Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach: Unterschied zwischen den Versionen

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Ziel dieses Aufsatzes ist den ambivalenten Charakter der Psychologie und der Psychoanalyse zu erfassen. Ausgangspunkt ist eine Vorstellungsanalyse des Satzes: „Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach.“ In ihr wird ein Typ moralischer Rationalität vorgestellt, der die Autonomie des Geistes voraussetzt. Die Psychoanalyse Freuds, auf die der Aufsatz sich in erster Linie bezieht, stellt eine andere Form der Rationalität dar: Durch Selbstkritik des Geistes zielt sie auf Aneignung des Unbewussten, das, obwohl verdrängt, Handlungen bestimmen kann. Das Verstehen und Aneignen des Unbewussten setzt die unmittelbare Gattungskraft der Individuen frei. Unter der Gattungskraft verstehen Philosophen die Fähigkeit eines Lebewesens zur Reproduktion, wie sie in der Selbsterhaltung der Individuen und in der Sexualität, der Erhaltung der Art, zum Ausdruck kommt, die von Freud so genannten „Triebe“. Allerdings bleibt diese Entwicklung durch die Professionalität der Psychologie und Psychoanalyse auf die unmittelbare Gattungskraft beschränkt. Die – durch das Ganze der Erhaltung der Menschheit, die gesellschaftliche Produktion der Lebensmittel im weitesten Sinne , vermittelte – Gattungskraft wird nicht analysiert, sondern als „Realität“ vorausgesetzt. So werden die Ergebnisse der Psychologie und auch der Psychoanalyse in der so genannten „Industrie- und Organisationspsychologie“ nicht nur zur Heilung nutzbar. Im Gegenteil: Die unmittelbare Gattungskraft der Individuen wird bis an die Grenze der Erschöpfung – und darüber hinaus – zur Steigerung der Produktivität und Profitabilität kapitalistischer Unternehmen genutzt. So kann der Satz: „Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach“ auch als Resultat einer Psychologie erscheinen, die als „Industrie- und Organisationspsychologie“ die Maßstäbe für produktive Arbeit konsequent nach oben zu schrauben hilft. Thema eines daran anschließenden Artikels wäre, wie eine Selbstkritik des Geistes in diesem Falle ausfallen könnte.
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===1. Vorstellungsanalyse===

Version vom 17. April 2012, 12:34 Uhr

Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach
Vortrag für die Interdisziplinäre Studiengesellschaft
von Stephan Siemens


Ziel dieses Aufsatzes ist den ambivalenten Charakter der Psychologie und der Psychoanalyse zu erfassen. Ausgangspunkt ist eine Vorstellungsanalyse des Satzes: „Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach.“ In ihr wird ein Typ moralischer Rationalität vorgestellt, der die Autonomie des Geistes voraussetzt. Die Psychoanalyse Freuds, auf die der Aufsatz sich in erster Linie bezieht, stellt eine andere Form der Rationalität dar: Durch Selbstkritik des Geistes zielt sie auf Aneignung des Unbewussten, das, obwohl verdrängt, Handlungen bestimmen kann. Das Verstehen und Aneignen des Unbewussten setzt die unmittelbare Gattungskraft der Individuen frei. Unter der Gattungskraft verstehen Philosophen die Fähigkeit eines Lebewesens zur Reproduktion, wie sie in der Selbsterhaltung der Individuen und in der Sexualität, der Erhaltung der Art, zum Ausdruck kommt, die von Freud so genannten „Triebe“. Allerdings bleibt diese Entwicklung durch die Professionalität der Psychologie und Psychoanalyse auf die unmittelbare Gattungskraft beschränkt. Die – durch das Ganze der Erhaltung der Menschheit, die gesellschaftliche Produktion der Lebensmittel im weitesten Sinne , vermittelte – Gattungskraft wird nicht analysiert, sondern als „Realität“ vorausgesetzt. So werden die Ergebnisse der Psychologie und auch der Psychoanalyse in der so genannten „Industrie- und Organisationspsychologie“ nicht nur zur Heilung nutzbar. Im Gegenteil: Die unmittelbare Gattungskraft der Individuen wird bis an die Grenze der Erschöpfung – und darüber hinaus – zur Steigerung der Produktivität und Profitabilität kapitalistischer Unternehmen genutzt. So kann der Satz: „Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach“ auch als Resultat einer Psychologie erscheinen, die als „Industrie- und Organisationspsychologie“ die Maßstäbe für produktive Arbeit konsequent nach oben zu schrauben hilft. Thema eines daran anschließenden Artikels wäre, wie eine Selbstkritik des Geistes in diesem Falle ausfallen könnte.

1. Vorstellungsanalyse