sich bisher der Unternehmer oder die Unternehmerin zu stellen hatten. Denn die Unternehmerin und der Unternehmer tun – zumindest in ihrer Vorstellung – alles, um ihre wirtschaftliche „Existenz“ zu erhalten. Auch wenn der Unternehmer und die Unternehmerin selbst entscheiden, was sie tun, so können sie doch nicht tun, was sie wollen. Im Gegenteil: Handeln sie wiederholt falsch, d. h. am Markt vorbei, so droht der Untergang ihres Unternehmens. Sie sind also einem Druck nicht durch Anweisungen oder durch Vorgesetzte, sondern von den so genannten „Realitäten“ des Marktes ausgesetzt. Auf diesen Druck reagieren sie mit der Mobilisierung aller Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen.

Eine solche Reaktion mit allen Ressourcen soll nun auch bei abhängig Beschäftigten im Unternehmen erreicht werden. Das kann nur geschehen, indem die Beschäftigten sich selbst mit dem Markt auseinandersetzen müssen. Dies können sie aber nur, wenn der „Arbeitgeber“ ihnen das nicht mehr abnimmt. In Zukunft ist es nicht mehr die Aufgabe des „Arbeitgebers“, die Anforderungen des Marktes in auszuführende Anweisungen zu übersetzen. Im Gegenteil: Die Aufgabe des „Arbeitgebers“ wird es mehr und mehr, das zu unterlassen, damit die Beschäftigten sich selbst damit beschäftigen, was zu tun ist. Denn ihre Aufgabe als Beschäftigte in einem kapitalistischen Unternehmen ist es, steigende Profite zu erzeugen. Gelingt ihnen das nicht, so droht nicht die Entlassung, sondern das Desinvestment. Die „Arbeitgeber“ ziehen ihre Mittel, die sie in die Arbeitsmöglichkeiten der Beschäftigten gesteckt haben, wieder zurück. Damit sind die Beschäftigten nicht mehr in der Lage, ihrer Arbeit nachzugehen.

Die „Arbeitgeber“ ziehen sich also mehr und mehr auf die Rolle des Investors zurück. Die unternehmerischen Funktionen überlassen sie den Beschäftigten selbst. Daher wachsen den unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten mehr und mehr Unternehmerfunktionen zu. Worin aber bestehen diese Funktionen? Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Arbeitkraft der Produzentinnen und Produzenten gesellschaftlich sinnvoll im Sinne des Kapitals eingesetzt wird, und das heißt letztlich so, dass sie – möglichst wachsende – Profite bringt. Diese Funktion wächst den Beschäftigten zu. Sie müssen sich vor ihren „Arbeitgebern“ dafür verantworten, dass ihre Arbeit profitabel ist. Anderenfalls droht das Desinvestment. Die „Arbeitgeber“ geben also die Unternehmerfunktion an die Beschäftigten preis, um höhere Profite zu erzielen. Zugleich konfrontieren sie die Beschäftigten selbst mit den als Zufälligkeiten des Markts erscheinenden Notwendigkeiten der kapitalistischen Produktion. Die Beschäftigten reagieren oft zunächst genauso, wie die Unternehmerinnen und Unternehmer früher: Viele setzen alle ihre Mittel ein, um sich auf dem Markt zu behaupten. Diese Mittel aber sind ihre Arbeitskraft, ihre individuellen Fähigkeiten im umfassenden Sinne, ihre Zeit und Energie. Viele betrachten das „Bestehen Können“ auf dem Markt als eine unmittelbare Form der Selbstverwirklichung. Sie sind stolz, dass sie so und so viel Profit erwirtschaften. Aber das gilt keineswegs für alle Beschäftigten. Es gibt auch Menschen, die ihre Lebensziele in anderen Feldern verwirklichen wollen, oder einfach nur – eine aus den alten Organisationsformen der kapitalistischen Produktion mitgeschleppte Betrachtungsweise – „faul“ sind. Deswegen kann sich der „Arbeitgeber“ keineswegs darauf verlassen, dass diese Reaktion von selbst eintritt. Er bildet daher beispielsweise Teams, teilautonome Einheiten, Profitcenters etc. in denen die Beschäftigten teilweise für ihre eigene Arbeit, teilweise aber auch für die Arbeitsleistung ihres Teams und ihrer Unternehmenseinheit bezahlt werden. Jede Beschäftigte und jeder Beschäftigte wird so automatisch ein Interesse am „Funktionieren“ aller anderen haben, und entsprechend handeln. Denn in seine oder ihre Entlohnung geht als Maßstab nicht nur die eigene unmittelbare Arbeitsleistung ein, sondern auch die seiner Kolleginnen und Kollegen. Es entsteht so ein Druck, dem sich die Anderen in der Regel beugen werden. Geschieht das nicht, so entsteht eine Tendenz, entsprechende Kolleginnen und Kollegen „loswerden“ zu wollen. (In der entsprechenden Literatur ist von „Viren“ die Rede, die den produktiven Organismus schwächen.) So wird auch das Entlassen und Einstellen zum Beispiel mehr und mehr eine Funktion, der die Beschäftigten im Team nachgehen werden. Eine Unternehmensfunktion nach der anderen wird so nach und nach - wie in den Beispielen angedeutet - in die Hände der Beschäftigten selbst übergehen.


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Graphik B: Neue Formen des Managements


Die „Arbeitgeber“ selbst werden sich für das „Zur Verfügung Stellen“ der Produktionsmittel bezahlen lassen. Diese Mittel sind nicht unerheblich. Denn die Produzentinnen und Produzenten arbeiten im Wesentlichen auf Weltmarktniveau. Sie stehen in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Beschäftigten desselben Unternehmens in anderen Ländern oder zu den Beschäftigten anderer Unternehmen, die irgendwo auf der Welt ein gleiches oder ähnliches Produkt herstellen. Auf Weltmarktniveau zu produzieren aber erfordert Mittel. Diese Mittel sind in der Hand der „Arbeitgeber“. Diese Mittel werden investiert, oder sie werden abgezogen. Das entscheidet letztlich über die Frage, ob es den Beschäftigten gelingt, sich zu behaupten. Große Konzerne schreiben zum Beispiel Aufträge aus und holen im Unternehmen, teilweise auch auf dem Markt außerhalb des Unternehmens, Angebote ein. Das beste oder vorteilhafteste Angebot wird angenommen. Es entsteht so ein „Markt“ im Unternehmen, der den Markt überhaupt abbildet. Dabei wird als Bedingung für den Auftrag eine bestimmte Gewinnmarge für die „Arbeitgeber“ vorausgesetzt oder eingerechnet. Dadurch tritt der Profit als eine selbstverständlich zu bedienende Größe auf, als ein notwendiges Element der sogenannten „Marktwirtschaft“. Es gehört gewissermaßen zum Arbeiten dazu, dass die Beschäftigten möglichst viel Gewinn, zumindest aber ein Gewinnwachstum realisieren. Die „Arbeitgeber“ erzielen auf diesem Wege mehr Gewinn, mehr Profit, und deswegen setzt sich dieser Weg der Unternehmensorganisation mehr und mehr durch.

Die Beschäftigten müssen sich mit den Marktbedingungen ihrer eigenen Arbeit selbst auseinanderzusetzen lernen. Der Begriff „Markt“ bezeichnet die Gesamtheit der Bedingungen eines Unternehmens in der gesellschaftlichen Produktion. Diese Bedingungen ändern sich ständig. Diese Veränderungen müssen vom Unternehmen produktiv beantwortet werden. Das gehört nunmehr zur Arbeit der Beschäftigten selbst. Sie bekommen diesen Aspekt ihrer Arbeitstätigkeit nicht mehr, wie in der alten Form der Arbeitsorganisation, abgenommen. Die Beschäftigten müssen lernen, sich mit den Bedingungen ihrer Arbeitstätigkeit selbst auseinanderzusetzen. Allerdings werden diese Bedingungen durch die „Arbeitgeber“ so modifiziert, dass die Profite für sie am besten gesichert scheinen. Die Unternehmenseinheiten, die Teams etc. werden – wie das aus der Biotechnologie bekannt ist -„indirekt gesteuert“. Die Bedingungen werden mit anderen Worten so modifiziert, dass die Beschäftigten möglichst produktiv darauf reagieren. Ein relativ bekannt gewordenes Mittel der „indirekten Steuerung“ ist die permanente „Umstrukturierung“, die einerseits die Lohnkosten drücken soll, andererseits aber z. B. die produktive Leistung der Beschäftigten durch Reduktion der Routine erhöhen soll. Durch solche Maßnahmen der „indirekten Steuerung“ werden die Bedingungen der Arbeit modifiziert und dadurch Prozesse in Gang gesetzt, die erhöhte Produktivität zum Resultat haben.

Solchen Versuchen der „indirekten Steuerung“ liegen bestimmte Überlegungen zugrunde. Die Bedingungen entscheiden darüber, welches Verhalten als das richtige erscheint. Durch die Modifikation der Bedingungen kann ich mittelbar bestimmen, wie die Menschen selbst handeln. Ich kann auf diese Weise eine Situation schaffen, in der die Beschäftigten reagieren, indem sie von selbst produktiver arbeiten. Für sie ist aber, was sie aus meiner Sicht von selbst tun, als etwas, das sie selbst tun. Denn sie selbst reagieren durch ihr Tun zunächst auf veränderte Rahmenbedingungen. Durch die Steuerung der Rahmenbedingungen kann ich also versuchen, mittelbar zu bestimmen, was die Beschäftigten tun. Genau das versuchen die „Arbeitgeber“: Sie wollen – dadurch dass die Beschäftigten selbst agieren – das ganze Individuum mit allen seinen Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten in die kapitalistische Produktion hineinziehen; und das gelingt. Die „Arbeitgeber“ steigern damit ganz erheblich die Gewinne der Unternehmen.

6. c. „Selbst“ und „von selbst“ bei der indirekten Steuerung

Was die Beschäftigten selbst tun, erscheint den „Arbeitgebern“ als das, was sie von selbst tun, gesteuert durch die Rahmenbedingungen ihres Tuns. Was aber tun die „indirekt gesteuerten“ Beschäftigten von selbst? Sie sorgen dafür, dass ihre Arbeit gewinnbringend ist. Die Beschäftigten müssen ihren „Arbeitgebern“ heutzutage als Teil ihrer Arbeit nachweisen, dass sie profitabel zu beschäftigen sind und wie hoch der Profit ist, den sie abwerfen. Die Beschäftigten werden also genötigt, sich mit ihrer Arbeit auf eine bestimmte Weise auseinanderzusetzen: Sie identifizieren sich nicht mehr unmittelbare mit ihrer Arbeit, sondern im Gegenteil: Sie setzen sich mit ihrer Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Profitabilität auseinander. Sie fragen sich, ob und wie mit ihrer Arbeit noch mehr Gewinn zu erzielen ist. Sie werden dazu genötigt teils von der Konkurrenz auf dem Weltmarkt, teils von der Konkurrenz im eigenen Konzern, teils von der Drohung des Desinvestments im Allgemeinen. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit geschieht aus der Sicht der „Arbeitgeber“ von selbst; sie ist aber ein Tun der Beschäftigten selbst. Die Beschäftigten setzen sich selbst mit ihrem eigenen Tun und dem ihrer Kolleginnen und Kollegen unter dem Gesichtspunkt des Profites des Unternehmens auseinander. Sie betrachten sich selbst und ihr eigenes Tun vom Standpunkt des Profites ihres Unternehmens. Die „indirekte Steuerung“ tritt also in das Verhältnis der Beschäftigten zu sich selbst ein. Es besetzt die Auseinandersetzung der Individuen mit ihrem eigenen Tun.

Wenn die „indirekte Steuerung“ funktioniert, hat das sehr befremdliche Auswirkungen. Das Ichbewusstsein, das Selbstbewusstsein der Beschäftigten wird vermittelst der „indirekten Steuerung“ schleichend besetzt durch das Profitstreben des kapitalistischen Unternehmens. Um es in der Ich-Perspektive zu formulieren: Wie ich mein Tun und meine Arbeit betrachte, das richtet sich nach der Profitabilität meines Tuns für das Unternehmen, bei dem ich beschäftigt bin. Auch die Kolleginnen und Kollegen bemessen und betrachten mich danach, ob ich meinen Beitrag bringe, wie auch ich es mit ihnen tue. Mein „Selbst“, das in meinem Bewusstsein meiner selbst zum Ausdruck kommt, ist nichts anderes als die Profitabilität des Unternehmens, in dem ich arbeite. So wird das ganze Wesen meiner Individualität vom Prozess der Profitproduktion erfasst und aufgesogen. Was ich unmittelbar für mich selbst bin, wird Gegenstand der „indirekten Steuerung“, um damit meine Individualität produktiv zu machen – produktiv im Sinne von profitabel.

Das Gewinnstreben hat an sich keine Grenze. Gewinne könnten als solche unendlich steigen. Wie viel Gewinn Beschäftigte für ein Unternehmen auch immer erzeugen: Es ist immer denkbar, dass sie mehr Gewinn erzeugen, mehr Profit machen. Das Gewinnstreben oder die Profitmaximierung hat also in sich kein Maß. Es ist maßlos. Die Individuen, die – durch die „indirekte Steuerung“ angehalten – sich mit dem Gewinn identifizieren, den sie für ihr Unternehmen machen, sind daher ständig in der Gefahr der Überforderung. Sie können diesem Maßstab ebenso wenig genügen, wie sie über ihren Schatten springen können. Sie können höchsten auf andere herabsehen, die nicht „soviel bringen“ wie sie selbst und sich damit wenigsten gemessen an Anderen als für sich befriedigend darstellen. Gemessen am eigentlichen Maßstab, dem möglichen Gewinn, sind sie aber notwendig defizient, mangelhaft, unzureichend. Es entsteht damit ein Gefühl, immer wieder nicht zu genügen, das zu mehr Arbeit anspornt. Aber die vermehrte Arbeit ist nicht in der Lage, dieses Gefühl zu verringern: Wie viel Profit immer erbracht wird, zehn Prozent mehr im Jahr sind rein theoretisch – oder angeblich auch wirklich – immer drin. Es gibt keine Möglichkeit dem Maßstab zu genügen und so zu einer inneren Zufriedenheit und Ruhe zu kommen. Das Kapitalverhältnis besetzt das Verhältnis der Beschäftigten zu sich selbst. Ihr Selbstbewusstsein ist kolonisiert, besetzt, vom Kapitalverhältnis.

Deswegen ist es ihnen nicht mehr möglich, allein in ihrer unmittelbaren nützlichen Arbeit ihre Befriedigung zu finden. Denn diese Arbeit muss nicht nur überhaupt nützlich sein, sie muss auch gesellschaftlich nützlich sein und Anerkennung finden, das heißt, sie muss Profit bringen. Das gehört durch die neuen Formen der Arbeitsorganisation zu ihrer Arbeit dazu. Die Beschäftigten müssen sich heute mit dem gesellschaftlichen Charakter ihrer Arbeit selbst auseinandersetzen, nicht nur im Rahmen ihres Unternehmens, sondern auch auf dem Markt. Sie sind genötigt, über sich und ihre Arbeit nachzudenken, über deren gesellschaftlichen Wert und deren gesellschaftliche Perspektive. Sie sind dazu nicht nur genötigt im Sinne eines Appells durch gewerkschaftliche oder anderweitig motivierte Kreise, sondern durch die gegenwärtigen Bedingungen der kapitalistischen Lohnarbeit, durch die Organisation der Arbeit in kapitalistischen Unternehmen. Denn der Druck auf die Arbeiterinnen und Arbeiter in der neuen Form der Unternehmensorganisation zielt genau auf diese Beschäftigung mit dem eigenen Tun ab und setzt sie voraus. Der neue Schritt in der Produktivkraftentwicklung besteht also in der Auseinandersetzung der Beschäftigten mit dem gesellschaftlichen Charakter ihres Tuns, ihres Arbeitens, wobei freilich diese Auseinandersetzung zunächst von selbst unter dem Gesichtspunkt des Profites geschieht. Der Maßstab der Auseinandersetzung ist der sich steigernde Profit, der Gewinn. Aber das ist nur der Anfang einer Entwicklung, die weitergehen wird. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich die Auseinandersetzung mit sich selbst zu einem veränderten Blick auf die eigene Arbeit, auf sich selbst verkehren wird.

Denn damit die Beschäftigten von selbst tun, was sie tun sollen, müssen sie es selbst tun. Darin, dass sie es selbst tun müssen, liegt die Möglichkeit der Verkehrung. Denn was ich selbst tue, das bin ich auch zu erfassen in der Lage. Ich kann daher bemerken, dass das, was ich selbst tue, bestimmten Rahmenbedingungen gehorcht. Wenn ich mehr und mehr selbst bestimmen will, was ich tue, so kann ich das erreichen, indem ich mich selbst mit den Rahmenbedingungen beschäftige. Ich kann sie dann mehr und mehr in meinem Tun berücksichtigen: Ich kann sie mir mehr und mehr aneignen. Bei den neuen Formen der Arbeitsorganisation gelten jedoch nur gemeinsame Aneignungsbemühungen; denn hier geht es um die Aneignung eines gesellschaftlich vermittelten Tuns. Es sind die mir fremd erscheinenden Formen der Kooperation mit den anderen Beschäftigten, die mir als fremde Rahmenbedingungen erscheinen, die aber das gemeinsame Tun der Beschäftigten ist, also auch mein Tun, das ich im Prinzip begreifen kann. Die Grundschwäche der „indirekten Steuerung“ ist dies, dass nur das von selbst getan wird, was auch selbst getan wird. Darin liegt die Möglichkeit, die „indirekte Steuerung“ zu begreifen und zu überwinden.

7. Die Auswirkungen der „indirekten Steuerung“

Aber zunächst scheint diese Hoffnung völlig abwegig zu sein. Sie tritt auf, wie in dem Zitat: „Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her!“ Denn die Auswirkungen der „indirekten Steuerung“ scheinen katastrophaler nicht sein zu können. Das wichtigste Ergebnis ist, dass die Folgen unmittelbar bloß an den vereinzelten Individuen erscheinen und sichtbar werden. Sie sind zwar häufig, aber sie werden nicht unmittelbar als gesellschaftliche Auswirkungen wahrgenommen, am wenigsten von denen, die unter diesen Auswirkungen leiden. Diese Vereinzelung der Individuen – die in sozialwissenschaftlichen Kreisen bedauerlicher und fälschlicher Weise nicht selten mit der Individualisierung[4] selbst gleich gesetzt wird – ist die wichtigste und am schwersten zu durchbrechende Konsequenz. Das Problem der Überforderung erscheint als ein Problem, das nur ich habe, und das ich mit mir selbst ausmachen muss. Zugleich erlebe ich bei dem Versuch, damit fertig zu werden, eine absolute Ohnmacht, wie sie durchdringender nicht sein könnte. Sie stellt mich selbst buchstäblich in jeder Hinsicht in Frage.

Wenn ich versuche, dem Erfolgsdruck zu genügen, so „hole ich alles aus mir heraus, was möglich ist.“ Ich versuche immer wenigstens im Mittelfeld der Kolleginnen und Kollegen, möglichst besser zu sein. Freilich gelingt das nur mit einem erschreckenden Maß an Aggressivität gegen mich selbst. Diese Aggressivität sucht sich ihren Ausdruck, und sie drückt sich z. B. aus in einem Herabsehen auf diejenigen, die es nicht schaffen, das Mittelfeld zu erreichen. Es ist speziell eine Spaltung, die auf der Ebene der jungen Beschäftigten gegen die älteren Beschäftigten zu nutzen versucht wurde. Die älteren Beschäftigten, die unter Bedingungen arbeiten, die sich den Zeiten der alten Arbeitsorganisation verdanken, werden von den Unternehmen zum Gegenstand einer rigorosen Politik des Lohndrucks, der Rentenkürzung und der Beschneidung von Perspektiven im Unternehmen gesetzt. (So hat etwa IBM – und sie sind damit nicht alleine – Menschen, die über 50 Jahre alt sind, eben deswegen als „ellegibel“ bezeichnet, und mit Angeboten zur vorzeitigen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses und Aktionen aus den Betrieben buchstäblich herausvergoldet.) Hilfreich bei einer solchen Politik sind junge Beschäftigte, soweit sie verkennen, dass eine Lohnpolitik, die auf Spaltung der Belegschaften beruht, letztlich auch zu ihrem Schaden sein wird.

Wenn ich also dem Erfolgsdruck nachgebe, dann richtet sich mein eigenes Denken gegen mich. Ich bin wehrlos der „Logik des Profites“ meines Unternehmens ausgeliefert. Viele haben das am eigenen Leib erfahren, wie sie nicht in der Lage waren, einer Maßnahme auf rationale Weise zu widersprechen, die gegen sie selbst gerichtet war. Aus der Sicht des Unternehmens schien die Maßnahme überaus gerechtfertigt. Aber sie ging gegen die Interessen der Beschäftigten. In diesem Widerstreit befangen, ist es vielen Beschäftigten bis heute nicht gelungen, einen Boden „geistiger Autonomie“ zu erreichen. Dieses Erlebnis ist bedrückend und war sogar Gegenstand von einer Werbung (der Firma Vattenfall[5]). Mein eigenes Denken – so lautet eine wichtige Erfahrung – richtet sich gegen mich. Was nicht mitgedacht wird, ist die Bedingung: … wenn ich versuche, dem Maßstab des Unternehmens zu genügen". Freilich wird niemand sein Denken bewusst gegen sich selbst richten. Aber das ist auch nicht nötig. Die „indirekte Steuerung“ wirkt am besten von selbst, also wenn niemand sich ihr Wirken bewusst macht. Wer also erkannt hat, dass er sich in seinem Denken nach fremden Maßstäben und Gesichtspunkten richtet, hat schon einen ersten Schritt der Befreiung hinter sich.

Für diejenigen, die das nicht erkennen, ergeben sich oft Folgen, die vor allem körperliche, besser leibliche[6] Grenzen der Unterordnung unter die Profitmaximierung geltend machen. Sie werden krank. Sie haben Stress und „Burn out“ Syndrome, Herzinfarkt; und sogar zu unmittelbaren Todesfällen aufgrund von Arbeitsüberlastung ist es schon gekommen. Diese leibliche Überforderung ist die gegenwärtig am meisten wahrgenommene Auswirkung der neuen Formen der Organisation der Arbeit. Sie spielt in der sozialwissenschaftlichen Diskussion der gegenwärtigen Veränderungen in der Organisation der Arbeit eine große Rolle. Denn sie zeigt die Unverträglichkeit der neuen Managementformen für die Menschen, die unter diesen Bedingungen arbeiten müssen. Allerdings wird auf diese Weise unterschieden zwischen denen, die darüber diskutieren und denen, die in der Gefahr stehen, in dieser Weise krank zu werden. So bleiben die Beschäftigten selbst in der Rolle der Objekte, über die sozialwissenschaftliche Studien angefertigt werden.

Eine erste Reaktion aber geschieht gerade auf dem Gebiet des leiblichen Wohlergehens. Wellness, leiblicher Ausgleich, Entspannung und leibliche Kraftentwicklung sind heute wesentlich verbreiteter und bedeutender geworden. Sie zeigen, dass die Verteidigung der leiblichen Integrität und Gesundheit zu einem Bedürfnis geworden ist. Mit leiblicher Entspannung versuchen viele sich fit zu halten für die Anforderungen des betrieblichen Alltags. Oft geht das mit der Erkenntnis einher, auch aufgrund der Arbeitssituation etwas für sich tun zu müssen, sich um sich kümmern zu müssen. Dies ist eine wichtige Reaktion, die zeigt, dass viele sich individuell mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen.

Indem sie ihre leibliche Integrität zu verteidigen versuchen, verschaffen viele sich zugleich eine unmittelbare Selbstwahrnehmung, die sie gegen die vermittelte, gegen das eigene Denken setzen. Sie verteidigen sich dadurch unmittelbar gegen ein Denken, das sich gegen sie selbst richtet, indem sie sich stattdessen an das Gefühl und die leibliche Selbstwahrnehmung halten. Auch das ist ein wichtiger Schritt, der das Bedürfnis nach individueller Autonomie zum Ausdruck bringt. Während aber bei der leiblichen Gegenwehr die Beschränkung auf die Dimension vereinzelter Individualität im Prinzip kein Problem ist, gilt das für die seelische und geistige Dimension nicht. Denn Seelisches und Geistiges verkümmern, wenn sie nicht auch gesellschaftlich vermittelt sind. Das aber sollen sie in vielen Formen dieser Art der Gegenwehr gerade nicht sein. Denn die gesellschaftliche und gedankliche Vermittlung steht scheinbar gegen die eigene Autonomie. So erstarken Formen der Berufung auf unmittelbare „Erkenntnis“ meist esoterischer oder religiöser Art. Der Erfolg der Esoterik und die Wiederkehr der Religionen erklären sich auch daraus, dass sie eine unmittelbare Sicherheit zu verschaffen scheinen, während sich mein Denken oft – oder sogar meist – gegen mich selbst richtet. Es besteht tatsächlich – so zeigt sich – ein Bedürfnis, seelisch und geistig jenseits des eigenen Denkens zu gelangen, zu einem Ort der „Eigentlichkeit“ und der Freiheit gegenüber einem Denken, das sich gegen mich selbst richtet.

Dieses Bedürfnis wird unterstützt durch philosophische Positionen, die die Menschen nicht für in der Lage ansehen, durch das Denken die Wahrheit zu erfassen. Sie wollen dem Denken bloß pragmatische Richtigkeit zubilligen. (Freilich wollen sie aus dieser Unwahrheit des Denkens keine Konsequenzen ziehen. Sie wollen sagen: Das Denken ist als solches unwahr, also brauchen wir auch nichts daran ändern, was wir denken und wie wir denken.) Diese philosophischen Positionen sind Ausdruck der Preisgabe des eigenen Denkens, das sich gegen mich selbst, gegen das denkende Individuum, zu richten scheint. Denn pragmatisch lässt sich für alles Argumentieren. Und das unmittelbare Erlebnis des sich gegen mich richtenden eigenen Denkens unterstützt diese Position. So nimmt es nicht Wunder, dass es zwar ein starkes Bedürfnis nach Philosophie gibt, dass aber die Quellen, aus denen dieses Bedürfnis befriedigt wird, eher dunkel und verworren sind, oft lediglich auf „unmittelbare Erfahrung“ zurückgehen. Sie wenden sich gegen das Denken selbst. So wird die Trennung vom eigenen Denken unbewusst vollendet: Die Rationalität erscheint als ein Hindernis der Autonomie des Individuums, und die gedankliche und gesellschaftliche Vermittlung erscheinen als ein Ausdruck dieses Hindernisses. Ich berufe mich stattdessen auf meine Individualität und meine Freiheit, zu denken, was ich will, ergänzt durch eine Unmittelbarkeit der Erfahrung, der niemand zu widersprechen in der Lage ist. Damit bringe ich mich als Individuum scheinbar gedanklich in Sicherheit vor den gesellschaftlichen Ansprüchen an mich, die mich überfordern.

Doch der Scheint trügt. Denn die Berufung auf die Unmittelbarkeit ist selbst gesellschaftlich vermittelt. Ob es nun Esoterik oder Fundamentalismus, ob es pragmatische Herabsetzung des Denkens oder schlichte Berufung auf das Gefühl ist: Stets bleibt das Individuum, stets bleibe ich in einer ohnmächtigen Situation meinem eigenen Denken gegenüber verhaftet. Stets kritisiere ich mein Denken nur im Allgemeinen als unwahr, um mich im Einzelnen nach diesem unwahren Denken zu richten. Denn inhaltlich ändere ich an dem angeblich unwahren Denken nichts. Ich denke dasselbe wie bisher, nur behaupte ich, es sei nicht objektiv, nicht die Wahrheit, bloß Konstruktion und was dergleichen mehr ist. Mein eigenes Denken bleibt mir fremd, ja sogar feindlich. Deswegen setze ich es selbst herab.


8. Ein gemeinsamer Weg zu Autonomie?

Aber so lässt sich Autonomie in Wirklichkeit nicht gewinnen. Es handelt sich mehr um eine Art der freiwilligen Selbstbescheidung. Denn ich gebe mein eigenes Denken preis. Wer einmal eine Diskussion erlebt hat, in der es um die neuen Formen der Unternehmensorganisation geht, wird die folgende Situation kennen: Der „Arbeitgebervertreter“ sagt, wenn ihm die teilweise verheerenden Folgen der neuen Formen der Arbeitsorganisation vorgehalten werden: „Das ist bedauerlich. Aber ich kann es auch nicht ändern! So ist die Welt! Take it or leave it!“ Und es entsteht Schweigen. Denn irgendwie kann niemand widersprechen. Die Welt scheint so zu sein.

Die erste Form der gedanklichen Gegenwehr setzt in dem Moment ein, in dem Beschäftigte diese Erfahrung machen und sie ernst nehmen. Denn es zeigt sich ihnen, sie machen selbst die Erfahrung, dass sich ihr eigenes Denken gegen sie selbst richtet. Diese Erfahrung ist der Schlüssel zur Gegenwehr, obwohl sie unmittelbar zum Gegenteil führt. Es fasziniert viele irgendwie, wie es den „Arbeitgebern“ immer wieder gelingt, Argumentationen zu entwickeln, an deren Ende herauskommt, dass die Beschäftigten zugunsten der „Arbeitgeber“ verzichten sollen, ja dass sie das in ihrem eigenen Interesse tun und dass es gar nicht anders geht. Die Beschäftigten stellen fasziniert fest, wie schlüssig das eigene Denken sich gegen die eigene individuelle Lage richten lässt. Sie sind von ihrer eigenen Ohnmacht durch ihr eigenes Denken fasziniert. Ebenso fassungslos begeistert sind sie von der Macht der „Arbeitgeberseite“. In dieser Phase bemerken viele Beschäftigte, dass ihnen ihr eigenes Denken fremd geworden ist: Es ist das irgendwie das Denken der „Arbeitgeber“. Aber diese Entfremdung von ihrem eigenen Denken zu erfassen, ermöglicht einerseits eine bewusste Aneignung der Denkweise der Gegenseite, die mit der Zeit vor allzu unangenehmen Überraschungen schützt, andererseits eine Auseinandersetzung mit der geistigen Unterordnung unter die „Arbeitgeber“. Bei allem Zynismus, der in dieser Betrachtungsweise des eigenen Denkens zum Ausdruck kommt, ist es eine erste Weise, sich um die Aneignung des eigenen Denkens zu bemühen: Ich stelle fest, dass und wie sich mein eigenes Denken gegen mich selbst richtet. Aber dabei kann es nicht bleiben. Es ergibt sich mit der Zeit die Notwendigkeit, ein Denken zu entwickeln, das nicht allein die so genannten Zwänge oder Notwendigkeiten des Marktes gegen mich zur Geltung bringt. Wie soll das möglich sein?

Dafür ist die eben erwähnte Erfahrung einer Diskussion mit „Arbeitgebervertretern“ wichtig. Denn hier tut sich ein Unterschied auf, der in der Regel in einer solchen Diskussion verdeckt wird: Die „Arbeitgeber“ können sich tatsächlich nicht anders verhalten. Sie sind den Kräften des Marktes unbedingt ausgeliefert; denn der Markt ist die Bedingung ihrer Freiheit und ihrer Existenz. Sie können daher mit Recht so argumentieren, dass sie durch den Markt gezwungen sind, so und so zu handeln. Das Merkwürdige ist dabei dies: Der „freie Markt“ erhält bei dieser Argumentation immer wieder das Gesicht der „Arbeitgeber“. Sie haben die Kräfte des Marktes in ihrem Rücken. Für sie bläst der Wind des Marktes und bläht ihre Segel, so dass sie kräftig vorankommen. Ganz umgekehrt aber ist die Situation der Beschäftigten. Ihnen bläst derselbe Wind, der den „Arbeitgebern“ Auftrieb gibt, voll ins Gesicht. Womit die „Arbeitgeberinnen“ und „Arbeitgeber“ sich identifizieren können, damit müssen sich die Beschäftigten auseinandersetzen. Die Beschäftigten sind also in einer ganz anderen Situation in Bezug auf die Resultate der neuen Formen der Arbeitorganisation und in Bezug auf den „freien Markt“ als die „Arbeitgeber“. Für letztere ist der Markt die Bedingung der Freiheit, nicht ihrer als Individuen, sondern ihrer als „Arbeitgeber“. Auf dem Markt sind sie als Arbeitgeber frei, freilich als Individuen nicht. So argumentieren sie zwieschlächtig: Als Individuen würden sie ja gerne dafür sorgen, dass… und dann kommen viele Wohltaten, für die sie sich einsetzen würden, oder es als Privatleute gar tun (wie etwa Bill Gates seine - wie es heißt - sozialen Stiftungen unterstützt). Aber als „Arbeitgeber“ müssen sie leider den Notwendigkeiten des Marktes gehorchen. In der Tat: Sie müssen das; denn der Markt ist ihr Lebensraum, ihre Existenzbedingung. Sie können als „Arbeitgeber“ ohne den Markt nicht existieren. Aber der Markt ist nicht die Natur selbst. Deswegen können Menschen, die keine „Arbeitgeber“ sind, durchaus auch ohne „freien Markt“ leben. Allerdings unter einer Bedingung: Sie müssen das Problem „selbst“ lösen, das der Markt „von selbst“ löst. Sie müssen die Frage beantworten, wie sie ihre Arbeitskraft gesellschaftlich sinnvoll und produktiv einsetzen können. Genau dazu werden sie durch die neuen Managementformen unmittelbar gezwungen und mittelbar befähigt.

Die Erfüllung dieser Bedingung verlangen die „Arbeitgeber“ von ihren Beschäftigten in den neuen Formen der Arbeitsorganisation. Sie fordern von ihnen die Fähigkeit, sich mit der gesellschaftlichen Funktion ihres Tuns auseinanderzusetzen. Aber sie verweigern für sich selbst dasselbe zu tun. Die „Arbeitgeber“ setzen sich selbst nicht mit ihrer gesellschaftlichen Funktion auseinander. Sie behaupten im Gegenteil, das nicht zu können. Das soll ein Argument sein, ihnen zu folgen. Aber wenn sie es selbst nicht können, mit welchem Recht verlangen sie es von andern? Sie verlangen es aufgrund der Macht des Faktischen. Sie sagen: „So ist die Welt!“ Warum können sie das tun? Sie können das, weil sie die Personifizierung des Maßstabs sind, der bei der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun in der Arbeit gelten soll, der Profiterwartung. „Die Welt ist halt so“, dass die Arbeitgeber Profit erwarten. Solange die Beschäftigten an dieser Stelle nur schweigen, wird dieses „Argument“ weiter greifen. Sobald sie aber das Wort ergreifen und etwas sagen, wird die Welt ganz anders sein. Es ist das Recht des Arbeitgebers seine Interessen zu vertreten, und speziell sein Profitinteresse als die einzige Realität verkaufen zu wollen. Aber eine andere Frage ist die, ob die Beschäftigten darauf hereinfallen. Das werden sie nur solange tun, bis sie begreifen, dass dieses Argument keines ist, sondern eine notdürftige Bemäntelung des Profitanspruchs der Kapitalisten.

Um dies zu begreifen, braucht es einige Voraussetzungen, die sich gerade erst zu entwickeln beginnen. Gewerkschaftliche Organisation beginnt in den für die neuen Formen der Organisation der Arbeit maßgeblichen Konzernen wie IBM, SAP etc. Für die eigene Organisation gilt zunächst dasselbe wie für das eigene Denken: Wie das eigene Denken sich gegen die denkenden Individuen richtet, solange sie sich nicht bewusst mit ihrem Denken auseinandersetzen, so richtet die gegebene Organisation in der Arbeit zunächst gegen die Organisierten. Organisation wird daher oft überhaupt als den Individuen feindlich und bedrohlich aufgefasst. Es gilt aber, der in den neuen Arbeitsformen gegebenen Organisation eine Organisation aus eigener Kraft entgegenzusetzen. Dazu ist ein ähnlicher Schritt in der Frage der eigenen Organisierung notwendig, wie in der Frage des eigenen Denkens. In beiden Fällen muss die eigene Handlungsfähigkeit erst erobert werden. In diesen eigenständigen Organisationen werden die Beschäftigten nicht nur als Objekt von Studien sichtbar, sondern auch als Subjekt zumindest gewerkschaftlichen Handelns. Dabei wird sich herausstellen: Nicht die Anforderung, sich mit seinem eigenen Tun auseinanderzusetzen, überfordert die Beschäftigten. Es ist der Maßstab der Auseinandersetzung, der die Überforderung enthält. Denn der Profit und die Profitsteigerung ist als solche grenzenlos. Aus der grenzenlosen Steigerung des Profits als Maßstab der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun ergibt sich einerseits die an sich grenzenlose Überforderung der arbeitenden Individuen, andererseits eine Beschränkung der Möglichkeit, sich mit seinem eigenen Tun auseinanderzusetzen. Es sind der Sache nach ganz andere Kriterien notwendig, nach denen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun erfolgen muss: ökologische Kriterien, Kriterien der Emanzipation der Individuen, auch unterschiedlichen Geschlechts, Kriterien der globalen und sozialen Verträglichkeit, Kriterien der allseitigen Entwicklung und Gesundheit der arbeitenden Individuen und schließlich Kriterien, die sich mit dem konkreten Produkt beschäftigten, das gemeinsam produziert wird.

Die Antwort der Beschäftigten kann nur darin liegen, sich eigenständig zu organisieren. Dabei muss die Organisierung den neuen Formen der Organisation der Arbeit entsprechen. Grundlage der Organisation kann nicht die Gleichheit der Beschäftigten sein. Die Organisation beruht im Gegenteil auf der zu entwickelnden Individualität der Beschäftigten, auf ihrer Unterschiedenheit. (Diese Überlegungen zur Organisation sind schon in die Aktionsformen der „Besinnung“ eingegangen. Die Broschüre „Meine Zeit ist mein Leben!“ der IG Metall aus dem Jahre 1998 war Teil einer solchen Aktionsform, und enthält erste wichtige Überlegungen dazu.) Nur wenn die Beschäftigten sich selbständig organisieren, werden sie lernen, sich selbst als diejenigen zu erfassen, deren eigene profitorientierte Kooperation es ist, die ihnen als eine fremde Macht, als das Kapital und personifiziert als die „Arbeitgeber“, gegenübertreten. Sie werden so die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun als eine ihrer Fähigkeiten begreifen und entwickeln. Sie werden aber auch dieselben Fähigkeiten von ihrem „Arbeitgeber“ fordern. Denn sie wissen: Nicht die Auseinandersetzung mit der Arbeitstätigkeit überfordert, sondern die Orientierung dieser Auseinandersetzung am in sich unbegrenzt steigerbaren Profit. Dieser Maßstab ist aber beschränkt. Es sind andere gesellschaftlich wichtige und notwendige Maßstäbe an die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun anzulegen. Diese anderen Maßstäbe zeigen die Beschränktheit des Profitprinzips als Maßstab auf. So werden die Beschäftigten in einer neuen Reformpolitik durch Forderungen an den Arbeitgeber, sich mit seiner Funktion auseinanderzusetzen, mehr und mehr auch andere Kriterien der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun im Betrieb und in der Gesamtgesellschaft durchsetzen. Das vielleicht wichtigste Kriterium wird die Erhaltung der natürlichen Existenzbedingungen der Menschheit sein. Denn ohne eine konsequente Veränderung in der Produktion wird dieses Ziel nicht erreicht werden können. Aber durch die gemeinsame organisierte Auseinandersetzung der Menschen, die arbeiten, mit dem, was sie in ihrer Arbeit tun, wird die Bewältigung der ökologischen Bedrohung tatsächlich möglich. Wenn die Beschäftigten andere Anforderungen an die Produktion entwickeln und durchzusetzen beginnen, wird die Schranke des Profitprinzips für die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit und ihrer Naturwirkung deutlich sichtbar. (Freilich sind die Forderungen einer solchen Reform noch nicht entwickelt. Denn es ist die Kompetenz der Beschäftigten selbst dafür unverzichtbar erforderlich, um eine entsprechende Reformperspektive zu erarbeiten. Auch, was die allgemeine Orientierung betrifft, wird die weitere Konkretisierung noch erfolgen müssen.)

9. Die Beschäftigten als Subjekte betrachten

Um diesen Weg zu einem Ort in der Natur zu erkennen, ist allerdings ein Wandel der Betrachtungsweise auch bei den Theoretikern erforderlich. Dafür kommt es darauf an, die arbeitenden Individuen nicht mehr nur als Objekt von Studien zu betrachten, sondern als Subjekt ihres eigenen Tuns anzusprechen. Als Subjekte betrachtet sind sie ihrem eigenen Tun, der profitorientierten Kooperation, subsumiert. So werden sofort Alternativen denkbar: Was durch die Schranke des angeblich notwendigen Profitstrebens behindert wird, ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun unter anderen Gesichtspunkten als dem der Gewinnmaximierung. Die Naturwirkung des eigenen Tuns ist ein solcher anderer Gesichtspunkt. Die Vernachlässigung der Naturwirkung unseres Tuns ist die Hauptursache der ökologischen Krise. Hier berühren sich die beiden Albträume so, dass das Begreifen ihres Zusammenhangs die Lösung der Frage einschließen kann, wie wir in Zukunft leben können. Wir können leben, wenn die Beschäftigten

1. sich in der Arbeit mit ihrer Arbeit auseinanderzusetzen lernen, 
2. wenn die Beschränkung auf die Profitmaximierung für die 
   Beschäftigten nicht mehr als einziger Maßstab gilt, sondern sie 
   sich im Gegenteil auch nach anderen Kriterien mit ihrer Arbeit 
   auseinandersetzen, 
3. wenn die Beschäftigten, die unter den Bedingungen der 
   profitorientierten Kooperation die gesellschaftliche Produktion 
   zu organisieren lernen, sich die Bedingungen ihres eigenen Tuns 
   aneignen können und so nicht die Freiheit der „Arbeitgeber“ auf 
   dem Markt realisieren, sondern die Befreiung der Individuen in 
   der gesellschaftlichen Produktion. Dazu müssen sie sich 
   allerdings die Mittel der Produktion aneignen und sie in 
   gesellschaftliche Mittel der Produktion verwandeln.    

Auf diesem Wege sind die unmittelbaren Produzenten in der Lage, ihr eigenes Tun beherrschen zu lernen. Das freilich enthält einen Widerspruch in sich. Gegenwärtig herrschen Menschen über andere Menschen. Es ist auch möglich, eine solche Herrschaft zu internalisieren. Dann sind es in uns „Instanzen“ – wie Freud das genannt hat –, von denen die eine die andere beherrscht. Für das Herrschaftsverhältnis muss eine solche Andersheit vorausgesetzt werden: Das Herrschende muss ein Anderes sein als das Beherrschte. Sind beide dasselbe, so richtet sich diese Diesselbigkeit gegen das Herrschaftsverhältnis selbst und hebt es auf. Die Selbstbeherrschung schlägt um in Befreiung, schlägt um dahin, dass wir tun können, was wir wollen nicht nur in dem Sinne, dass wir erreichen, was wir wollen, sondern auch in dem Sinne, dass wir wollen können, was wir tun. Diese Befreiung der Individuen in der Arbeit, und nur diese Befreiung sichert die Existenz der Menschheit, sichert uns einen Ort in der Natur.

Fußnoten

  1. Der Ausdruck „Arbeitnehmer“ ist verräterisch. Denn er verstellt den Blick darauf, dass das Arbeiten eine Tätigkeit menschlicher Individuen ist. „Arbeit“ erscheint als eine – im Besitze des „Arbeitgebers“ befindliche – Gelegenheit, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Menschen, die arbeiten, erscheinen als Anhängsel der Arbeit, der sie nachgehen. In Wirklichkeit ist Arbeiten eine Tätigkeit arbeitenden Menschen, die also „Arbeit geben“, während die so genannten „Arbeitgeber“ dieselbe „Arbeit nehmen“ und durch Lohn nur teilweise entgelten. Die Verkehrung dieses Verhältnisses ist lehrreich. Die Entfremdung kommt darin in einem Abbild gut zum Ausdruck: Was eine Tätigkeit der Menschen ist, erscheint als Eigentum anderer Menschen. Dennoch werde ich im Weiteren von Arbeiterinnen und Arbeitern oder einfach Beschäftigten sprechen. Dabei kommt es mir darauf an, dass es sich um gesellschaftlich produzierende Individuen handelt, die also nicht privat produzieren, sondern gemeinsam mit anderen.
  2. Karl Marx, Friedrich Engels, Deutsche Ideologie. In: Marx Engels, Werke, Band 3, S. 66 f.
  3. Ebenda, S. 67f
  4. Die Individualisierung resultiert insofern aus den neuen Formen der Arbeitsorganisation, als die Individuen unter diesen Bedingungen die Fähigkeit entwickeln müssen, sich als Individuum mit der gesellschaftlichen Funktion auseinanderzusetzen, der sie nachgehen. Da sie diese Fähigkeit individuell erwerben und besitzen müssen, sind sie zunächst auf sich selbst gestellt. Darin liegt notwendig ein Moment der Vereinzelung. Dass sie aber diese Fähigkeit als Individuen erwerben müssen, bedeutet nicht, dass sie sie auch als Individuum am Besten erwerben können. Das ist keineswegs der Fall. Im Gegenteil: Die Entfaltung der eigenen Individualität gelingt am Besten in einem festen Zusammenhang mit anderen Individuen. Allerdings haben sich die Bedingungen der Entwicklung von Organisation und Solidarität verändert. Sie kann nicht mehr in erster Linie auf der Gleichheit der Arbeiterinnen und Arbeiter beruhen. Denn die Gleichheit ist nicht mehr die Bedingung ihres produktiven Zusammenwirkens in der kapitalistischen Produktion. Die Bedingung ist nunmehr die Anerkennung der Unterschiedenheit der Individuen, die sie umfassend und produktiv zur Geltung bringen wollen. Die Brücke der Verständigung und der Solidaritätsentwicklung ist die individuelle Verschiedenheit der Menschen untereinander, die ein Zusammenwirken nicht behindert, sondern fördert und erfordert. Die Gleichheit, gegen die sich die Arbeiterinnen und Arbeiter wehren müssen, ist jetzt die Gleichheit des Kriteriums, woran sie ihre Auseinandersetzung mit sich und ihrer Arbeitsleistung zu messen haben, nämlich der des Profits.
  5. In einer Werbung der Firma Vattenfall erläuterte ein Beschäftigter in einem Nachtflug besinnungslos vor sich hin sprechend die neuen Möglichkeiten eines bestimmten Systems. Am nächsten Morgen, als das Flugzeug landet wird er vom Angesprochenen gefragt: „Und was ist dann ihr Job?“ Der Beschäftigte ist verdattert und fängt an zu überlegen. Das soll der Witz dieser Werbung sein. Denn er wusste nichts darauf zu antworten, wohl aber die Fiorma Vattenfall, die daraufhin ihr Logo präsentierte.
  6. „Körper“ und „körperlich“ sind bei uns die Ausdrücke, die wir benutzen, um unsere Leiblichkeit zu bezeichnen. „Leib“ erscheint als religiös besetzt. Ich benutze dennoch lieber den Ausdruck „Leib“, weil er die spezifische Körperlichkeit der Lebewesen bezeichnet. Es geht aber hier nicht um Körper schlechthin, sondern um Körper von Lebewesen, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten haben, die angeeignet und berücksichtigt werden müssen. Mithin geht es um meine leibliche Grenzen.